GWB-Digitalisierungsgesetz: Last-Minute-Ände­rungen im Kar­tell­recht

Gastbeitrag von Dr. Nicolas Kredel, LL.M. (Michigan) und Jan Kresken, LL.M. (Norwich)

26.01.2021

Die 10. GWB-Novelle ist in Kraft getreten – mit einigen kurzfristigen Änderungen gegenüber dem ursprünglichen Gesetzentwurf. Die Änderungen entlasten die Unternehmen und das Bundeskartellamt, so Nicolas Kredel und Jan Kresken.

Der Bundestag hat die 10. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) beschlossen, die neuen Regelungen traten schon am Dienstag dieser Woche in Kraft. Die Novelle soll das deutsche Kartellrecht für die digitalen Märkte "fit machen" und die EU-Richtlinie 2019/1 zur Stärkung der Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten ("ECN+ Richtlinie") umsetzen. 

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) hatte im Herbst 2019 einen Referentenentwurf vorgelegt, Ende vergangenen Jahres einigte sich das Kabinett auf den Gesetzentwurf der Bundesregierung.  

Das nun in Kraft getretene Gesetz enthält jedoch zahlreiche Änderungen gegenüber dem Regierungsentwurf, vor allem zur Fusionskontrolle und zu den Missbrauchsregeln für marktmächtige Unternehmen. 

Fusionskontrolle: Höhere Schwellenwerte für Zusammenschlussvorhaben

Eine der wesentlichsten Änderungen betrifft die Fusionskontrolle. Unternehmen, welche die umsatzbezogenen Schwellenwerte überschreiten, müssen zwar nach wie vor ihr Zusammenschlussvorhaben beim Bundeskartellamt (BKartA) anmelden. Die Folge: Das Zusammenschlussvorhaben darf erst bei Freigabe durch das BKartA vollzogen werden (sog. Vollzugsverbot). Die Schwellenwerte werden aber deutlich angehoben. 

Künftig werden zusammenschlussbeteiligte Unternehmen ein Vorhaben anmelden müssen, wenn sie im letzten Geschäftsjahr weltweit einen gemeinsamen Umsatz in Höhe von 500 Mio. Euro Umsatz erzielten, deutschlandweit ein beteiligtes Unternehmen mindestens 50 Mio. Euro (bislang 25 Mio. Euro) und ein anderes beteiligtes Unternehmen deutschlandweit mindestens 17,5 Mio. Euro (bislang 5 Mio. Euro).

Außerdem soll es weiterhin einen transaktionsbezogenen Schwellenwert geben. Danach sollen Unternehmen ein Zusammenschlussvorhaben unter bestimmten Umständen auch dann beim BKartA anmelden müssen, wenn die Anmeldepflicht daran scheitern würde, dass die zweite Inlandsumsatzschwelle in Höhe von 17,5 Mio. Euro nicht überschritten wird. Das ist der Fall, wenn der Wert der Gegenleistung für den Zusammenschluss (unverändert) mehr als 400 Mio. Euro beträgt und das zu erwerbende Unternehmen in erheblichem Umfang in Deutschland tätig ist.

Durch die signifikant höheren Schwellenwerte sollen besonders kleine und mittelständische Unternehmen entlastet werden. Denn sie müssen künftig deutlich weniger Zusammenschlussvorhaben beim BKartA anmelden. Dadurch soll wiederum das BKartA entlastet werden. 2020 wurden noch rund 1.200 Zusammenschlussvorhaben beim BKartA angemeldet - nur sieben davon bedurften einer vertieften Prüfung durch das BKartA in der sog. Phase II. In Zukunft sollen durch die höheren Schwellenwerte deutlich mehr als 20 Prozent der bisher anmeldepflichtigen Zusammenschlussvorhaben wegfallen. Das BKartA kann sich also auf die wettbewerblich wirklich relevanten Zusammenschlussvorhaben großer Unternehmen konzentrieren. Dieser Ansatz ist zu begrüßen. 

Vor dem Kartellverstoß getroffene Compliance-Vorkehrungen zu berücksichtigen

Anders als im Regierungsentwurf vorgesehen, können künftig zudem nicht nur nach, sondern auch vor dem Kartellverstoß durchgeführte Compliance-Maßnahmen bei der Bußgeldberechnung durch das BKartA bußgeldmindernd berücksichtigt werden. Die Gesetzesbegründung stellt jedoch klar: Eine mildernde Berücksichtigung kommt wohl nicht in Betracht, wenn die Geschäftsleitung, zum Beispiel der Vorstand einer Aktiengesellschaft, oder eine sonstige für die Leitung des Unternehmens verantwortliche Person selbst am Kartellverstoß beteiligt gewesen ist und deutlich wird, dass sie selbst nicht hinter den von ihr vorgegebenen Compliance-Regelungen steht. Sofern also eine Person auf Leitungsebene an dem Kartellverstoß beteiligt ist, wird es für die betroffenen Unternehmen nahezu ausgeschlossen sein, ein unternehmensinternes Compliance Programm für eine Bußgeldreduzierung ins Feld zu führen.

