GWB-Digitalisierungsgesetz: Kar­tell­rechts­no­velle erleich­tert Fusi­ons­kon­trolle

Gastbeitrag von Nicolas Kredel, LL.M. (Michigan) und Jan Kresken, LL.M. (Norwich)

15.10.2020

Die Bundesregierung will neue Wettbewerbsregeln für große Internetunternehmen und Entlastungen für mittelständische Unternehmen bei der Fusionskontrolle. Nicolas Kredel und Jan Kresken finden in der 10.GWB-Novelle Licht und Schatten.

Nach einer fast acht Monate andauernden Ressortabstimmung veröffentlichte die Bundesregierung am 9. September 2020 das Zehnte Gesetze zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen für ein "Wettbewerbsrecht 4.0" (GWB-Digitalisierungsgesetz). Im Vergleich zum seinerzeit veröffentlichten Referentenentwurf des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) enthält der nun vorgelegte Gesetzentwurf insbesondere im Bereich der Fusionskontrolle spannende Änderungen. Kleinere Start-Up-Unternehmen dürften von den Erleichterungen bei der Fusionskontrolle profitieren. 

Der Gesetzentwurf sieht vor, dass die umsatzbezogenen Schwellenwerte in der Fusionskontrolle angehoben werden. Sofern die am Zusammenschluss beteiligten Unternehmen diese überschreiten, müssen sie ihr Vorhaben beim Bundeskartellamt (BKartA) anmelden. Neben einer Anhebung der zweiten Inlandsumsatzschwelle von fünf Millionen Euro auf zehn Millionen Euro soll auch die erste Inlandsumsatzschwelle von 25 Millionen Euro auf 30 Millionen Euro angehoben werden. Die Anhebung der ersten Schwelle war im Referentenentwurf noch nicht vorgesehen. 

Die beiden Änderungen sollen den Mittelstand entlasten und dazu führen, dass sich das BKartA auf die wettbewerblich relevanten Zusammenschlussvorhaben großer Unternehmen konzentrieren kann. Durch die Anhebung der ersten und der zweiten Inlandsumsatzschwelle soll die Zahl anmeldepflichtiger Zusammenschlüsse um ca. 25 Prozent reduziert werden. Im Jahre 2019 wären dadurch 327 Anmeldungen entfallen.  

Eingeschränkte Fusionskontrolle im Krankenhausbereich

Seit Längerem wird diskutiert, ob die Fusionskontrolle auch auf Zusammenschlussvorhaben im Krankenhausbereich Anwendung finden sollte. In diesem Bereich besteht kein Preiswettbewerb, weil das Vergütungssystem auf einem Fallpauschalensystem (DRG) beruht. 

Dafür wurde vorgebracht, dass eine Spezialisierung und standortübergreifende Zentrenbildung vor allem den Patienten und damit der Versorgungsqualität in der betreffenden Region zugutekommt. Demgegenüber wurde vor einem uneingeschränkten und unkontrollierbaren Zugang für Finanzinvestoren auf die deutsche Krankenhauslandschaft gewarnt. 

Im Gesetzentwurf entscheidet sich die Bundesregierung nunmehr für eine Art Kompromisslösung. Zusammenschlussvorhaben sollen im Krankenhausbereich zukünftig nicht der Fusionskontrolle unterfallen, wenn sie als standortübergreifende Konzentration vom Bundesamt für Soziale Sicherung gefördert werden. 

Einführung und Anpassung der "Remondis-Klausel"

Der Gesetzentwurf enthält darüber hinaus eine überarbeitete Fassung der sogenannten Remondis-Klausel. Den Namen verdankt sie einem angeblich flächendeckenden Aufkauf kleiner Wettbewerber durch größere Entsorgungsunternehmen auf den regionalen Entsorgungsmärkten unterhalb der Umsatzschwellen des GWB. Die Akquisitionen mussten bislang nicht beim BKartA angemeldet werden mit der Folge, dass sie dort auch nicht geprüft werden konnten. 

Die neue Klausel soll dem BKartA die Möglichkeit geben, ein Unternehmen unter bestimmten Voraussetzungen zur Anmeldung aller künftigen Zusammenschlüsse in bestimmten Wirtschaftszweigen verpflichten zu können. In der Praxis dürften allerdings die Voraussetzungen zum Erlass eines solchen Verfügung seitens des BKartA nur in einem sehr begrenzten Umfang gegeben sein. Denn der Gesetzentwurf hat - im Gegensatz zum Referentenentwurf - den Anwendungsbereich der Klausel deutlich beschränkt. 

Der Gesetzentwurf verlangt zum Erlass einer solchen Verfügung einen gemeinsamen weltweiten Umsatz der beteiligten Unternehmen von 500 Millionen Euro, objektive Anhaltspunkte dafür, dass der Wettbewerb im Inland durch weitere Zukäufe erheblich behindert werden könnte und eine vorherige Durchführung einer Sektoruntersuchung durch das BKartA. 

