Durch die Digitalisierung des Alltags wird das Geistige Eigentum, das am Freitag Jahrestag hat, auch für den normalen Bürger spürbar. Aktuell gibt es Streit um Upload-Filter – wie kann und soll der Staat regulieren? Von Michael Beurskens.
Das Urheberrecht war dem Durchschnittsbürger lange egal: Die nicht öffentliche Wiedergabe und der individuelle Werkgenuss sind bis heute nicht dem Urheber vorbehalten. Wer Filme im Familien- oder Freundeskreis sieht oder die Rückseite der Tageszeitung des Gegenübers im Zug liest, hat urheberrechtlich nichts zu befürchten.
Zudem erlaubt § 53 I Urhebergesetz (UrhG) in weitem Umfang Privatkopien und verknüpft diese nur mit einer indirekten, für den Verbraucher kaum sichtbaren Vergütungspflicht (§§ 54 ff. UrhG). Das ist keine neue Entwicklung: Schon § 15 II Gesetz betreffend das Urheberrecht an Werken der Literatur und der Tonkunst (LUG, 1901) und § 18 Gesetz betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste und der Photographie (KUG, 1907) erlaubten private, nichtgewerbliche Vervielfältigungen.
Auch Bearbeitungen und Umgestaltungen sind seit jeher zulässig, solange man die Ergebnisse nicht veröffentlicht (§ 23 S. 1 UrhG). Das Urheberrecht war damit wie der gewerbliche Rechtsschutz ein Spielfeld für Profis, der Normalbürger musste sich indes keine Sorgen machen. Die Welt war in Ordnung.
1993 - Softwarerecht: Lückenloser, aber kaum beachteter Schutz
Erste Brüche zeigte das Privileg für Privatleute aber schon 1993 mit der Umsetzung der Softwarerichtlinie 91/250/EWG (heute RL 2009/24/EG): Im Softwarebereich trat eine zweckgebundene Sicherungskopie an die Stelle der Privatkopie zu beliebigen Zwecken (§ 69d II UrhG).
Weitergehend ist jede Vervielfältigung und Änderung, die nicht zur bestimmungsgemäßen Benutzung durch den Berechtigten unverzichtbar ist (§ 69d I UrhG), an die Zustimmung des Rechteinhabers geknüpft (§ 69c Nr. 1, Nr. 2 UrhG). Der Gesetzgeber erfasste dadurch auch die Kopie des ausführbaren Programms vom Datenträger in den Arbeitsspeicher, d.h. jeden Programmstart.
Ganz verboten ist seitdem die Beseitigung oder Umgehung technischer Programmschutzmechanismen (§ 69f II UrhG). Die Privilegierung des Privatbereichs existiert daher im Softwarebereich schon seit fast 30 Jahren nicht mehr – was viele Nutzer aber kaum bemerkten.
2001 - Technische Schutzmaßnahmen: DRM für alle
Größere Aufmerksamkeit erlangte erst die Umsetzung des WIPO Copyright Treaty und des WIPO Performances and Phonograms Treaty von 1996 durch die Urheberrechtsrichtlinie 2001/29/EG und das Gesetz zum Urheberrecht in der Informationsgesellschaft. Diese verboten die Umgehung technischer Schutzmaßnahmen und den Vertrieb von Umgehungsmitteln für alle Werktypen.
Plötzlich waren vormals beliebte Programme zum Auslesen von DVDs verboten. Technische Schutzmaßnahmen standen im Ruf, Sicherheitslücken zu schaffen bzw. Geräte zu verlangsamen oder zu beschädigen.
Schließlich führten die Löschung einzelner Werke durch Amazon von Kindle-Lesegeräten oder die Abschaltung der Musikdienste von Microsoft mit Verlust aller dort erworbenen Titel den Nutzern den Kontrollverlust vor Augen: Auf einmal war das Urheberrecht greifbar. Und der Bürger war vom Verlust der früheren Freiheit keineswegs begeistert.
Das setzte die Industrie unter Druck: Die meisten bemühten sich, den Schutz für den Nutzer möglichst wenig belastend zu implementieren. Andere, zum Beispiel Apple, warben gar mit der Abschaffung technischer Schutzmaßnahmen. Aller Verteufelung zum Trotz haben Systeme für das Digital Right Management (DRM) großes positives Potenzial: Sie ermöglichen das digitale Entleihen von Inhalten und eine passgenaue Berechnung der Vergütung, was eigentlich den Interessen von Rechteinhabern und Nutzern gleichermaßen dienen sollte.
