Die Lokführergewerkschaft GDL hat die eigene Genossenschaft Fair Train gegründet. Die Gewerkschaftsmitglieder sollen ihre Jobs kündigen und über Fair Train an die Bahn überlassen werden. Ob das möglich ist, erklärt Marc Werner im Interview.
LTO: Herr Dr. Werner, die Gewerkschaft der Lokführer (GDL) hat eine eigene Genossenschaft gegründet – worum geht es?
Dr. Marc Werner: Die neu gegründete Fair Train e.G. soll offenbar Eisenbahner der Deutschen Bahn AG (DB) abwerben und dann durch Arbeitnehmerüberlassung zu besseren Arbeitsbedingungen wieder verleihen. Dadurch soll Druck auf die DB im Rahmen der aktuellen Tarifauseinandersetzung aufgebaut werden.
Außerdem will die GDL offenbar die derzeit mitgliederstärkere Gewerkschaft EVG, die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft, die in den meisten Betrieben der DB aufgrund des Tarifeinheitsgesetzes und mehr Mitgliedern den Ton angibt, bei den Tarifverhandlungen umgehen.
Die GDL fordert die Lokführer auf, ihre Arbeitsverträge bei der Deutschen Bahn zu kündigen, was sind die weiteren Pläne von GDL und Fair Train e.G.?
Die Idee ist durchaus kreativ: Nach den Vorstellungen der GDL sollen die Mitglieder der GDL tatsächlich möglichst vollzählig ihre Arbeitsverhältnisse mit der DB beenden und Mitglieder der Genossenschaft Fair Train werden. Aus der Fair Train wiederum sollen die GDL-Mitglieder dann im Wege der Arbeitnehmerüberlassung an Unternehmen des Eisenbahnsektors verliehen werden, vorrangig wohl auf ihre bisherigen Arbeitsplätze bei der DB.
Für die Mitarbeiter der Fair Train sollen Tarifverträge gelten, die praktischerweise zwischen der die Mitglieder der Genossenschaft vertretenden GDL und der Fair Train als Arbeitgeberin abgeschlossen werden. Dadurch hätten die GDL-Mitglieder in der Fair Train bessere Arbeitsbedingungen als die bei der DB verbleibenden Mitglieder der EVG – bei exakt gleicher Tätigkeit. Dadurch würde das Ziel des Tarifeinheitsgesetzes – ein Betrieb, ein Tarif – ausgehebelt.
Geht das alles so einfach, wie sich die GDL das vorstellt?
Als erstes springt dem Tarifrechtler ins Auge, dass hier auf Arbeitgeberseite und Gewerkschaftsseite dieselben Personen agieren. Mitglieder der Fair Train können nämlich nur GDL-Mitglieder sein – so sieht es die Satzung vor. GDL-Mitglieder würden also mit GDL-Mitgliedern über ihre tariflichen Arbeitsbedingungen verhandeln. Also statt der tariflich zwingenden Gegnerfreiheit hier Personenidentität. Dies könnte im Extremfall der gesamten Gewerkschaft GDL ihre tarifrechtliche Grundlage entziehen.
Politisch ist die Förderung von Leiharbeit durch die GDL ebenfalls ein Alleingang. Grundsätzlich ist das Ziel von Gewerkschaften, Stammarbeitsplätze zu fördern und das Flexibilisierungsinstrument Leiharbeit einzudämmen.
Bei der Gründung der Fair Train ist zudem auf eine strenge Trennung der Kassen zu achten. Die Beiträge der Mitglieder der GDL dürfen grundsätzlich nicht für eine solche Unternehmensgründung verwendet werden, beispielsweise für Rechtsberatung, Finanzierung der Fair Train oder Kosten für Öffentlichkeitsarbeit und Website. Die Grenze zur Straftat einer Untreue nach § 266 Strafgesetzbuch ist sonst schnell überschritten. Daher dürfen auch Mitarbeiter der GDL keine Arbeitszeit für die Fair Train aufwenden.
Herr Werner, vielen Dank für diese erste Einschätzung.
Dr. Marc Werner ist Partner bei der Kanzlei Seitz in Köln.
Gewerkschaft gründet Firma für Leiharbeitnehmer: . In: Legal Tribune Online, 06.06.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51934 (abgerufen am: 16.11.2024 )
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