Hierbei handelt es sich um eine eingehende Untersuchung eines bestimmten Wirtschaftszweigs, in deren Rahmen in der Regel zahlreiche Fragebögen an die Marktteilnehmer versendet werden. Im Anschluss veröffentlicht dann das BKartA im Regelfall einen Bericht über das Ergebnis. Derzeit werden von Deutschlands Wettbewerbshütern derartige Sektoruntersuchungen zum Beispiel im Bereich der Hausmüllentsorgung (läuft seit 2016), Smart-TVs (läuft seit Ende 2017), Vergleichsportale im Internet (läuft seit 2019) oder im Bereich der Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge (wurde jüngst eingeleitet) durchgeführt.  

Rechtsunsicherheit für Marktteilnehmer

Darüber hinaus ist für den Erlass einer entsprechenden kartellrechtlichen Verfügung ein "Anteil von mindestens 15 Prozent am Angebot der an der Nachfrage von Waren oder Dienstleistungen in Deutschland" erforderlich. An dieser Stelle wird nicht - wie sonst üblich - an einen Marktanteil angeknüpft. Dadurch entsteht vor Bestehen einer gefestigten Fallpraxis eine erhebliche Rechtsunsicherheit für alle Marktteilnehmer.

Neben den Voraussetzungen für den Erlass der Aufforderungsverfügung sind Zusammenschlussvorhaben nur dann anmeldepflichtig, wenn das Zielunternehmen Umsatzerlöse von über zwei Millionen Euro erwirtschaftet und dabei mehr als zwei Drittel dieser Umsätze in Deutschland erzielt hat. Zahlreiche kleinere international tätige Start-up-Unternehmen werden aufgrund dieser zwei Drittel-Regelung daher wohl nicht unter die Fusionskontrolle fallen. 

Der Anwendungsbereich der Remondis-Klausel ist mithin stark eingeschränkt worden und wird dem BKartA keine große Handhabe zur Bekämpfung sogenannter "killer acquisitions" geben. Diese beschreiben den strategischen Aufkauf kleinerer Wettbewerber zur Festigung der eigenen Marktstruktur. Auch die Fälle Flixbus/Postbus und Takeaway.com/Delivery Hero, die u.a. Anlass zur Einführung dieser Vorschrift waren, hätten wohl nicht die Voraussetzungen der Remondis-Klausel erfüllt.

Keine Begrenzung der Gesamtdauer von Fusionskontrollverfahren bei Fristverlängerungen

Weiter ist im Gesetzentwurf die Möglichkeit vorgesehen, die Prüffrist im Fall von aufwendigen fusionskontrollrechtlichen Hauptprüfverfahren (sog. Phase II) beim BKartA von vier auf fünf Monate zu verlängern. Dabei sieht der Gesetzentwurf - im Gegensatz zum Referentenentwurf - jedoch keine Beschränkung der Gesamtdauer aller Fristverlängerungen vor. Dies ist ausdrücklich zu begrüßen. Denn so wird den Unternehmen und dem BKartA eine flexible Prüfung von komplexen Zusammenschlussvorhabens ermöglicht. 

Zudem wird hierdurch eine unerfreuliche Entwicklung wie auf europäischer Ebene verhindert. Dort versucht die Europäische Kommission zunehmend, Fristbindungen durch Versendung umfangreicher Fragebögen an die Beteiligten, die eine "Stop-the-clock"-Verfügung bei nicht rechtzeitiger Beantwortung nach sich ziehen, zu umgehen. Dadurch verlängerte sich die durchschnittliche Dauer der Hauptprüfverfahren bei der Europäischen Kommission während der letzten Jahre deutlich.

Zweifel an Vorreiterrolle Deutschlands

Insgesamt bergen die Änderungen im Gesetzentwurf im Vergleich zum Referentenentwurf Licht und Schatten. Zu begrüßen ist die Anhebung der Umsatzschwellen und die Möglichkeit im Hauptverfahren nicht nur eine, sondern weitere Fristverlängerungen zu beantragen. 

Die Bereichsausnahme von der Fusionskontrolle für bestimmte Zusammenschlussvorhaben im Krankenhausbereich stellt eine komplexe Kompromisslösung dar. Ob diese wirklich in dieser Form vom Bundestag verabschiedet wird und - sofern ja - eine praktische Bedeutung haben wird, bleibt abzuwarten. 

In der Praxis steht ferner zu befürchten, dass die Remondis-Klausel zu erheblicher Rechtsunsicherheit führt und außerdem Anreize schafft, dass Unternehmen Akquisitionen erst kurz vor dem Abschluss einer Sektoruntersuchung in dem betreffenden Wirtschaftszweig durchführen. Die ursprüngliche Idee, dass der deutsche Gesetzgeber mit einer solche Regelung im europäischen Umfeld eine Vorreiterrolle einnimmt, darf daher bezweifelt werden.

Die Autoren Dr. Nicolas Kredel, LL.M. (Michigan) und Jan Kresken, LL.M. (Norwich) sind Anwälte bei Baker McKenzie.

Beteiligte Kanzleien

Zitiervorschlag

GWB-Digitalisierungsgesetz: . In: Legal Tribune Online, 15.10.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43116 (abgerufen am: 01.11.2024 )

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