Richter sind unabhängig und nur dem Gesetze unterworfen, so das Grundgesetz. Wie unvoreingenommen aber kann man als Berufsrichter oder Schöffe in die Hauptverhandlung gegen einen Promi gehen, wenn bereits Ermittlungsverfahren und Untersuchungshaft medial ausgeschlachtet wurden und Gesprächsthema Nr. 1 an deutschen Stammtischen waren? Von Sebastian Kocks.
Gerichtsverfahren stehen im Blickpunkt der Öffentlichkeit, sie füllen den Blätterwald ebenso wie die Boulevardmagazine im Fernsehen. Mal ist der Gegenstand des Verfahrens von Interesse, etwa wenn einer Supermarkt-Kassiererin wegen des Einlösens eines Pfandbons gekündigt wird, mal weckt vor allem bei den so genannten "Promi-Prozessen" – aber auch erst die Person des Beschuldigten das Interesse der Öffentlichkeit.
Die Medien stürzen sich auf diese Verfahren, berichten über die erste Mahlzeit in Untersuchungshaft, lassen den Verteidiger zu jedem Verfahrensstadium vor der Kamera plädieren und ermitteln jedes noch so kleine Detail aus dem privaten Umfeld des Beschuldigten.
Sie begleiten die Hauptverhandlung im Gerichtssaal, interpretieren Gestik und Mimik des Angeklagten und deuten jede Handbewegung des Belastungszeugen, um Rückschlüsse auf dessen Glaubwürdigkeit zu ziehen. Medien bilden (sich) eine Meinung – und schaffen die Grundlage dafür, dass auch der juristisch unbefleckte Leser und Zuschauer – ohne genaue Kenntnisse des strafrechtlichen Vorwurfs und des Sachverhalts – sich in der Lage wähnt, den Beschuldigten guten Gewissens für "schuldig" oder nicht "schuldig" zu erklären.
Das mediale Echo dringt auch bis zu den tatsächlichen Entscheidern vor. Auch Richter werden durch die Berichterstattung beeinflusst, ob sie wollen oder nicht. Bisweilen ist das sogar das Ziel von Verteidigung oder Staatsanwaltschaft. Auch Schöffen gehen nicht unvorbelastet in eine Hauptverhandlung. Sie lesen den Anklagevorwurf in der Zeitung, kennen die öffentliche Meinung zum Angeklagten, wissen Details aus dessen Leben und haben Informationen über den vermeintlichen Tathergang, schon bevor die Hauptverhandlung überhaupt eröffnet wurde.
Von der Saalöffentlichkeit zur Medienöffentlichkeit
Brigitte Koppenhöfer, Vorsitzende Richterin der 14. Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Düsseldorf, hat gelernt, mit diesem Phänomen umgehen. Sie hat die Entwicklung "von der Saalöffentlichkeit zur Medienöffentlichkeit" als Vorsitzende Richterin unter anderem im Prozess gegen die ehemaligen Chefs der IKB und der WestLB sowie im Mannesmann-Prozess hautnah miterlebt.
Anlässlich der Eröffnungsveranstaltung des Masterstudiengangs Medienrecht und Medienwirtschaft der Fachhochschule Köln am vergangenen Mittwoch schilderte sie ihre persönlichen Erfahrungen mit dem von der Justiz zu fahrenden Slalom zwischen Nähe und Distanz zu den Medien.
Anders als viele ihrer Kollegen sieht sie weder Berufsrichter noch Laienrichter vor einer Beeinflussung durch die Medien gefeit. Und kann auch den Kollegen nicht so ganz abnehmen, dass sie immun und unbeeinflussbar seien. Wie anders ließe sich erklären, dass so mancher Vorsitzende die mündliche Urteilsbegründung damit einleitet, man habe die jeweilige Entscheidung "trotz des öffentlichen Drucks" getroffen?
"Was haben wir wirklich aus der Hauptverhandlung, was nur aus der Presse?"
Koppenhöfer selbst verfolgt die Berichterstattung über jedes "ihrer" Verfahren in den Medien. Ganz einfach, weil es sie interessiert. Weil sie wissen will, was und wie die Medien darüber berichten. Zugleich ist sie sich aber bewusst, dass sie dadurch vielleicht schon einen über die Ermittlungsakte hinausgehenden Eindruck vom Angeklagten und der ihm zur Last gelegten Tat gewonnen hat, bevor sie die Hauptverhandlung überhaupt eröffnet hat.
Sie kennt die öffentliche Meinung zum Verfahren und dessen möglichem Ausgang ebenso wie die Erwartungshaltung der Öffentlichkeit: "Die Medien, die öffentliche Meinung – das ist für uns inzwischen so etwas wie ein unsichtbarer und zugleich unkontrollierbarer Schöffe. Es kommt durchaus vor, dass ein Schöffe mit einer Tageszeitung zur Hauptverhandlung erscheint und Einzelheiten des Tathergangs für erwiesen hält, weil er sie da gelesen hat.
In der Beratung mit den Schöffen legen wir deshalb großen Wert darauf, genau zu differenzieren: Was haben wir wirklich aus der Hauptverhandlung, was nur aus Presse und Fernsehen?". Nur bei bewusstem Umgang mit medialen Einflüssen sei eine Entscheidung von neutralen Robenträgern und Schöffen überhaupt zu gewährleisten.
"Kaum Ahnung vom Ablauf eines Strafprozesses"
Die Unwissenheit einiger prozessberichterstattender Journalisten erstaunt Koppenhöfer dabei nach wie vor: "Da fehlt es bisweilen einfach an forensischer Erfahrung. Viele Redakteure wissen einfach nicht, wie ein Strafprozess abläuft. Ihnen fehlen die erforderlichen juristischen Grundkenntnisse, um über einen Prozess zu berichten."
Zugleich sieht sie sich und ihre Kollegen aber auch in der Pflicht: "Wir müssen dafür Sorge tragen, dass wir unsere Urteile für die Öffentlichkeit verständlich machen. Denn nur so erreichen wir als Justiz auch die nötige Akzeptanz in der Bevölkerung."
Wozu mangelndes juristisches Wissen von Journalisten führen kann, zeigt die Berichterstattung über das aktuelle Verfahren zum Wettbetrugsprozess vor dem Bochumer Landgericht, dem bisher wohl größten Skandal des europäischen Fußballs, u.a. mit 32 Spielmanipulationen in Deutschland.
Ein Radiosender nahm den Prozessauftakt zum Anlass, gemeinsam mit den Hörern darüber zu spekulieren, warum der DFB im Verfahren nicht als Nebenkläger gegen die "Wettpaten" auftrete. Will der größte Sportverband der Welt die Vorfälle unter den Tisch kehren? Hat er gar selbst hier etwas zu vertuschen? Die Antwort – so einfach wie unspektakulär – liefert die Strafprozessordnung: In Betrugsprozessen gibt es keine Nebenklage.
Rechtsanwalt Sebastian Kocks LL.M. ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Kölner Forschungsstelle für Medienrecht.
Gerichte und Medien: . In: Legal Tribune Online, 08.10.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/1670 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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