Wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung meldet, will Generalbundesanwalt Harald Range die Ermittlungen wegen Landesverrats gegen das Portal Netzpolitik ruhen lassen. Das ist eine Nebelkerze. Doch was bereitet sie vor?
Mit "Blick auf das hohe Gut der Presse- und Meinungsfreiheit" sehe er von "nach der Strafprozessordnung möglichen Exekutivmaßnahmen ab", zitiert die Frankfurter Allgemeine Zeitung Generalbundesanwalt Harald Range. Weniger als 24 Stunden zuvor war bekannt geworden, dass seine Behörde gegen Betreiber des journalistischen Portals netzpolitik.org wegen Landesverrats ermittelt, es folgte ein Sturm der öffentlichen Entrüstung über die Maßnahme, die ganz überwiegend als rechtlich unbegründet und Versuch der Gängelung gegenüber kritischen Journalisten wahrgenommen wurde.
An dieser Stelle war vermutet worden, dass Range nun auch Klage werde erheben müssen, da bereits zum Zeitpunkt der Eröffnung des Ermittlungsverfahrens so gut wie alle wesentlichen Tatsachen bekannt waren. Er selbst hat sein Vorgehen indes damit begründet, dass er ein Gutachten zu der Frage habe einholen wollen, ob die von netzpolitik.org veröffentlichten Dokumente "Staatsgeheimnisse" im Sinne des § 93 Strafgesetzbuch (StGB) seien. Die Vorschrift definiert den Begriff wie folgt:
"Staatsgeheimnisse sind Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse, die nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich sind und vor einer fremden Macht geheim gehalten werden müssen, um die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland abzuwenden."
Die Begründung der Verfahrenseröffnung ist absurd…
Dass man zur Klärung dieser Frage ein Gutachten hätte einholen müssen, das seinerseits die vorherige Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens erforderlich gemacht hätte, ist, man muss es in dieser Deutlichkeit sagen, absurd. Die Prüfung, ob eine Lebenstatsache (Dokument) ein Tatbestandsmerkmal (Staatsgeheimnis) erfüllt, ist klassische juristische Subsumtionsarbeit, wie sie zum alltäglichen Handwerk der Staatsanwaltschaften gehört.
Hier ging es gerade nicht um forensische Feinheiten, die nur durch außenstehende Wissenschaftler hätten beantwortet werden können. Soweit zu klären war, ob die Dokumente bei Bekanntwerden die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland bergen, hätte der Generalbundesanwalt bei anderen Behörden, etwa dem Verfassungsschutz, dem BND oder dem Militärischen Abschirmdienst um eine Einschätzung bitten können. Derartige, behördeninterne Informationsanfragen erfordern die Eröffnung eines formellen Ermittlungsverfahrens nicht.
Zu guter Letzt liefen ohnehin schon seit Wochen Ermittlungen gegen die unbekannten Informanten von Netzpolitik. In diesen Ermittlungen wäre derselbe Tatbestand (in der Variante "…sonst an einen Unbefugten gelangen läßt") zu prüfen gewesen, sodass bereits dort hätte geklärt werden können und müssen, ob es sich bei den Unterlagen um Staatsgeheimnisse handelt.
… ebenso wie die Begründung des Ruhenlassen
Keinen Tag nach Bekanntwerden des Ermittlungsverfahrens gegen Netzpolitik will Range nun jedoch - großzügig – von "nach der Strafprozessordnung möglichen Exekutivmaßnahmen ab[sehen]", und zwar mit "Blick auf das hohe Gut der Presse- und Meinungsfreiheit".
Diese Erklärung ergibt ähnlich wenig Sinn wie die vorherige. Denn dass die Ermittlungen wegen Landesverrats gegen ein Medium die Pressefreiheit in erheblicher Weise berühren würden, das war bereits bei Eröffnung des Verfahrens vollkommen klar.
Was der Generalbundesanwalt indes unterschätzt haben könnte, ist die Vehemenz des Protests, dem er nun ausgesetzt ist. Das vormals noch als strafwürdig beurteilte Verhalten soll es nun - vorerst - nicht mehr sein, aber weshalb? Nicht wegen einer veränderten Beweislage, sondern, weil man in Karlsruhe offenbar erkannt hat, wo die Belastungsgrenze der Öffentlichkeit liegt. Mit der Erfüllung staatlicher Aufgaben hat auch das nichts zu tun
Ruhen des Verfahrens – eine Nebelkerze
Der jetzige Schritt eines "Ruhenlassens" der Ermittlungen komplettiert das Bild, denn auch er ist halbherzig, zögerlich und inkonsequent. Wenn der Generalbundesanwalt zu der Überzeugung gekommen ist, dass die Verfahrenseröffnung ein Fehler war, so kann er das Verfahren einstellen, andernfalls kann er es fortsetzen – beides wäre ein klares Signal.
Er tut jedoch weder das eine noch das andere, sondern lässt die Sache lediglich "ruhen" – mutmaßlich so lange, bis die Wogen der Empörung einigermaßen abgeebbt sind, und er sich entscheiden kann, die verfehlten Ermittlungen vollends einzustellen, oder aber fortzusetzen.
Das Ruhenlassen des Verfahrens ist eine Nebelkerze. Die Frage ist nur, ob sie den Rückzug oder die nächste Offensive vorbereitet.
Constantin Baron van Lijnden, Generalbundesanwalt lässt Netzpolitik-Ermittlungen "ruhen": . In: Legal Tribune Online, 31.07.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16465 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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