Kartellrechtler kritisieren seit Jahren die geltende 50+1-Regelung im Profi-Fußball, sie verstoße gegen deutsches und europäisches Kartellrecht. Jetzt müssen Deutschlands oberste Wettbewerbshüter entscheiden, Änderungen sind wahrscheinlich.
Das Bundeskartellamt (BkartA) prüft die kartellrechtliche Zulässigkeit der 50+1-Regelung. Diese verhindert bislang weitgehend, dass Großinvestoren die Entscheidungsmacht über die Strategie eines Fußballklubs übernehmen, wie dies in anderen europäischen Ligen geschieht, wo Vereine etwa von Ölmilliardären und Scheichs üppig finanziert werden.
Der Leiter der Abteilung "Prozessführung und Recht" im BKartA, Jörg Nothdurft, bestätigte auf der Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft Sportrecht im Deutschen Anwaltverein (DAV) am Freitag in Berlin, dass sich die Behörde jetzt intensiv mit der Thematik befasse. Hierzu seien Anfang Januar bereits alle 36 Profivereine der Bundesliga angeschrieben worden. Kartellrechtlich geprüft würde auch die geltende Ausnahmenregelung der 50+1-Regelung, von der derzeit die Bundesligaclubs Bayer Leverkusen, VfL Wolfsburg und TSG Hoffenheim profitieren. Nothdurft rechnet für die anstehende Prüfung in seiner Behörde mit einem "schwierigen Abwägungsprozess". Die Gespräche mit den 36 Vereinen sollen dem Vernehmen nach bis Mitte März abgeschlossen sein.
Die umstrittene Regelung ist in § 16c der Satzung des Deutschen Fussball-Bundes (DFB) und in § 8 der der Satzung der Deutschen Fußball Liga (DFL) niedergelegt. Danach dürfen nur Kapitalgesellschaften am Spielbetrieb der Lizenzligen teilnehmen, an denen der jeweilige Verein die Mehrheit der Stimmanteile hält. Allerdings gibt es Ausnahmen: Wirtschaftsunternehmen, die den Fußballsport des Muttervereins mehr als 20 Jahre lang ununterbrochen und erheblich gefördert haben, dürfen - unter bestimmten Maßgaben - Ligateilnehmer auch alleine kontrollieren. Von dieser Ausnahme, die § 8 Ziffer 3 der DFL-Satzung zulässt, machen derzeit Bayer Leverkusen, VfL Wolfsburg und 1899 Hoffenheim Gebrauch.
Kritiker: "Unverhältnismäßige Wettbewerbsbeschränkung"
Kartell- und Sportrechtler gehen allerdings davon aus, dass das BKartA die geltende 50+1-Regelung jedenfalls in der aktuellen Form nicht durchgehen lassen wird. Für den Münchner Rechtsanwalt Mark-E. Orth, zu dessen Mandanten internationale Sportverbände, Bundesliga-Fußballclubs und Einzelsportler zählen, verstößt die Regelung eklatant gegen europäisches und deutsches Kartellrecht. Sie beschränke den Zugang zum Markt für die Beteiligung an Fußballbklubs und sei vor allem deshalb bedenklich, weil sie von Monopolisten erlassen worden sei, nämlich dem DFB und der DFL. Für einen Investor gebe es auf dem deutschen Markt keine Alternative.
Ähnlich argumentiert auch der Kölner Sportjurist Paul Lambertz: "Das Monopolistische ist, dass die einzige Möglichkeit, an der Bundesliga teilzunehmen, ist, wenn ich mich diesen Regeln unterwerfe - und das ist ein Marktmissbrauch", sagt er. Auch die Stuttgarter Kartellrechtler Martin Beutelmann und Johannes Scherzinger sind der Auffassung, dass die Regelung einer gerichtlichen oder behördlichen kartellrechtlichen Prüfung aller Voraussicht nach nicht standhalten würde. Sie beschränke den Wettbewerb jedenfalls auf dem Markt für Beteiligungen an Sportkapitalgesellschaften in unverhältnismäßiger Weise. Mit ihren "aufgeweichten" Ausnahmeregelungen sei die Regelung auch im Hinblick auf das Ziel eines wettbewerblichen Gleichgewichts innerhalb der Liga "eher hinderlich", schreiben die Anwälte auf Ihrer Kanzleihomepage.