2014 - ACTA: Große Proteste gegen kleine Änderungen
In der Folge regte sich zunehmender Protest an der tatsächlichen und gefühlt zwangsweisen Durchsetzung geistiger Schutzrechte. Gegen das Anti-Counterfeiting Trade Agreement (ACTA), ein Handelsabkommen zwischen den USA und Kanada, gab es massenhafte Proteste – die 2014 zum Scheitern des Pakts im Europäischen Parlament führte.
Freilich hätte ACTA im Hinblick auf das Urheberrecht kaum Neues gebracht: Ein Großteil der kritisierten Regelungen fand sich schon seit 2001 im deutschen Urheberrechtsgesetz.
2021 – Wasserzeichen und Filter
Die vom Ministerrat der EU-Staaten am 15. April angenommene EU-Urheberrechtsrichtlinie wird trotz aller öffentlicher Proteste einen neuen Schutzmechanismus schaffen: Nunmehr sind Onlineplattformen für die bei ihnen bereitgestellten Inhalte verantwortlich. Soweit sie keine Lizenz erwerben und die Rechteinhaber ihnen die nötigen Informationen bereitstellen, müssen sie proaktiv das Bereitstellen (selbst für kurze Zeit) verhindern.
Die CDU präferiert für Deutschland eine zentrale Lizenzdatenbank: Die Urheber sollen ihre Filme, Bilder und Musik (bei reinen Texten wird es schwierig) mit digitalen, für den Nutzer unsichtbaren Wasserzeichen versehen. Dann müssen die Plattformen nur jede Datei mit dieser Datenbank vergleichen und dann dem Rechteinhaber den gewünschten Obolus zahlen oder eben die Bereitstellung verhindern.
Wie soll es weitergehen?
Die pauschalen Vergütungssysteme der 1960er-Jahre waren für den privaten Endverbraucher komfortabel: Die Zusatzabgaben auf Geräte und Leermedien waren ebenso wie die Mehrwertsteuer nicht einzeln ausgewiesen und waren im Geldbeutel kaum spürbar.
Sie waren aber auch nicht unbedingt gerecht: Bezahlt wurden praktisch auch Mikrofonaufnahmen eigener Gedanken oder Kopien privater Notizen, für die gar keine Vergütungspflicht bestand. Auch die Verteilung erfolgte letztlich nach dem Gießkannensystem: Es ließ sich nicht präzise feststellen, welche Werke in welchem Umfang vervielfältigt wurden, sodass nur eine Annäherung über Berechnungsschlüssel erfolgen konnte. Damit erhielten letztlich beide Seiten ein wenig befriedigendes Ergebnis: Die einen zahlten ohne Gegenleistung, die anderen erhielten weniger als verdient.
Aber auch die technischen Schutzmaßnahmen waren wenig befriedigend: Die Nutzer sahen sich schweren Eingriffen in ihre privaten Geräte ausgesetzt, die Inhalteanbieter wurden als unerwünschte Überwacher beschimpft. Der Kampf gehen Umgehungsmittel war dennoch erfolgreich – jedoch geht es heute nicht mehr um physische Kopien, sondern dank gesteigerter Bandbreite um Echtzeitstreaming.
All dies führt zur derzeitigen dritten Runde auf der Suche nach einem Interessenausgleich: Die Last wird künftig auf Dritte, die Betreiber der Austauschplattformen, ausgelagert. Das ärgert den passiven Nutzer viel weniger als technische Schutzmaßnahmen auf seinem System, gewährleistet aber in gleicher Weise den Schutz der betroffenen Rechte. Den Nachteil haben diejenigen, die Inhalte bereitstellen wollen und hierzu ggf. erst einmal übervorsichtig konfigurierte Filter durch Beschwerden oder gar Klagen überwinden müssen.
Unberührt bleibt (noch) die Individualkommunikation oder der Austausch von Datenträgern. Ist also das Übergeben von USB-Sticks oder selbstgebrannten DVDs auf dem Schulhof die letzte Nische der Privatkopie? Oder läuft es letztlich doch auf eine über Verwertungsgesellschaften verwaltete Flatrate hinaus?
Eine Lösung hat bislang weltweit noch niemand gefunden; das Idealbild einer nutzungsabhängigen Vergütung, von welcher der Nutzer nichts bemerkt, ist jedenfalls derzeit ein unlösbares Paradoxon.
Der Autor Prof. Dr. Michael Beurskens ist Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Deutsches, Europäisches und Internationales Wirtschaftsrecht an der Universität Passau.
Wasserzeichen und Upload-Filter: . In: Legal Tribune Online, 26.04.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/35075 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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