Ein neues Übereinkommen will die weltweite Anerkennung von Zivilurteilen radikal vereinfachen. Damit könnten Schiedsgerichte einen ihrer entscheidenden Vorteile verlieren, meinen Evgenia Peiffer und Marcus Weiler.
Anfang Juli verabschiedete die Haager Konferenz für Internationales Privatrecht im Rahmen einer feierlichen Zeremonie im Friedenspalast in Den Haag ein Übereinkommen über die grenzüberschreitende Anerkennung und Vollstreckung von Gerichtsurteilen in Zivil- und Handelssachen. Die Haager Konferenz ist eine 1893 gegründete zwischenstaatliche Organisation, der 82 Staaten sowie die EU angehören und deren Ziel die Vereinheitlichung des internationalen Privatrechts ist. Das neue Übereinkommen, das aus 32 Artikeln besteht, soll die zurzeit noch erheblichen Hindernisse bei der Durchsetzung ausländischer Urteile abbauen und einheitliche Voraussetzungen für die grenzüberschreitende Anerkennung und Vollstreckung schaffen.
Keine Pflicht von Staaten zur Durchsetzung ausländischer Urteile
Im allgemeinen Völkerrecht gilt der Grundsatz, dass kein Staat verpflichtet ist, ausländische Urteile anzuerkennen. Ohne einen entsprechenden Staatsvertrag steht es jedem Staat frei selbst zu bestimmen, ob und unter welchen Voraussetzungen er ausländischen Urteilen in seinem Hoheitsgebiet zur Geltung verhilft.
Völkerrechtliche Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile im Bereich des Zivil- und Handelsrechts bestehen bisher nur in wenigen Spezialgebieten (etwa im Transportwesen) oder sind regional begrenzt. Aus deutscher Sicht wichtigstes Beispiel für ein regional begrenztes Regelwerk ist die EuGVVO. Die Verordnung sorgt dafür, dass Urteile in Zivil- und Handelssachen aus einem EU-Mitgliedstaat in anderen EU-Staaten vergleichsweise zügig und einfach durchgesetzt werden.
Schwierig wird die Sache dann, wenn Urteile aus oder in Staaten außerhalb der EU vollstreckt werden sollen.
Schwierigkeiten bei Durchsetzung von Urteilen außerhalb der EU
Greift im Einzelfall kein Staatsvertrag, ist damit nach deutschem Recht zwar noch nicht das Ende der Fahnenstange erreicht. Die Zivilprozessordnung lässt die Anerkennung ausländischer Urteile auch außerhalb von Staatsverträgen zu. Erforderlich ist jedoch insbesondere, dass die Gegenseitigkeit verbürgt ist: Ein Urteil aus einem Drittstaat kann in Deutschland nur dann Rechtswirkung entfalten, wenn auch der Drittstaat deutsche Urteile anerkennt.
Die Frage, ob die Gerichte eines Drittstaats deutsche Urteile tatsächlich anerkennen, bereitet in der Praxis erhebliche Schwierigkeiten. Hierüber muss regelmäßig Beweis erhoben werden, z.B. durch Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Rechtsprechung der ausländischen Gerichte. Zudem kann das Gegenseitigkeitserfordernis schnell zu einer Pattsituation führen: Gibt es mit dem betroffenen Land noch keine praktische Erfahrung oder verlangt dieses ebenfalls die Verbürgung der Gegenseitigkeit, scheitert die Anerkennung letztlich daran, dass kein Gericht den ersten Schritt macht.
Dass dies kein theoretisches Problem ist, zeigt eine Entscheidung aus dem Jahr 2016, in dem das OLG Hamburg einem russischen Urteil die Durchsetzung in Deutschland versagt hat, weil bislang noch kein Gericht aus Russland entschieden habe, dass deutsche Urteile dort überhaupt anerkannt werden könnten. Die erforderliche Gegenseitigkeit sei daher faktisch nicht verbürgt.
Konsequenzen der fehlenden Durchsetzung ausländischer Urteile
Für den Gläubiger eines Urteils, der auf dessen Vollstreckung im Ausland angewiesen ist (etwa weil im Ursprungsstaat kein Schuldnervermögen belegen ist), bedeutet die Versagung der Anerkennung, dass das ursprüngliche Gerichtsverfahren vergeblich war. Die Durchführung eines neuen Gerichtsverfahrens an dem Ort des Schuldnervermögens bedeutet nicht nur zusätzlichen Zeit- und Kostenaufwand, sondern setzt auch voraus, dass die dortigen Gerichte für die Entscheidung der Streitigkeit überhaupt international zuständig sind. Die Belegenheit von Schuldnervermögen in einem Staat begründet allein noch nicht zwingend die Zuständigkeit der Gerichte dieses Staates für Streitigkeiten gegen den Schuldner. Ist die internationale Zuständigkeit am Ort des Schuldnervermögens nicht eröffnet, scheidet die Durchsetzung des Anspruchs insgesamt aus.
Das Fehlen von vereinheitlichten Vorschriften über die grenzüberschreitende Vollstreckung von Gerichtsurteilen hat entscheidend zum Erfolg der internationalen Handelsschiedsgerichtsbarkeit beigetragen. Das New Yorker Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche von 1958 ermöglicht die effektive Durchsetzung von Entscheidungen privater Schiedsgerichte in inzwischen 160 Vertragsstaaten.
