Wenn Bahnfahrer oder Fluglotsen streiken, steht schnell das gesamte öffentliche Leben still. Streiks in der Daseinsvorsorge betreffen vor allem Unbeteiligte. Um das Streikrecht auf Kosten Dritter einzuschränken, haben drei Juraprofessoren einen Gesetzentwurf erarbeitet, von Notdienst bis Mini-Gewerkschaften wollen sie vieles regeln. Nett, kommentiert Volker Rieble, aber wer steckt eigentlich dahinter?
Eine "Professoreninitiative" dreier renommierter Rechtswissenschaftler hat "im Auftrag" der Carl Friedrich v. Weizsäcker Stiftung den Entwurf eines "Gesetz[es] zur Regelung kollektiver Arbeitskonflikte in der Daseinsvorsorge" vorgelegt.
Der Vorschlag der Juristen Martin Franzen, Gregor Thüsing und Christian Waldhoff knüpft schon sprachlich an den "Professorenentwurf" des Gesetzes zur Regelung kollektiver Arbeitskonflikte aus dem Jahr 1988 von Birk/Konzen/Löwisch/Raiser/Seiter an.
Seine Zielrichtung aber ist enger: Er will nur den Arbeitskampf in der Daseinsvorsorge begrenzen, damit Streiks von Piloten, Fluglotsen, Ärzten, Krankenschwestern, Feuerwehrleuten und Bahnfahrern die Allgemeinheit nicht übermäßig scharf treffen. Sein Grundanliegen ist durchweg gerechtfertigt: Das Streikrecht wird wie jedes Recht durch kollidierende Rechtsgüter Dritter beschränkt.
Der unmittelbare Streikgegner wird bisher aber nur durch das Verbot des Vernichtungsstreiks geschützt. Für Dritte und die Allgemeinheit stellt sich die Frage deswegen anders, weil sie im Arbeitskampf nicht nachgeben können und auf die durch Streik entfallende Leistung angewiesen sind. Behinderte oder alte Menschen, die beim S-Bahn-Streik nicht zum Arzt gelangen, nicht einkaufen können – sie zahlen die Zeche für die Tarifdurchsetzung genau so wie Pendler, die zu spät zur Arbeit kommen.
Arbeitsrichter im sozialpolitischen Elfenbeinturm
Der Entwurf hat sich deshalb zum Ziel gesetzt, die Kollateralschäden kollektiver Arbeitskämpfe abzumildern. So richtig und klar dieses Anliegen auch ist, seine konkrete Umsetzung gestaltet sich schwierig vor allem auch angesichts einer feigen Politik, die seit Jahrzehnten jedwede Arbeitskampfregulierung verweigert. Dabei mangelt es nicht an historischen Vorbildern: Exemplarisch ist insoweit die gelungene Verordnung des Reichspräsidenten vom 10. November 1920 (RGBl 1865), die schon Anfang des 20. Jahrhunderts den Arbeitskampf in Betrieben regulierte, welche die Bevölkerung mit Gas, Wasser, Elektrizität versorgen.
Als nicht minder unfähig als die Politik erweisen sich auch die Arbeitsgerichte, die für ihr richterliches Arbeitskampfrecht bislang keine Daseinsvorsorgeschranken entwickelt haben – auch um andere Arbeitskämpfe nicht zu belasten. Insofern ist es durchweg kritisch zu sehen, dass die in die Arbeitsgerichtsbarkeit eingebundenen ehrenamtlichen Richter nur die Verbände repräsentieren und Drittinteressen systemisch ausgeblendet werden.
Schon die Zusammensetzung des Ersten und für den Arbeitskampf zuständigen Senats des Bundesarbeitsgerichts (BAG), den man getrost als Arbeitskampfsenat bezeichnen kann, bei den zentralen Arbeitskampfentscheidungen führt klar vor Augen, dass die Arbeitsgerichte besetzungsimmanente Scheuklappen tragen. Unterstützungsstreiks und flash-mob belasten gerade Dritte – was den Senat, der sie zulässt, in seinem sozialpolitischen Elfenbeinturm nicht stört.
