Ein Gesetz soll das Äußere von Beamt:innen reglementieren. Kirsten Wiese sieht darin die Ermächtigungsgrundlage für ein bundesweites Kopftuchverbot und meint, dass das eindeutig zu weit geht. Auch bestimmte Tattoos soll das Gesetz verbieten.
Der Bundestag hat am vergangenen Donnerstag das "Gesetz zur Regelung des Erscheinungsbilds von Beamtinnen und Beamten sowie zur Änderung weiterer dienstrechtlicher Vorschriften" (Drucksache 19/26839) mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Alternative für Deutschland (AfD) verabschiedet. Die Zustimmung des Bundesrates steht noch aus.
Durch das Gesetz werden unter anderem in § 61 Bundesbeamtengesetz (BBG) und in § 34 Beamtenstatusgesetz (BeamtStG) Ermächtigungsgrundlagen eingefügt, um Beamt:innen das Tragen von sichtbaren "bestimmten Kleidungsstücken, Schmuck, Symbolen und Tätowierungen" zu verbieten - und zwar auch dann, wenn sie "religiös oder weltanschaulich konnotiert" sind.
Anlass für die gesetzlichen Änderungen war eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) von 2017 (Urt. v. 17.11.2017, 2 C 25.17). Mit dem Urteil bestätigte das BVerwG die Entlassung eines Berliner Polizeibeamten wegen dessen Verstoßes gegen die Pflicht zur Verfassungstreue. Der Ex-Polizeibeamte hatte mehrfach den Hitler-Gruß gezeigt, schmückte seine Wohnung mit Adolf Hitler- und Rudolf Hess-Portraits und trug verfassungsfeindliche Tätowierungen.
Das BVerwG verlangte jedoch, dass der Gesetzgeber zukünftig eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage schaffe, um bestimmte Tätowierungen verbieten zu können. Tattoo-Verbote greifen in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG ein, weil sie zwangsläufig die private Lebensführung betreffen. Bislang wurden Tattoo-Verbote auf die Befugnis der Dienstherren, die Dienstkleidung zu regeln, gestützt (für Bundesbeamt:innen: § 74 BBG).
Rechte Tattoos nein, "Aloha" ja
Mit dem neuen § 61 BBG wird nun eine entsprechende Ermächtigungsgrundlage für Bundesbeamt:innen geschaffen. Zugleich wird mit der Änderung in § 34 BeamtStG die gesetzliche Grundlage für Tattoo-Verbote in allen Bundesländern verankert, weil das Beamtenstatusgesetz die wesentlichen Rechte und Pflichten aller Beamter:innen von Bund, Ländern und Kommunen festlegt (§ 1 BeamtStG).
Materiell-rechtlich sind die gesetzlichen Änderungen jedenfalls erforderlich, um zu verhindern, dass Beamt:innen im Dienst sichtbar Tattoos mit verfassungsfeindlichem – etwa extremistischen, rassistischen oder sexistischen – Inhalten tragen. Allerdings gehen die gesetzlichen Formulierungen darüber hinaus. Danach können "Merkmale des Erscheinungsbildes" untersagt werden, wenn sie "durch ihre über das übliche Maß hinausgehende besonders individualisierende Art geeignet sind, die amtliche Funktion der Beamtin oder des Beamten in den Hintergrund zu drängen."
Laut Gesetzesbegründung führen sichtbare Tattoos weiterhin dazu, dass die tätowierte Person eher als Individuum und weniger als Repräsentantin des Staates wahrgenommen wird. In diesem Sinn hielt das BVerwG im Mai 2020 das Tätowierungsverbot für einen bayerischen Polizeibeamten rechtmäßig (Urt. v. 14.5.2020, 2 C 13/19). Er wollte sich "Aloha" auf den Unterarm tätowieren lassen.
Tätowierungen in der Gesellschaft immer akzeptierter
Mit solchen weitgehenden Tattoo-Verboten verkennen aber Gesetzgeber und BVerwG den gesellschaftlichen Wandel zur Akzeptanz von Tattoos. Zudem können Polizeibeamte:innen Langarmhemden tragen. Das Vertrauen der Bevölkerung in die Polizei hängt nicht von deren gänzlich einheitlichem Bild ab.
Zudem ist die Ermächtigung zu Tattoo-Verboten im BeamtStG formell-rechtlich nicht erforderlich und verfassungsrechtlich problematisch. Nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 27 kann der Bund nur die Statusrechte und –pflichten der Beamten:innen der Länder regeln. Dazu zählen die wesentlichen statusprägenden Rechte und Pflichten. Ob Tattoos unabhängig von ihrem Inhalt statusprägend sein können, ist sehr fraglich.
Einige Bundesländer wie Bremen (§ 56 Abs. 3 BremBG) und Bayern (Art. 75 Abs. 2 BayBG) haben sowieso in ihre Beamtengesetze bereits Vorschriften aufgenommen, um das Erscheinungsbild von Beamt:innen einschließlich „Haar- und Barttracht“ sowie "Tätowierungen, Piercings, Brandings oder Ohrtunnel" regeln zu können.
Ein bundesweites Kopftuchverbot möglich
Die vom Bundestag beschlossenen Vorschriften ermächtigen die Dienstherren auch, "religiös oder weltanschaulich konnotierte Merkmale des Erscheinungsbildes" einzuschränken oder zu untersagen, "wenn sie objektiv geeignet sind, das Vertrauen in die neutrale Amtsführung der Beamtin oder des Beamten zu beeinträchtigen". Im Klartext wird damit die Möglichkeit zu Kopftuchverboten im öffentlichen Dienst bundesweit und unabhängig von der dienstlichen Funktion gegeben. Da gemäß Richtergesetzen von Bund und Ländern beamtenrechtliche Vorschriften entsprechend anwendbar sind (z.B. § 4 Bremisches Richtergesetz), wird die Ermächtigung zu Kopftuchverboten auch für Richter:innen gelten.