Befürworter der geltenden 50+1-Regelung verweisen dagegen gerne darauf, dass diese eine gesellschaftliche Verankerung des Sports gewährleiste. Laut DFB soll sie auch "die organisatorische Verbindung von Leistungssport (Lizenzmannschaften) und Breitensport gewährleisten“ und "die Ausgliederung möglichst neutral für die Wettbewerbssituation der Bundesligen und der verbandlichen Strukturen" gestalten.
Der Kölner Sportrechtsprofessor und Richter am Landgericht Köln, Jan F. Orth, hält die Regelung rechtlich eher für unproblematisch: Der potenzielle Eingriff in kartellrechtlich und von den EU-Grundfreiheiten abgesicherte Positionen sei zu rechtfertigen, "weil die Verbände im Rahmen ihrer Autonomie bei der grundsätzlich staatsfernen Organisation des Sports berechtigt sind, den Bestand eines basisnahen und überschaubar fremdkaptialfreien Systems durch eigene Regelungen aufrechtzuerhalten." Das sei für ihn "ein ganz wichtiger Wert im Sport", sagt er gegenüber LTO.
Wie reagieren die Fans?
Mit der Prüfung von 50+1 steht das BKartA jetzt jedenfalls vor einer juristischen und wohl auch sportpolitischen Herausforderung. Sportpolitisch deshalb, weil vor allem die eingefleischten Fußball-Fans es kaum ertragen würden, wenn Investoren in "ihren" Vereinen künftig noch mehr das Sagen hätten.
In kartellrechtlicher Hinsicht, so Nothdurft auf der Sportrechtstagung in Berlin, werde man insbesondere unter dem Aspekt der Verhältnismäßigkeit die geltenden Ausnahmeregelungen "genau prüfen". Diese ermöglicht aktuell zum Beispiel das Engagement von Volkswagen beim VfL Wolfsburg.
Erst kürzlich war der Hannover-96-Präsident, der Hörgeräte-Unternehmer Martin Kind, mit dem Versuch bei der DFL gescheitert, für sein langjähriges Engagement bei Hannover 96 ebenfalls eine derartige Ausnahmegenehmigung zu erreichen. Die DFL verweigerte ihm diese mit der Begründung, dass das in der Satzung geforderte Merkmal der "erheblichen Förderung" im Falle von Kind nicht erfüllt sei. Der Vereinspräsident zog gegen diese Entscheidung vor das Ständige Schiedsgericht der Lizenzligen. Dieses vertagte Mitte Dezember die Entscheidung – offiziell, weil es noch ein Sachverständigengutachten einholen will.
Sportrechtler: "DFL kommt ihrer Gestaltungspflicht nicht nach"
Vielleicht aber auch, weil man eine Entscheidung des BKartA abwarten möchte. Gegenüber LTO kritisierte Kinds Rechtsbeistand, der renommierte Sportrechtler Christoph Schickhardt, die DFL: Diese komme ihrer Gestaltungspflicht nicht nach, die "völlig verquerte" Regelung zu den Ausnahmen von 50+1 vernünftig neu zu fassen. § 8 der DFL-Satzung passe hinten und vorne nicht, so Schickhardt.
Die Bonner Wettbewerbsbehörde steht nun unter erheblichem Druck. Manche Kartellrechtler glauben, dass sie beim Thema 50+1 ohnehin eher der DFL nahe steht. So ist über eine bereits 2017 vom Investor des Münchner Traditionsvereins TSV 1860 eingereichte Beschwerde gegen die 50+1-Regelung bis heute noch nicht entschieden worden. "Hier dauert die Prüfung noch an", sagt ein Sprecher des Bundeskartellamtes auf LTO-Nachfrage.
