Wer Missstände beim Arbeitgeber publik macht, musste in der Vergangenheit immer wieder mit Sanktionen bis hin zu einer fristlosen Kündigung rechnen. Die SPD will das mit dem Entwurf für ein Hinweisgeberschutzgesetz ändern. Chancen dürfte der Vorstoß allerdings kaum haben, erläutert André Niedostadek.
Hätte das Thema selbst nicht einen durchaus ernsten Hintergrund, man könnte sich beim Whistleblowing manchmal an die Filmkomödie "Und täglich grüßt das Murmeltier" erinnert fühlen. Dort berichtet Bill Murray als zynischer TV-Wetteransager von einem Wetter-Ritual in der amerikanischen Kleinstadt Punxsutawney. Weil er in einer Zeitschleife gefangen ist, muss er sich dem immer wieder aufs Neue stellen, ohne, dass sich im Grunde etwas ändert.
Ganz ähnlich scheint es hierzulande zu sein, wenn es um das Anprangern von Missständen am Arbeitsplatz geht. Ein Thema, das in regelmäßigen Abständen neu diskutiert wird. Dabei geht es keineswegs um Lappalien. Das unterstreicht auch das große mediale Echo, wenn Korruptions- oder Gammelfleischskandale aufgedeckt werden.
Beschäftigte, die als Whistleblower derartige Praktiken in ihren Betrieben publik machten, erwartet allerdings oft ein Bumerang. Wegen Verletzung der arbeitsvertraglichen Treue- und Rücksichtnahmepflicht droht nicht selten die fristlose Kündigung. Deshalb wird von verschiedenen Seiten immer wieder gefordert, Hinweisgeber besser zu schützen. Trotzdem blieben die Forderungen bislang ungehört.
Neue Mentalität erst seit der EGMR-Entscheidung
In anderen Ländern, allen voran in den USA und in Großbritannien, gibt es für das Whistleblowing eigens Gesetze. An diesen fehlt es im deutschen Recht, sieht man einmal von einigen punktuellen Bestimmungen ab. So gibt es etwa das Beschwerderecht im Betriebsverfassungsgesetz oder noch konkreter die Entbindung von der Verschwiegenheit im Beamtenrecht, wenn es um den begründeten Verdacht einer Korruptionsstraftat geht. Der Vorschlag, einen rechtlichen Schutz im Bürgerlichen Gesetzbuch zu verankern, wurde hingegen nach kurzer Diskussion schon vor einigen Jahren schnell wieder verworfen.
Damit sind vor allem die Arbeitsgerichte gefragt, beim Whistleblowing klare Leitlinien für die Praxis zu finden. Die bestätigten in der Regel vom Arbeitgeber ausgesprochene Sanktionen. Bekannt geworden war vor allem der Fall einer Berliner Altenpflegerin. Ihr hatte der Arbeitgeber 2005 gekündigt, nachdem sie auf gravierende Mängel in der Pflege hingewiesen und sogar Anzeige erstattet hatte. Vor deutschen Gerichten blieb sie mit einer Kündigungsschutzklage erfolglos.
Eben dieser Fall brachte allerdings eine gewisse Wende, auch wenn es dazu noch einige Jahre dauern sollte. Die Pflegerin zog nämlich weiter nach Straßburg. Und so entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Sommer letzten Jahres, dass das Veröffentlichen von Missständen durchaus von der Meinungsäußerungsfreiheit gedeckt sein könne. Auch das Verhalten der Pflegerin sei als Whistleblowing zu bewerten und werde deshalb durch Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention geschützt.
Chancenloser Vorstoß der SPD
Sind die Konturen damit nun deutlicher gezogen und sämtliche Fragen geklärt? Offenbar nicht, hat doch das Whistleblowing erneut die politische Bühne erreicht. Nachdem bereits Ende 2011 die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen mögliche gesetzliche Inhalte zur Diskussion gestellt hatte, wagt nun die SPD mit einem Entwurf für ein Hinweisgeberschutzgesetz einen neuen Vorstoß.
Der Vorschlag zielt explizit darauf ab, die Hinweisgeber besser vor Kündigungen und sonstigen Benachteiligungen, etwa bei Karrierechancen, zu schützen. Als Whistleblower gelten demnach „Beschäftigte, die auf einen Missstand aufmerksam machen, der tatsächlich besteht oder dessen Bestehen die Hinweisgeberin oder der Hinweisgeber, ohne leichtfertig zu sein, annimmt."
Ein solcher Missstand soll dabei bereits vorliegen, wenn in einem Unternehmen oder einem Betrieb oder in dessen Umfeld "Rechte und Pflichten verletzt werden oder unmittelbar gefährdet sind". Solch weit gefasste Formulierungen werden aber wohl keinen politischen Konsens finden.
Hinzu kommt: Die Bundesregierung selbst hatte bereits im Oktober vergangenen Jahres klargestellt, dass sie die geltenden arbeitsrechtlichen Regelungen für ausreichend hält. Weitere diesbezügliche Aktivitäten sind damit in dieser Legislaturperiode kaum zu erwarten. Man muss nicht orakeln, dass jeder weitere Versuch in dieser Richtung wohl im Sande verlaufen wird.
Weitere Aktivitäten sind nicht ausgeschlossen
Ganz auf Eis gelegt ist das Thema aber möglicherweise dennoch nicht. So hatte man sich im Rahmen des G20-Gipfels in Seoul im November 2010 unter anderem darauf verständigt, bis Ende 2012 Regeln zum Whistleblower-Schutz zu erlassen und umzusetzen. Damit soll speziell die Korruptionsprävention gefördert werden.
Auf eine entsprechende Anfrage im Bundestag zum Umsetzungsstand verwies man von Regierungsseite im vergangenen Jahr darauf, dass derzeit von einer G20-Arbeitgsgruppe eine Zusammenstellung der Rechtslage in den einzelnen Mitgliedstaaten erarbeitet und eine auf "best practices" beruhende Empfehlung an die Mitglieder vorbereitet werde. Das Ergebnis dieser Arbeiten bleibe zunächst abzuwarten. Erst dann könne man beurteilen, ob und in welchem Umfang sich hieraus Konsequenzen für die G20 ergeben. Es ist also keineswegs ausgeschlossen, dass es zumindest perspektivisch doch noch zu weiteren Aktivitäten kommt.
Man mag all das begrüßen oder kritisieren. Gerade im Detail ist manches auch eine Glaubensfrage: Wer trägt etwa die Beweislast für die vorgeworfenen Missstände? Der Arbeitgeber oder der Arbeitnehmer? Es ist erforderlich, dafür verbindliche Regelungen zu schaffen.
Entscheidend ist aber zugleich, das Whistleblowing nicht zu tabuisieren und ins Abseits zu stellen. Whistleblower im eigentlichen Sinne handeln primär aus altruistischen Gründen. Das ist weit entfernt vom unerwünschten Denunzieren oder Anschwärzen. Wichtiger als eine gesetzliche Regelung dürfte es letztlich sein, dafür zu sorgen, dass Whistleblowing als Teil einer konstruktiven Unternehmenskultur gelebt wird. Das können Gesetze ohnehin nur bedingt leisten.
Der Autor Prof. Dr. André Niedostadek lehrt Wirtschafts-, Arbeits- und Sozialrecht an der Hochschule Harz.
André Niedostadek, Gesetzentwurf zum Whistleblowing: . In: Legal Tribune Online, 14.02.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5559 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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