Einheitliche Regeln für Durchsetzung von Urteilen außerhalb der EU
Das Haager Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Gerichtsurteile in Zivil- und Handelssachen soll die Vorschriften über die grenzüberschreitende Durchsetzung staatlicher Urteile nun vereinheitlichen und so die Rechtssicherheit im internationalen Wirtschaftsverkehr zukünftig erhöhen.
Das Haager Übereinkommen gilt grundsätzlich für alle staatlichen Gerichtsurteile, die in Zivil- und Handelssachen ergehen. Aus dem Anwendungsbereich ausgenommen sind jedoch insbesondere Urteile in Streitigkeiten über geistiges Eigentum und Datenschutz. Wettbewerbsrechtliche Streitigkeiten sind vom Übereinkommen erfasst, soweit es um kartellrechtswidrige Absprachen geht und das kartellrechtswidrige Verhalten und dessen Auswirkungen im Ursprungsland eingetreten sind. Da Schiedsverfahren für Kartellstreitigkeiten außerhalb von Vertragsbeziehungen regelmäßig nicht in Betracht kommen, könnte das einen wichtigen Anwendungsfall des Übereinkommens darstellen.
Voraussetzung für die Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen in einem Vertragsstaat des Übereinkommens ist neben der Rechtskraft des Urteils im Ursprungsstaat, dass das Gericht im Ursprungsstaat seine Zuständigkeit aufgrund eines im Übereinkommen vorgesehenen Gerichtsstands begründet hat. Die vom Übereinkommen anerkannten Gerichtsstände fallen in drei Kategorien: Der Beklagte hat seinen Wohnsitz oder eine Niederlassung im Ursprungsstaat (Kategorie 1), der Beklagte hat der Zuständigkeit des Gerichts im Ursprungsstaat ausdrücklich zugestimmt oder diese trotz Einlassung zur Sache nicht gerügt (Kategorie 2) oder es besteht eine hinreichende Verbindung zwischen dem streitigen Anspruch und dem Ursprungsstaat, weil in diesem Staat etwa der Erfüllungs- oder Schadensort liegt (Kategorie 3).
Eine inhaltliche Nachprüfung des ausländischen Urteils findet nicht statt. Die Anerkennung darf nur aus einem der abschließend geregelten Gründe versagt werden. Das ist etwa der Fall, wenn der Beklagte über die Klageerhebung im Ursprungsstaat nicht informiert wurde, das anzuerkennende Urteil mit einer Gerichtsentscheidung aus dem Vollstreckungsstaat unvereinbar ist oder gegen die öffentliche Ordnung des Vollstreckungsstaats verstößt.
Die Durchsetzung eines Urteiles, in dem Strafschadensersatz (punitive damages) zugesprochen wird, darf nach dem Übereinkommen jedoch verweigert werden. Deutsche Unternehmen hätten also nicht zu befürchten, dass Strafschadensersatzurteile von US-Gerichten hierzulande vollstreckt werden könnten.
Die Vertragsstaaten können zusätzliche Erklärungen abgeben, wonach sie bestimmte Rechtsgebiete und Vertragsstaaten von der Anwendung ausnehmen. Das dürfte zwar die Akzeptanz des Übereinkommens in der internationalen Staatengemeinschaft erhöhen. Sollten die Vertragsstaaten von ihrem Erklärungsrecht exzessiv Gebrauch machen, besteht jedoch die Gefahr, dass anstelle von zunehmender Rechtsharmonisierung ein unübersichtlicher Flickenteppich entsteht.
Zunehmende Konkurrenz zur internationalen Schiedsgerichtsbarkeit
Das Übereinkommen tritt in Kraft, sobald es zwei Staaten ratifiziert haben. Als erster Staat hat Uruguay das Übereinkommen Anfang Juli unterzeichnet. Die EU Kommission hat bereits angekündigt, zeitnah mit der Vorbereitung des EU-Beitritts zum Übereinkommen zu beginnen.
Je mehr Staaten das Übereinkommen ratifizieren, desto höher ist dessen Potenzial, Gerichtsverfahren in internationalen Fällen attraktiver zu machen. Auch wenn bis zum Inkrafttreten voraussichtlich noch ein paar Jahre vergehen werden, könnte das Übereinkommen der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit ihr bisheriges Alleinstellungsmerkmal nehmen. Gepaart mit der zunehmenden Verbreitung spezialisierter englischsprachiger Handelsgerichte könnten staatliche Gerichte mittelfristig zu einer ernsthaften Alternative zur internationalen Handelsschiedsgerichtsbarkeit werden.
Dr. Evgenia Peiffer ist Rechtsanwältin bei der internationalen Wirtschaftskanzlei CMS. Sie berät und vertritt Mandanten vor Gerichten sowie Schiedsgerichten und hat zum internationalen Zivilverfahrensrecht promoviert.
Marcus Weiler, LL.M. (London School of Economics) ist Rechtsanwalt bei CMS. Er berät und vertritt Mandanten in wirtschaftsrechtlichen Streitigkeiten und ist besonders auf internationale Handels- und Investitionsschiedsverfahren spezialisiert.
Neues Übereinkommen zur Anerkennung ausländischer Urteile: . In: Legal Tribune Online, 08.08.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/36935 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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