DNA-Spuren werden bisher nur höchst unvollständig ausgewertet, ein aktueller Gesetzentwurf soll das ändern. Marco Mansdörfer meint, dass man erst einmal etwas ganz anderes klären muss, bevor man über solch drastische Maßnahmen nachdenkt.
Die jüngsten Sexualmorde an einer Medizinstudentin in Freiburg im Breisgau und einer Joggerin im benachbarten Endingen am Kaiserstuhl haben die Republik erschüttert. Der Mörder der Joggerin könnte vor einigen Jahren eine ähnliche Tat in Österreich begangen haben und ein Serientäter sein. Zum Glück scheint wenigstens das Verbrechen an der Studentin aufgeklärt. DNA-Material und ein auffällig gefärbtes Haar haben den mutmaßlichen und zuvor bereits in Griechenland auffälligen Täter verraten.
Trotz solch offensichtlicher Erfolge werden DNA-Spuren bislang nur höchst unvollständig ausgewertet: Nach § 81e Strafprozessordnung (StPO) wird das Material derzeit im Wesentlichen lediglich für die Feststellung des Geschlechts und die Übereinstimmung mit der DNA des Beschuldigten verwendet. Die Untersuchung auf äußere Merkmale wie etwa die Augen- und Haarfarbe, die Ethnie oder das biologische Alter der Person ist bislang nicht erlaubt.
Die kriminalpolitische Diskussion um diese Einschränkungen schwelt seit über fünfzehn Jahren (vgl. Graalmann-Scheerer, ZRP 2002, 72). Gegen eine Ausweitung der DNA-Untersuchung auf zusätzliche Merkmale wird in erster Linie das Recht des mutmaßlichen Täters auf informationelle Selbstbestimmung ins Feld geführt. Mit veröffentlichten Hinweisen auf die Ethnie stünde zudem auch immer gleich eine ganze Bevölkerungsgruppe unter Generalverdacht, meinen Befürworter der Einschränkungen. Und nicht zuletzt kosten diese Untersuchungen auch tatsächlich in etwa das Hundertfache der bisher nur beschränkt durchgeführten Genanalyse. Sind das der Gründe genug, um auch in Zukunft auf Tests zu verzichten, die zusätzliche äußere Merkmale mit einbeziehen?
Ausweitung überschätzt Verlässlichkeit der neuen Methoden
Für Bayern und Baden-Württemberg anscheinend nicht. Beide Länder haben aktuell einen Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht, mit dem § 81e StPO trotz aller Kritik erweitert werden soll. Verfassungsrechtlich sei das in Ordnung, da weiterhin nur äußere Merkmale der Person analysiert würden. Im Übrigen könnten zielgenauere Ermittlungen Eingriffe gegen unbeteiligte Dritte, so zum Beispiel in Form von Reihengentests, vermeiden, heißt es zur Begründung.
Das Vorhaben löst ambivalente Gefühle aus. Auf den ersten Blick scheint der Vorschlag plausibel: Verbesserte technische Erkenntnismöglichkeiten gehören genutzt, auch verfassungsrechtlich wird das vermutlich schon "durchgehen".
Auf den zweiten Blick ist der Vorschlag im Grunde aber nichts Halbes und nichts Ganzes. Wenn die Gesetzesbegründung beispielsweise davon ausgeht, Reihengentests könnten gezielter und deshalb mit Unannehmlichkeiten für weniger Personen durchgeführt werden, so wird die Genauigkeit der neuen Untersuchungsmethoden überschätzt: Bei einer Kombination von Augenfarbe und Haarfarbe sinkt die Trefferquote der potentiellen Tätern leicht auf 80 Prozent ab. Anders ausgedrückt: Von 100 möglichen Personen werden schon 20 nicht mehr erfasst.
Auch beim biologischen Alter sind Abweichungen von bis zu zehn Jahren möglich. Es erlaubt nur vage Vorhersagen, wenn der mutmaßliche Täter bei einem ermittelten Alter von 30 Jahren tatsächlich zwischen 20 und 40 Jahren alt sein kann. Im Übrigen nennt der Gesetzesentwurf kein einziges konkretes Beispiel, in dem der Täter mit der Ausweitung der Merkmale und Methoden einfacher und schneller ermittelt worden wäre.
Die Frage ist eine ganz andere
Im Grunde steht eine ganz andere Debatte an: Wollen wir in der Bundesrepublik und in Europa den genetischen Fingerabdruck für alle? Wäre es nicht besser, von allen Personen – wie das Foto im Reisepass – ein DNA-Profil zu nehmen? Ein solches könnte man dann mit Spuren am Tatort abgleichen und den mutmaßlichen Täter identifizieren. Im Gegenzug wären jedenfalls Massengentest und Rasterfahndungen, die unbeteiligte Dritte betreffen, überflüssig. Natürlich ist die Antwort darauf heikel. Statt Schwarz-weiß-Lösungen wird man differenzieren müssen, eine Diskussion wäre sicher hart und es würden sich klare Fronten bilden.
Für einen engen Katalog schwerster Straftaten, wie etwa die erwähnten Sexualmorde, ist die Forderung jedenfalls keinesfalls abwegig. Dazu müsste aber offen über die Sicherheitslage im Land und darüber hinaus auch die Sicherheitspolitik insgesamt diskutiert werden. Der vorliegende Gesetzesentwurf aus dem "grünen" Baden-Württemberg und dem CSU-regierten Bayern ist damit aber nichts weiter als großkoalitionärer Einheitsbrei.
Der Autor Prof. Dr. Marco Mansdörfer ist Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht einschließlich Wirtschaftsstrafrecht und Strafprozessrecht an der Universität des Saarlandes. Zudem ist er als selbstständiger Strafverteidiger mit einem Schwerpunkt auf Wirtschaftsstrafrecht tätig.
Erweiterung der DNA-Analyse bei Straftaten: . In: Legal Tribune Online, 03.03.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22244 (abgerufen am: 06.11.2024 )
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