Das Gesetz gegen Hasskriminalität im Netz liegt seit Monaten beim Bundespräsidenten – es kann nicht ausgefertigt werden, weil es offensichtlich verfassungswidrig ist. Nun hat das BMI ein Reparaturgesetz vorgelegt. Wie geht es weiter?
Das Bundesinnenministerium hat einen Gesetzentwurf vorgelegt, um die Bestandsdatenauskunft neu zu regeln – und so an einen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 27. Mai dieses Jahres anzupassen. Der Gesetzentwurf liegt LTO vor.
Dabei geht es um Vorschriften im Telekommunikationsgesetz (TKG), in der Strafprozessordnung (StPO) und in mehreren weiteren Gesetzen, die es verschiedenen Sicherheitsbehörden des Bundes – etwa dem Bundeskriminalamt (BKA), der Bundespolizei, dem Verfassungsschutz, dem Bundesnachrichtendienst (BND) und dem Militärischen Abschirmdienst (MAD) – erlauben, Bestandsdaten bei Telekommunikationsanbietern abzufragen. Gemeint sind Kundendaten wie Name, Anschrift, Emailadresse und auch Zugangsdaten, wozu auch (verschlüsselte) Passwörter gehören können.
Die Karlsruher Richter hielten die bisherigen Regelungen zur Bestandsdatenauskunft für zu weitgehend – und das schon zum zweiten Mal. Die Vorschriften, um die es ging, sollten nämlich eigentlich einen BVerfG-Beschluss vom Februar 2012 umsetzen (Bestandsdatenauskunft I). Der neue Beschluss heißt deshalb "Bestandsdatenauskunft II" (Beschl. v. 27.05.2020, Az: 1 BvR 1873/13, 1 BvR 2618/13 - Bestandsdatenauskunft II).
Mit dem "Bestandsdatenauskunft II"-Beschluss erklärte das BVerfG § 113 Telekommunikationsgesetz (TKG) und mehrere Fachgesetze des Bundes, die die manuelle Bestandsdatenauskunft regeln, für verfassungswidrig. Die Vorschriften verletzten die Grundrechte auf informationelle Selbstbestimmung sowie auf Wahrung des Telekommunikationsgeheimnisses. Seit Mai dieses Jahres war damit klar, dass der Gesetzgeber das TKG und die entsprechenden Fachgesetze ändern muss. Die Richter setzten dafür eine Frist bis zum 21. Dezember 2021, bis dahin bleiben die Vorschriften nach Maßgabe des Gerichts anwendbar.
Ohne Bestandsdatenauskunft läuft das Hatespeech-Gesetz ins Leere
Doch der Zeitdruck für die Bundesregierung ist größer. Denn: Auch das Gesetz zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Hasskriminalität baut auf die Regelungen zur Übermittlung und Abfrage von Bestandsdaten auf.
Und dieses sogenannte Hatespeech-Gesetz ist ein Prestigeprojekt von Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD). Es soll vor allem eine effektivere Strafverfolgung von Hasskriminalität im Netz ermöglichen, Ziel ist eine bessere Zusammenarbeit von Strafverfolgungsbehörden und Anbietern großer sozialer Netzwerke wie Facebook, Twitter, Youtube, Instagram und TikTok. Verabschiedet ist das Gesetz schon, aber ausgefertigt noch nicht.
Vorgesehen ist insbesondere eine Meldepflicht im Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG), wonach die Anbieter strafbare Inhalte direkt an das BKA melden müssen. Das BKA soll die gemeldeten Inhalte prüfen und – möglichst schnell – anhand der ebenfalls gemeldeten IP-Adresse Bestandsdaten erheben, mit denen der Nutzer identifiziert werden kann. So könnten die Ermittler auch Inhalte zuordnen, die anonym oder unter falschem Namen gepostet werden und dann die jeweils zuständige Staatsanwaltschaft einschalten.
