Fairer Wettbewerb in der Bundesliga?: "Das Ende von 50+1 ist ein­ge­läutet"

von Hasso Suliak

16.07.2021

Was passiert mit der 50+1-Regel im deutschen Profi-Fußball? Juristen rätseln, wie die DFL auf die Kritik des Bundeskartellamtes an den Ausnahmegenehmigungen für die Investorenclubs aus Leverkusen, Wolfsburg und Hoffenheim reagieren wird.

Die Hängepartie um die 50+1-Regel im deutschen Profi-Fußball geht auch nach einer außerordentlichen Mitgliederversammlung der Deutschen Fußball Liga (DFL) weiter. Ohne hierzu konkrete Beschlüsse zu fassen, hatten am Mittwoch Vertreter von 36 Erst- und Zweitligisten unter anderem darüber beraten, wie auf eine erste kartellrechtliche Einschätzung des Bundeskartellamtes (BKartA) zu reagieren sei.  

Die obersten Wettbewerbshüter hatten im Mai festgestellt, dass die 50+1-Regel im Grundsatz mit dem Kartellrecht vereinbar ist, gleichzeitig aber die derzeit geltenden Ausnahmegenehmigungen für die konzern- oder investorengeführten Bundesligisten Bayer Leverkusen, VfL Wolfsburg und TSG 1899 Hoffenheim kritisiert.  

Mit der 50+1-Regel soll verhindert werden, dass Investoren in den Klubs die Stimmenmehrheit erlangen. Nach der sogenannten Förderausnahme darf allerdings ein Investor, der einen Verein mehr als 20 Jahre in "erheblichem" Umfang unterstützt hat, diesen auch kontrollieren. "Wenn einigen Clubs größere Möglichkeiten zur Einwerbung von Eigenkapital zur Verfügung stehen als anderen, dürfte dies nicht zur Ausgeglichenheit des sportlichen Wettbewerbs beitragen, sondern ihn eher verzerren", monierte seinerzeit die Bonner Behörde.  

Im Interview mit LTO erläuterte Kartellamts-Präsident Andreas Mundt: "Durch die Förderausnahme wird in den betroffenen Klubs der beherrschende Einfluss des Muttervereins ausgeschaltet und damit das sportliche Geschehen insoweit von der Vereinsprägung abgekoppelt. Es besteht die Gefahr, dass prägende Charakteristika wie Mitgliederpartizipation im Verein und Transparenz gegenüber den Mitgliedern hierbei verloren gehen." 

Investorenclubs reagieren mit "Brandbrief" 

Auf diese Einschätzung der Wettbewerbshüter, die im Übrigen von der DFL selbst um eine kartellrechtliche Überprüfung gebeten worden waren, hatten die drei von der Förderausnahme profitierenden Vereine aus Leverkusen, Wolfsburg und Hoffenheim umgehend mit einem gemeinsamen "Brandbrief" reagiert, aus dem das Handelsblatt zitierte.

Darin kritisierten die Klubs auch das BKartA heftig: Dieses habe sich "wohl auch nicht ansatzweise" mit den DFL-Leitlinien von 2014 befasst. Es bestünden erhebliche Zweifel, ob "rechtlich haltbare Schlüsse" daraus gezogen worden seien. Außerdem übernehme die Behörde "weitgehend unreflektiert die Ausführungen der DFL insbesondere zur sogenannten 'Vereinsprägung' der Bundesliga“. Sie fragten sich, "ob die Durchführung eines vereinsgeprägten Sportwettbewerbs Zweck des Spielbetriebs der professionellen Fußball-Bundesliga ist – jedenfalls aus Sicht der Unterzeichner nicht, denn sie nehmen ja an diesem Wettbewerb in legitimer Weise teil". 

Und für den Fall, dass die DFL eine 50+1-Regel ohne Ausnahmen beschließen sollte, drohen die Klubs offenbar auch mit rechtlichen Schritten: Sie seien dann dazu "gezwungen, dem entgegenzutreten, denn dann steht unser Teilnahmerecht, mithin unsere Existenz, infrage“. Das könnte wiederum womöglich dazu führen, "dass wir künftig gar keine 50+1-Regel mehr im deutschen Fußball haben werden".

Stellungnahme des DFL bis zum Herbst erwartet

Wie es scheint, haben diese Drohungen nun bei der DFL und den anderen Vereinen Wirkung hinterlassen: Auf der DFL-Sitzung am Mittwoch jedenfalls kam es nicht zum großen Zerwürfnis. Forderungen, die betroffenen Vereine wegen Wettbewerbsverzerrung vom Spielbetrieb auszuschließen, standen nicht im Raum.

Im Gegenteil: Wie das Fußball-Fachmagazin Kicker berichtete, hätten sich dank einer Initiative mehrerer großer Traditionsvereine letztlich doch alle 36 DFL-Mitglieder auf ein gemeinsames Interesse eingeschworen. Und auch die schärfsten Kritiker der Ausnahmeregelungen hätten erkannt: "Sähen sich Leverkusen, Wolfsburg und Hoffenheim gezwungen, den Klageweg zu beschreiten, würde die 50+1-Regel von einem EU-Gericht mit hoher Wahrscheinlichkeit komplett gekippt," heißt es im Kicker. Im Übrigen hätten auch die von den Ausnahmen begünstigten Klubs erkennen lassen, dass sie an einer Lösung unter Beibehaltung von 50+1 interessiert seien.

Doch worauf läuft diese Harmonie am Ende konkret heraus? Bis zum Herbst will das Präsidium der DFL gegenüber dem Bundeskartellamt die von der Behörde angeforderte schriftliche Stellungnahme abgeben. Ziel sei es, kartellrechtskonforme Lösungsansätze zu entwickeln, die im Interesse aller 36 Clubs der Bundesliga und 2. Bundesliga sind, teilte die DFL mit.  

