Generalbundesanwalt Range hat am Mittwoch angekündigt, ein Ermittlungsverfahren in der NSA-Affäre einzuleiten – allerdings nur wegen des Abhörens von Angela Merkels Handy, nicht wegen der millionenfachen Überwachung deutscher Bürger. Die Angelegenheit war über die letzten Monate zum heißdiskutierten Politikum geworden. Inzwischen war jede Entscheidung die falsche, meint Constantin van Lijnden.
Was lange währt, wird durchaus nicht immer gut, diese Erfahrung musste Generalbundesanwalt Range in den letzten Wochen auf schmerzliche Art und Weise machen. Seit über neun Monaten hatte seine Behörde die Möglichkeit geprüft, wegen des Abhörens von Angela Merkels Handy sowie der Internetkommunikation von Millionen deutscher Bürger Ermittlungsverfahren gegen Verantwortliche des amerikanischen Geheimdienstes einzuleiten – für viele Beobachter eine gefühlte Ewigkeit.
Falls man in Karlsruhe gehofft haben sollte, die NSA-Affäre würde mit der Zeit aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwinden und damit würde auch die Entscheidung für oder gegen Ermittlungen an Brisanz verlieren, dann wurde diese Hoffnung gründlich enttäuscht. Im Gegenteil machte die Opposition das Thema zum politischen Streitpunkt und forderte ein Tätigwerden des Generalbundesanwalts mit immer schärferer Rhetorik ein.
Auch die Presse glänzte nicht durch Zurückhaltung: Vergangene Woche nahmen die Süddeutsche Zeitung, NDR und WDR die vermeintlich endgültige Behördenentscheidung vorweg und kündigten an, dass es ein Ermittlungsverfahren nicht geben werde. Nach einem internen Gutachten sei es nicht möglich, belastbare Beweismittel aufzutreiben, Ermittlungen könnten allenfalls eine symbolische Wirkung haben.
Entscheidungen müssen unabhängig fallen – selbst die falschen
Die Welle der Entrüstung ließ nicht lang auf sich warten. Die Linke etwa wertete den möglichen Verzicht auf Ermittlungen als "Rechtsbeugung". "Damit würde amtlich festgestellt, dass die größte Grundrechtsverletzung in der Geschichte der Bundesrepublik juristisch unaufgearbeitet bleibt", sagte Parteichef Bernd Riexinger. An Justizminister Heiko Maas wurde der Appell formuliert, von seinem Weisungsrecht Gebrauch zu machen und Range zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens zu zwingen. Range selbst soll von verärgerten Bürgern gar Todesdrohungen erhalten haben.
Seit Mittwoch ist offiziell, dass er doch ermitteln wird – auch dies war bereits am Tag zuvor in den Medien zu lesen. Dabei drängt sich die Frage auf, wie autonom die Entscheidung des Generalbundesanwalts tatsächlich zu Stande gekommen ist. Eine Weisung von seiner Seite habe es nicht gegeben, betont der Justizminister. Doch nach Informationen der erwähnten Medien soll Range über lange Zeit hinweg ein auf die Nichteinleitung von Ermittlungen gerichtetes Gutachten goutiert und verfeinert haben.
Woher der plötzliche Sinneswandel dann rührt, bleibt unklar – und der Verdacht, dass es mit dem gewaltigen Druck aus der Öffentlichkeit und Teilen der Politik zusammenhängen könnte, wird sich kaum mehr ausräumen lassen. Das aber wäre fatal: Als oberste Strafverfolgungsbehörde darf, soll und muss der Generalbundesanwalt seine Entscheidungen unabhängig fällen – auch, wenn es die falschen sind. Über Strafwürdigkeit wird nicht per Plebiszit entschieden, für Notfälle gibt es das Klageerzwingungsverfahren.
Wankelmütiger Generalbundesanwalt
Die Schuld für diese von Erwartungen aufgeladene Situation muss Range allerdings bei sich selbst verorten: Mit jedem Tag, um den er seine Entscheidung vertagte, wog sie schwerer. Die Bundesanwaltschaft beteuerte bislang vehement, dass sie lediglich öffentlich verfügbare Quellen auswerte und Anfragen an andere Behörden richte; klassische Ermittlungsmethoden wie Zeugenbefragungen oder Durchsuchungen würden nicht angewandt. Wenn es sich aber so verhält, dann müssen ihr die entscheidungserheblichen Informationen längst bekannt gewesen sein, dann war ihr Zögern vor allem Ausdruck von Wankelmut.
Und auch am Mittwoch fiel eine endgültige Entscheidung lediglich in Bezug auf die Überwachung von Angela Merkels Handy, wegen der nun ermittelt werden soll. Die sogar noch länger bekannte, millionenfache Überwachung der Internetkommunikation von Millionen von Bürgern bleibt weiterhin lediglich "unter Beobachtung". Wie dieses Vorgehen in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden wird, liegt auf der Hand. Dabei darf man bezweifeln, dass Range überhaupt eine Botschaft über die unterschiedliche Wertigkeit der Privatsphäre von Privatleuten und Politikern senden will. Er kann sich wohl einfach nicht entscheiden.
Constantin Baron van Lijnden, Ermittlungsverfahren in NSA-Affäre eingeleitet: . In: Legal Tribune Online, 04.06.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/12175 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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