Das Problem: Nach der Entscheidung des BVerfG war klar, dass der Gesetzgeber beim Hatespeech-Gesetz, grob zusammengefasst, die gleichen Fehler gemacht hat wie beim TKG. Und das war so offensichtlich, dass der Bundespräsident das Gesetz nicht ausfertigen konnte. Es ist zwar sehr selten, dass die Verfassungswidrigkeit einem Gesetz derart auf die Stirn geschrieben steht, dass der Bundespräsident seine Unterschrift verweigert – in diesem Fall waren die Bedenken jedoch offensichtlich zu groß.
Der Bundespräsident könnte beide Gesetze gemeinsam ausfertigen
Nun setzt die Bundesregierung offenbar darauf, dass der Bundespräsident das Gesetz doch noch ausfertigt – und die Änderung gleich mit. Der Gesetzentwurf des BMI sieht nämlich vor, dass auch das Hatespeech-Gesetz geändert wird, obwohl es noch gar nicht in Kraft getreten ist. Der Gesetzentwurf lässt einfach eine Lücke, in der dann das Datum und die Fundstelle des Gesetzes eingefügt werden soll. Das heißt: Der Bundespräsident könnte beide Gesetze direkt nacheinander ausfertigen und beide könnten im selben Bundesgesetzblatt veröffentlicht werden.
Derzeit befindet sich der Entwurf noch in der Abstimmung innerhalb der Bundesregierung. Er soll noch im Dezember in den Bundestag eingebracht werden.
"Die Bundesjustizministerin hat den Bundesinnenminister mehrfach gebeten, das Verfahren so zu beschleunigen, dass das Reparaturgesetz noch dieses Jahr verkündet werden und damit das Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität zum 1. Januar 2021 in Kraft treten kann", so ein Sprecher des BMJV.
Es sei besonders eilbedürftig, heißt es auch seitens des BMI, die Verbände sollen ihre Stellungnahmen bis zum 1. Dezember mitteilen.
Der rechtspolitische Sprecher von CDU und CSU im Bundestag Dr. Jan-Marco Luczak (CDU) zeigte sich zuversichtlich, dass das Vorhaben schnell umgesetzt werden kann. "Das Bundesinnenministerium hat jetzt einen Referentenentwurf erarbeitet, mit dem den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts Rechnung getragen wird." Hass und Hetze im Netz müssten endlich wirksam bekämpft werden. "Das Gesetzgebungsverfahren wollen wir bis Jahresende abschließen. Damit das gelingt, wollen wir das Gesetz als Fraktionsinitiative einbringen, das beschleunigt das parlamentarische Verfahren", so Luczak.
Kritik von den Grünen: "Ein Affront, dass die Bundesregierung das Parlament nicht geordnet informiert"
Dagegen kritisiert der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen Konstantin von Notz, dass es bisher nicht gelungen ist, das Hasskriminalitätsgesetz verfassungskonform umzusetzen: "Das Gesetz sollte unmittelbar nach dem Anschlag von Halle kommen. Auch mehr als ein Jahr nach der schrecklichen Tat ist es noch immer nicht in Kraft."
Unklar ist auch, ob das parlamentarische Verfahren so reibungslos laufen wird, wie sich das Union und SPD wünschen. "Wie es weitergehen wird, ist völlig unklar", so von Notz gegenüber LTO. "Zwar hat man nun einen neuen Referentenentwurf an Verbände geschickt, dieser ist aber nicht einmal innerhalb der Bundesregierung abgestimmt. Ob die Vorgaben des höchsten deutschen Gerichts vollumfänglich beachtet werden, ist aus heutiger Perspektive zumindest fraglich. Deutlich hingegen ist schon heute, dass der Aufwand für das BKA als Zentralstelle noch einmal steigen wird."
Es sei "ein Affront gegenüber dem Bundestag und seinen Fraktionen, dass die Bundesregierung es auch weiterhin nicht für nötig erachtet, das Parlament, also das Verfassungsorgan, das das Gesetz beschlossen hat und die nötigen Änderungen gemeinsam mit dem Bundesrat beschließen müsste, über all diese Vorgänge in geordneter Weise zu informieren", so von Notz weiter. Nun müsse das Gesetz so schnell wie möglich dem Bundestag vorgelegt werden.
Kann das Gesetz gegen Hasskriminalität bald in Kraft treten?: . In: Legal Tribune Online, 26.11.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43552 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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