In der Gesetzesbegründung wird auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) von Januar 2020 zu einer hessischen Rechtsreferendarin mit Kopftuch verwiesen (Beschl. v. 14.01.2020, 2 BvR 1333/17). Das BVerfG entschied, dass es Rechtsreferendarinnen verboten werden könne, während ihrer Ausbildung mit Kopftuch hoheitliche Aufgaben wie die Sitzungsvertretung für die Staatsanwaltschaft durchzuführen.
Keine Regelungsnotwendigkeit zum Kopftuch
Allerdings erklärte das BVerfG ausdrücklich, dass das Grundgesetz nicht dazu zwänge, der Referendarin das Tragen religiöser Symbole im Gerichtssaal zu verbieten (Leitsatz 8). Für Richter:innen und andere uniformierte Beamt:innen wie etwa Staatsanwältinnen oder Polizisten kann insoweit nichts Anderes gelten: Das Grundgesetz erlaubt zwar ein Verbot, religiöse Symbole im Dienst zu tragen, zwingt den Gesetzgeber aber nicht dazu.
Sofern aber Beamteninnen oder Richterinnen das Tragen des Kopftuches und anderer religiöser Symbole verboten werden soll, bedarf es dafür einer gesetzlichen Grundlage. Das BVerwG entschied im November 2020, dass die an eine bayerische Rechtsreferendarin ergangene Weisung, kein Kopftuch auf der Richter:innenbank zu tragen, rechtswidrig sei (Urt. v. 12.11.2020, 2 C 5.19). Als Grund führte das Gericht an, dass zum Zeitpunkt der Weisung, 2016, keine entsprechende gesetzliche Ermächtigungsnorm bestand.
Ob und inwieweit die Länder das Kopftuchtragen im öffentlichen Dienst einschränken wollen, sollte der Bund mit Blick auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 27 GG ihnen überlassen. So verbieten mittlerweile mehrere Bundesländer durch ihr Justiz- oder Richtergesetz ausdrücklich, dass Richter:innen oder Staatsanwälte:innen bei Amtshandlungen "sichtbare religiös oder weltanschaulich geprägte Symbole oder Kleidungsstücke" tragen, die "Zweifel an ihrer Unabhängigkeit, Neutralität oder ausschließlichen Bindung an Recht und Gesetz hervorrufen können" (z.B. Art. 11 Abs. 2 Bayerisches Richter- und Staatsanwältegesetz). In Berlin setzte dagegen der grüne Justizsenator durch, dass seit August 2020 Rechtsreferendarinnen das Kopftuch auf der Richter:innenbank tragen dürfen.
Kopftuch gefährdet nicht automatisch die neutrale Amtsführung
Die neuen Vorschriften zur Beschränkung "des religiös oder weltanschaulich konnotierten Erscheinungsbildes" sind zudem mit Blick auf die Religionsfreiheit aus Art. 4 GG höchstproblematisch, weil sie suggerieren, dass das Kopftuch von uniformierten Beamtinnen wie Polizistinnen immer dazu geeignet ist, das Vertrauen in ihre neutrale Amtsführung zu beinträchtigen. Durch die Formulierung "objektiv geeignet" geht es dem Gesetzgeber nämlich nicht darum, ob eine Beamtin mit Kopftuch im Einzelfall aufgrund ihres Verhaltens das Vertrauen beeinträchtigt, sondern um die Klarstellung, dass es für diese Wirkungen nicht auf die Absichten der Trägerin ankommt.
In seiner Entscheidung zum Kopftuch der hessischen Rechtsreferendarin hat das BVerfG zwar 2020 eine solche Sicht auf das Kopftuch gebilligt: Der Staat dürfe Maßnahmen ergreifen, die die Neutralität der Justiz aus der Sichtweise eines objektiven Dritten unterstreichen. Für diese Entscheidung ist das BVerfG aber zu recht stark kritisiert worden. Viel überzeugender war das BVerfG, als es 2015 entschied, dass Lehrerinnen das Tragen eines muslimisch motivierten Kopftuches nicht allein wegen dessen abstrakter Eignung zur Begründung einer Gefahr für Schulfrieden und staatliche Neutralität verboten werden könne (Beschl. v. 27.01.2015, 1 BvR 471/10).
Es braucht eine öffentliche Debatte
Das Gesetz zur Regelung des Erscheinungsbildes von Beamten und Beamtinnen ist bislang weitgehend unterm Radar der Öffentlichkeit verhandelt und beschlossen worden. Auch im Bundestag fand keine Aussprache statt. Gesetze mit Regelungen, die so weitreichend in die Grundrechte von Beamten:innen eingreifen, bedürfen aber dringend mehr öffentlicher Beteiligung. Das muss erst recht für Regelungen gelten, die der Bevölkerung eine bestimmte Meinung von sichtbaren Tattoos und Kopftüchern unterstellen.
Der Ball ist nun beim Bundesrat. Der kann, da es sich um ein Zustimmungsgesetz handelt, dieses im zweiten Durchgang stoppen. Im ersten Durchgang - nach Zusendung des Gesetzesentwurfes durch die Bundesregierung – hat er es leider widerstandslos passieren lassen.
Rechtsprofessorin Dr. Kirsten Wiese lehrt seit 2016 Staats- und Verwaltungsrecht an der Hochschule für Öffentliche Verwaltung Bremen.
Bundestag will neue Regeln für religiöse Symbole und Tattoos im Beamtenrecht: . In: Legal Tribune Online, 26.04.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44811 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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