So verwundert es auch nicht, dass das BKartA die nun anstehende Prüfung der umstrittenen Regelung nicht etwa aus eigenem Antrieb vornimmt, wozu es ebenfalls befugt wäre, sondern nur deswegen, weil die DFL das Amt selbst darum gebeten hat: Der Ligaverband hat ein Prüfverfahren nach § 32c GWB (Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen) bei der Bonner Behörde beantragt. Der DFL geht es um Rechtssicherheit, sie will offenbar endlich selber wissen, ob ihre eigene Regelung gegen das Kartellrecht verstößt oder eben nicht.
Kartellrechtler deuten die Initiative der DFL aber auch dahingehend, dass sie unbedingt Gerichtsurteilen zuvorkommen möchte. Schließlich hat Hannovers Präsident bereits angekündigt, gegebenenfalls vor das Landgericht Frankfurt am Main zu ziehen, sollte ihm die Ausnahmeregelung, wie sie auch der Unternehmer Hopp in Hoffenheim bekommen hat, verwehrt werden. Eine entsprechende Klage - dann gegen die 50+1-Regel als solche – hat sein Anwalt bereits vorbereitet. Sportrechtler Lambertz rechnet damit, dass 50+1 vor einem ordentlichen Gericht keinen Bestand haben würde.
Droht Bundesligavereinen Schadensersatz?
Das BKartA selbst will sich bisher nicht in die Karten schauen lassen. Sport- und Kartellrechtler halten es unausweichlich, dass die Wettbewerbshüter die aktuelle 50+1-Regelung so nicht bestätigen werden. Anwalt Lambertz interpretiert auch die Aussagen des Kartellamt-Abteilungsleiters auf der DAV-Tagung in Berlin in diesem Sinne: "Die Aussagen von Herrn Nothdurft zeigen, dass das Kartellamt die Sache ernst nimmt und ernsthaft die Möglichkeit eines Kartellrechtrechtsverstoßes in Betracht zieht."
Hiervon überzeugt davon ist auch der Berliner Sportrechtler und Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz, Fabian Reinholz: "Ich halte es für wahrscheinlich, dass das Kartellamt 50+1 in der derzeitigen Fassung nicht stehen lässt", sagt er zu LTO. "Warum sollte gerade im Big Business Fußball nicht in einer Weise investiert werden dürfen wie in anderen Wirtschaftsbranchen auch?" Der Anwalt glaubt ebenso, dass die Sonderregelung für Vereine wie Leverkusen oder Hoffenheim keinen Bestand haben werden. Diese sei "klar diskriminierend und dürfte die Prüfung durch das Kartellamt nicht überleben", meint der Jurist.
Der Münchner Kartellrechtler Orth pflichtet ihm im Gespräch mit LTO bei: Nicht nur die Ausnahmeregelung an sich, sondern auch die "intransparente und diskriminierende Anwendung der Ausnahmeregel durch die DFL" verstoße gegen europäisches Kartellrecht. Er verweist darauf, dass die EU-Kommission eine der 50+1-Regel vergleichbare Vorschrift in Frankreich schon vor Jahren kritisiert hat - und das Land so zu einer Änderung bewogen habe. Nach Ansicht Orths steht auch für die Vereine der Fußball-Bundesliga viel auf dem Spiel: "Wenn die 50+1-Regelung gegen deutsches und europäisches Kartellrecht verstößt, sind sämtliche Kartellanten zum Schadensersatz verpflichtet, der etwa Investoren entstanden ist." "Kartellanten" - das sind dabei sämtliche Mitglieder der DFL, also auch die 36 Bundesligisten.
Prüfung durchs Bundeskartellamt: . In: Legal Tribune Online, 14.01.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/33203 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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