Anderes muss dann gelten, wenn beispielsweise ein Vertriebsleiter für eine bestimmte Region oder ein lokaler Vertriebsleiter den Kartellverstoß begangen hat, also die mittlere oder untere Leitungsebene. Ein Compliance-Programm kann dann bußgeldmindernd berücksichtigt werden, sofern der Betriebsinhaber alles objektiv Erforderliche getan hat, um Kartellverstöße durch seine Mitarbeiter zu verhindern.

Die Änderung ist erfreulich - den Unternehmen war schwer zu vermitteln, weshalb ordentlich aufgesetzte und wirksame Compliance-Bemühungen sich nicht bußgeldmindernd auswirken sollten. Der Gesetzgeber tritt damit dem bisherigen Argument des BKartA und der Europäischen Kommission entgegen, dass ein Kartellverstoß in der Regel die mangelnde Wirksamkeit eines Compliance-Systems belege und es daher nicht bußgeldmindernd zu berücksichtigen sei. Deutschland folgt damit - abweichend von der Kommissionspraxis - dem Vorbild anderer Jurisdiktionen wie England, Italien oder den USA. Inwiefern das BKartA dieser Sichtweise in der Praxis folgen wird, bleibt abzuwarten.

§ 19a GWB wurde konkretisiert, der Rechtsweg verkürzt

Auch der neu eingeführte § 19a GWB wurde im Vergleich zum Gesetzentwurf umfassend überarbeitet. Mit dieser Norm soll das BKartA bestimmte Verhaltensweisen von Unternehmen mit überragender marktübergreifender Bedeutung für den Wettbewerb untersagen können. Die Vorschrift, die sich besonders an große Plattformbetreiber richtet, wurde im Vergleich zum Regierungsentwurf präziser formuliert und mit vielen Regelbeispielen ergänzt. 

Solchen Unternehmen wird künftig etwa verboten, eigene Angebote bei der Darstellung zu bevorzugen oder ausschließlich eigene Angebote auf Geräten vorzuinstallieren. Zudem dürfen sie andere Unternehmen nicht daran hindern oder es ihnen erschweren, ihre eigenen Angebote zu bewerben oder Kunden über externe Zugänge zu erreichen. Auch soll es diesen Unternehmen unter bestimmten Voraussetzungen verboten sein, die Nutzung eines Angebots oder von Diensten mit einem nicht erforderlichen anderen Angebot zu verbinden oder die Dienste mit Daten aus anderen Diensten des Unternehmens zu verarbeiten. 

Bevor das BKartA die o.g. "Katalogtaten" untersagt, muss es verfügen, dass das Unternehmen eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb hat - und die Verfügung auf fünf Jahre nach Eintritt der Bestandskraft befristen. Die Unternehmen können nur argumentieren, dass die Verhaltensweise sachlich gerechtfertigt ist. Die Darlegungs- und Beweislast hat das Unternehmen.

Für Streitigkeiten gegen Verfügungen des BKartA nach § 19a GWB ist der Bundesgerichtshof erste und letzte Instanz. Diese Rechtswegverkürzung soll der Dynamik der Digitalmärkte gerecht werden. Zudem soll verhindert werden, dass große Digitalunternehmen durch viele Gerichtsverfahren die neuen Regelungen zu umgehen versuchen und Urteile nicht erst dann ergehen, wenn Wettbewerber bereits aus dem Markt verdrängt wurden. Für andere Beschwerden, die nicht § 19a GWB betreffen, bleibt das Oberlandesgericht Düsseldorf in erster Instanz zuständig.

Sinnvolle Änderungen – aber manches wird der BGH klären müssen

Der Deutsche Bundestag hat begrüßenswerte Änderungen am Regierungsentwurf vorgenommen. Vor allem die bußgeldmindernde Berücksichtigung von vor dem Kartellverstoß erfolgten Compliance-Maßnahmen ist erfreulich und war überfällig. Es ist zu hoffen, dass das BKartA diese Möglichkeit selbst dann prüft, wenn die Geschäftsleitung oder eine sonstige für die Leitung des Unternehmens verantwortliche Person am Kartellverstoß beteiligt gewesen ist. 

Auch die höheren umsatzbezogenen Schwellenwerte in der Fusionskontrolle sind zu begrüßen. Sie wird mittelständische Unternehmen entlasten, die besonders wegen der aktuellen Situation über Zusammenschlüsse oder Minderheitsbeteiligungen nachdenken. 

Unklar bleibt, wie der neue §19a GWB in der Praxis umgesetzt wird und welche Entscheidungen des Bundesgerichtshofs ergehen werden. Diese Entwicklung ist mit Spannung zu erwarten. 

Die Autoren Dr. Nicolas Kredel, LL.M. (Michigan) und Jan Kresken, LL.M. (Norwich) sind Anwälte bei Baker McKenzie.

Zitiervorschlag

GWB-Digitalisierungsgesetz: . In: Legal Tribune Online, 26.01.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44087 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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