Daseinsvorsorge und holländische Schnittblumen
Gewerkschaften fordern ein grenzenloses Streikrecht auch auf Kosten Dritter und verweisen auf die eigene Vernunftbefähigung. Der Staat aber muss diejenigen schützen, die auf Daseinsvorsorgeleistungen angewiesen sind. Der nun vorgelegte Gesetzentwurf der Professoreninitiative greift das Schutzkonzept des Professorenentwurfs aus 1988 auf und entwickelt es sinnvoll fort.
Zentrale Frage ist zunächst, welche Bereiche als "Daseinsvorsorge" zu identifizieren sind: Der Entwurf nennt: Medizinische und pflegerische Versorgung, Versorgung mit Energie und Wasser, Feuerwehr, Bestattung, Entsorgung, Landesverteidigung und innere Sicherheit, Verkehr, Erziehungswesen und Kinderbetreuung, Kommunikationsinfrastruktur, Versorgung mit Bargeld und Zahlungsverkehr.
Insofern fehlt der sachliche Abgleich mit § 4 Arbeitssicherstellungsgesetz. Die Vorschrift nennt schon jetzt Bereiche, die so sensibel sind, dass zu ihrem Schutz die Arbeitsfreiheit eingeschränkt werden kann. Klärungsbedürftig ist vor allem die Reichweite von "Verkehr": Sind auch Binnenschiffahrt und jedweder Flugverkehr (etwa der Ferienflieger nach Mallorca) für die Allgemeinheit unerlässlich – und auch jeder Gütertransport, etwa der von holländischen Schnittblumen? Was ist mit der Nahrungsversorgung über den Einzelhandel?
Keine Streiks ohne Notdienst
Um die Streiks in der Daseinsvorsorge einzudämmen, setzt die Professoreninitiative auf vier zentrale Verfahrensvorgaben – und verzichtet gezielt darauf, einen eigenen Maßstab für die Verhältnismäßigkeit eines Arbeitskampfes festzulegen:
- Jeder Streik in der Daseinsvorsorge ist vier Tage im Voraus anzukündigen, damit sich die "Opfer" auf ihn einstellen können.
- Um die erforderliche Grundversorgung sicherzustellen, werden die Arbeitskampfparteien verpflichtet, einen Notdienst aufrechtzuerhalten, der vor einer besonderen Einigungsstelle auf Bundes- oder Landesebene erzwungen werden kann; ohne Notdienstregelung ist der Arbeitskampf von vornherein unzulässig. Verdächtig daran: Die Einigungsstelle soll zwar die Allgemeinheit schützen – besetzt aber wird sie von den Kampfparteien. Bedenklich ist auch, dass der Vorschlag die Marktsubstituierung streikbedingt entfallender Leistungen nicht analysiert. Den Streik bei der Bahn können Buslinien auffangen. Ein Hausstreik bei einer Klinik beeinträchtigt die Gesundheitsversorgung nicht, wenn in der Nähe andere Kliniken greifbar sind.
- Der Streik in der Daseinsvorsorge ist nur nach qualifizierter Urabstimmung der Gewerkschaft zulässig. Damit wird die Urabstimmung vom autonomen Verbandsinternum zur externen Zulässigkeitsvoraussetzung des Arbeitskampfes – weil ein Arbeitskampf, den nicht einmal die Mitglieder mehrheitlich für nötig halten, auch Dritten nicht zugemutet werden kann und deshalb das ultima-ratio-Prinzip verletzt.
- Schließlich darf in den Wirtschaftszweigen der Daseinsvorsorge erst gestreikt werden, wenn zuvor ein Schlichtungsversuch unternommen wurde. Das hat der Große Senat des BAG zwar schon für alle Arbeitskämpfe gefordert, doch wurde dies vom Arbeitskampfsenat rechtswidrig weggelächelt.
Problematisch: Keine Streiks für Minigewerkschaften?
Problematisch ist allerdings der "Vorfeldlotsenparagraph" 7 des Entwurfs, der solchen Gewerkschaften, die mit ihrer Tarifzuständigkeit im Tarifgebiet oder im Unternehmen weniger als 15 Prozent der Arbeitsverhältnisse repräsentieren, das Streikrecht ganz nimmt.