"Gedankliche Anleihe an Finanzmodelle aus den US-Ligen"?

Was "kartellrechtskonform" nun konkret bedeutet, darüber rätseln derweil auch die Juristen. 

Für den Berliner Sportrechtler Fabian Reinholz gleicht der Versuch, 50+1 zu erhalten und die Förderausnahme neu zu regulieren, ohne diese abzuschaffen oder so zu erweitern, dass die Zwecke von 50+1 nicht konterkariert werden, einem gordischen Knoten: "Man zerschlägt ihn, indem man 50+1 kippt. Das wäre für mich die klarste Lösung, weil Beispiele wie Leipzig und Hertha zeigen, dass die Mehrheitsbeteiligung eines Vereins nur eine Fassade ist, an der sich Investorenmodelle vorbeischlängeln", so Reinholz.

Allerdings räumt er ein, dass angesichts der befürwortenden Einschätzung des BKartA zu 50+1 das wohl erstmal nicht passieren werde. "Kurzfristig denkbar wären Ansätze, wonach man bei den Clubs mit Förderausnahme die Kapitalzufuhr, also z.B. Verlustausgleiche oder Investitionen, beschränkt. Mittelfristig wären Regeln zur Begrenzung der Kapitalausstattung der Clubs nach Vorbild der Franchise-Modelle der US-Profiligen (Transferbudgets, Gehaltsobergrenzen) denkbar, wenn man sich von 50+1 verabschiedet. Aber da, so Reinholz, stellten sich dann weitere rechtliche Fragen, weil eine rein deutsche Lösung einen Wettbewerbsnachteil gegenüber den großen europäischen Ligen bedeuten würde.   

Sportrechtler und Zivilrechtslehrer Prof. Dr. Helmut Grothe von der FU Berlin empfiehlt der DFL ebenfalls "eine gedankliche Anleihe an Finanzmodelle aus den US-amerikanischen Profiligen". Der Charme von NHL, NFL, MLB und NBA bestehe zu einem großen Teil darin, dass alle Franchise-Clubs über annähernd vergleichbare ökonomische Voraussetzungen verfügten. "Ohne hier ins Detail zu gehen, lässt sich doch die 50+1-Regel retten, wenn sichergestellt würde, dass die Beteiligung nicht mit einem finanziellen Vorteil einherginge. Dafür müssten handhabbare Indikatoren gefunden werden." Die Beteiligung als solche sei ja zunächst nur ein gesellschaftsrechtlicher Vorgang, so Grothe. Gegenüber LTO verwies er auch auf die "unter Wettbewerbsgesichtspunkten fragwürdige Verteilung von TV-Einnahmen" innerhalb der Liga. 

"Bundesliga-Ausschluss der Investorenclubs keine Alternative"

Unterdessen kritisierte der Bochumer Sportrechtler Christof Wieschemann Vorstellungen, wonach man die Investorenclubs nun allein aufgrund der Bewertung des BKartA aus der Bundesliga ausschließen könne. Das sei keine rechtmäßige Handlungsalternative, so der Rechtsanwalt im Gespräch mit LTO. "Unabhängig von der rein kartellrechtlichen Frage, ob und unter welchen Bedingungen ein auf rechtswidriger Grundlage erlangtes Mitgliedschaftsrecht Bestandsschutz genießen kann, gilt zumindest verbandsrechtlich eine besondere Treuepflicht der Mitglieder untereinander und im Verhältnis zum Verband und damit ein gewisser Vertrauensschutz."  

Allerdings hätten nicht nur die drei Investorenclubs einen Anspruch auf Berücksichtigung ihrer Belange. Vielmehr seien sie auch verpflichtet, an einer geltungserhaltenden Neufassung der 50+1 Regel mitzuwirken. "Dass die Regel im Kern erforderlich ist, um Wettbewerbsgerechtigkeit zu erhalten, sei auch sportökonomisch lange geklärt", so Wieschemann.  

Investorenclubs wirtschaftlich reglementieren? 

Letzteres sieht auch der in Fan-Kreisen geschätzte Hannoveraner Rechtsanwalt Dr. Andreas Hüttl so: 50 +1 sei geeignet, um die gewünschte Mitgliederpartizipation und Transparenz gegenüber den Mitgliedern der den Spielbetrieb bestimmenden Vereine zu gewährleisten. Auch das erstrebenswerte Ziel, den sportlichen Wettbewerb ausgeglichen zu gestalten, werde durch die Regel gestützt.  

Hüttl hält unter den gegenwärtigen Bedingungen eigentlich auch den Ausschluss der drei Investorenclubs für notwendig, meint aber, dass dieser sich wohl "nur schwerlich" durchsetzen lasse. "Langjährige Rechtstreitigkeiten wären voraussichtlich die Folge", so Hüttl. Die DFL sei daher nun aufgerufen, "Lösungen zu finden, die die Möglichkeiten der drei 'Investorenclubs' wirtschaftlich zu reglementieren".  

Ob das jedoch überhaupt unter Beibehaltung der 50+1-Regel gelingen kann, bezweifelt Hüttls Düsseldorfer Kollege, Sportrechts-Fachanwalt Dr. Paul Lambertz: "Ich kann mir keinen rechtlich haltbaren Kompromiss vorstellen, wie man diese Ungerechtigkeit kompensiert kann. Das Ende von 50+1 ist meines Erachtens damit eingeläutet." 

Zitiervorschlag

Fairer Wettbewerb in der Bundesliga?: . In: Legal Tribune Online, 16.07.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45492 (abgerufen am: 22.11.2024 )

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