Einerseits lässt sich ein Streik von "Splittergruppen" womöglich als schlechthin unverhältnismäßig qualifizieren, wenn er nur wenigen Arbeitnehmern nützt, aber den ganzen Betrieb zu Lasten der Allgemeinheit lahmlegt. Andererseits könnte das Streikrecht aber unverhältnismäßig beschränkt werden, weil auch ein solcher Splittergruppenstreik ja bereits an die anderen Schranken gebunden ist.
Das BAG hat es bislang abgelehnt, die Verhältnismäßigkeit von intendiertem Tariferfolg und angerichtetem Kampfschaden zu prüfen. Auch ist die Manipulationsgefahr zu bedenken, weil ein Unternehmen wie FRAPORT gezielt das Unternehmen vergrößern kann, um eine gerade eben über der 15-Prozent-Marke liegende Gewerkschaft "abzuschießen".
Auch ein guter Vorschlag braucht Transparenz
Nach dem Willen der "Professoreninitiative" soll die Streikbegrenzung für die Daseinsvorsorge in einem Bundesgesetz festgeschrieben werden. Der Bundesgesetzgeber tut sich aber schwer, das Streikrecht zu reglementieren.
Allerdings könnte die zu erwartende Feigheit auf Bundesebene von den Ländern durchbrochen werden: Arbeitskampf und Schlichtungsrecht ist bundesgesetzlich nicht geregelt. Das immer noch gültige, aber ineffektive Kontrollratsgesetz Nr. 35, das Ausgleichs- und Schiedsverfahren in Arbeitsstreitigkeiten regelt, ist Besatzungsrecht.
Auch das "Richterrecht" des BAG zum Arbeitskampf ist von vornherein kein Bundesrecht, das den Landesgesetzgeber ausbremsen könnte. Wenn also der Bund sich nicht traut, dann können die Bundesländer die Daseinsvorsorgeverantwortung für ihr Landesvolk wahrnehmen.
Eine intensive Diskussion über den Entwurf ist allerdings erst möglich, wenn die Begründung des Vorschlags vorliegt. Die Verfasser haben ihr "Buch" fertig – es ruht aber noch bei der Carl-Friedrich-von Weizsäcker-Stiftung und ihrem "Direktor Projektbereich Zukunft der Arbeit", Dr. Frank Meik. Für die Diskussion wäre es hilfreich, wenn die Stiftung, deren Eigenkapital zur Finanzierung dieses Projektes nicht annähernd ausreicht, aufdeckte, wer finanziell dahinter steht.
Am 20. März 2012 wurde nicht nur in der Presse diese Professoreninitiative vorgestellt. Am gleichen Tag diskutierte der Deutsche Hochschulverband in Hannover über die Transparenz in der Wissenschaft. Das Plenum war sich einig, dass Drittmittel der Wissenschaft helfen – ihre Herkunft indes stets zu veröffentlichen ist.
Es wäre über alle Maßen zu bedauern, wenn die redliche Anstrengung der Professoren Franzen, Thüsing und Waldhoff dadurch befleckt würde, dass das Institut seine Quellen nicht nennen und damit nach dem Projekt Tarifeinheit (F.A.S. vom 15. August 2010, Seite 31) erneut den Verdacht aufkeimen lassen würde, hier würde Wissenschaftsgeldwäsche betrieben. Schade fände dies gewiss auch Carl Friedrich von Weizsäcker, der sich posthum nicht gegen wissenschaftsinadäquate Vorgänge in "seiner" Stiftung wehren kann.
Der Autor Volker Rieble ist Inhaber des Lehrstuhles für Arbeitsrecht und Bürgerliches Recht an der Ludwig-Maximilians-Universität München und Direktor des Zentrums für Arbeitsbeziehungen und Arbeitsrecht (ZAAR) an der LMU.
Gesetzentwurf für weniger Streiks in der Daseinsvorsorge: . In: Legal Tribune Online, 23.03.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5851 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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