Die Bundesregierung fürchtet, politische Zugeständnisse machen zu müssen, damit die Opposition dem Fiskalpakt zustimmt. Dabei handelt es sich bei dem Pakt nur um einen völkerrechtlichen Vertrag, der auch ohne Zweidrittelmehrheit im Bundestag auskommt. Warum die Koalition nicht auf die Stimmen des politischen Gegners angewiesen ist, erläutert Hanno Kube.
SPD und Grüne wollen dem europäischen Fiskalpakt nur dann zustimmen, wenn auch die Finanztransaktionssteuer eingeführt wird. Politisch gerät die Bundesregierung deshalb unter Druck: Sie geht davon aus, dass das Zustimmungsgesetz zum Fiskalpakt einer verfassungsändernden Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat bedarf. So glaubt sie, auf die Stimmen der Opposition angewiesen zu sein.
Der Pakt schreibt den Vertragsstaaten unter anderem vor, eine Schuldenbremse auf verfassungsrechtlicher oder äquivalenter Ebene einzuführen. Dadurch würde sich, dies die Argumentation der Regierung, Deutschland völkerrechtlich binden, das Grundgesetz (GG) nicht mehr derart zu ändern oder zu ergänzen, dass es dem Fiskalpakt entgegensteht. Die Bundesregierung glaubt, dass in diesem Zusammenhang die strengen Maßstäbe gelten, die das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) im Hinblick auf die europäische Integration und den Euro-Rettungsschirm entwickelt hat.
Der Fiskalpakt ist aufgrund des Widerstands von Großbritannien aber ein völkerrechtlicher Vertrag außerhalb der EU. Völkerrechtlichen Verträgen hat die Bundesrepublik Deutschland seit jeher über Art. 59 GG zu innerstaatlicher Wirksamkeit verholfen. In gewichtigen Fällen durch Zustimmungsgesetz, das mit einfacher Mehrheit beschlossen wird. Dadurch ist es zu intensiven internationalen Verflechtungen Deutschlands gekommen. Auch die Übertragung von Hoheitsrechten auf zwischenstaatliche Einrichtungen wie die NATO wurde auf die Vorschrift gestützt.
Gilt nun etwas anderes, weil der Fiskalpakt Änderungen auf Verfassungsebene verlangt?
Europäische Integration erforderte Anpassung des Grundgesetzes
In den letzten Monaten wurde viel darüber diskutiert, wie die deutsche Teilnahme am europäischen Rettungsschirm inhaltlich auf das Grundgesetz wirkt. Es wurde darüber gestritten, ob die Euro-Rettung die Budgethoheit des Parlaments beschränkt und ob sie mit der Identitätsgarantie des Grundgesetzes vereinbar ist. Die Identitätsgarantie kommt dabei über Art. 23 GG ins Spiel, der im Zuge der Zustimmung zum Maastricht-Vertrag in das Grundgesetz aufgenommen worden war. Dies deshalb, weil das Europarecht zu diesem Zeitpunkt begann, Wirkungen auf das deutsche Recht einschließlich des Verfassungsrechts zu entwickeln, auf die das Grundgesetz nicht vorbereitet war. Die Vorschriften der Verfassung waren mit der fortschreitenden Integration überfordert.
Insbesondere der vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) ersonnene Rechtsgedanke des effet utile, der den Anwendungsvorrang des Europarechts vor dem gesamten mitgliedstaatlichen Recht begründete, machte es notwendig, das Grundgesetz anzupassen. Diesen Anwendungsvorrang nimmt Art. 23 GG verfassungsseitig auf, legitimiert ihn, begrenzt ihn aber auch: Soweit eine Änderung des mit Anwendungsvorrang ausgestatteten EU-Rechts das deutsche Verfassungsrecht inhaltlich unmittelbar modifiziert, bedarf die deutsche Zustimmung der Zweidrittelmehrheit im Bundestag. Berührt die Modifikation die Identitätsgarantie, ist sie unzulässig.
Das EU-Recht ändert das Grundgesetz direkt infolge der Zustimmung, so dass in der Tat kein anderer Maßstab als bei einer sonstigen Verfassungsänderung gelten kann.
Für den Fiskalpakt gilt der Anwendungsvorrang des EU-Rechts nicht
Für den Fiskalpakt gilt der EU-rechtsspezifische Anwendungsvorrang aber nicht, da es sich um einen Vertrag außerhalb der Europäischen Union handelt. Die Regelungen des Fiskalpakts können das Verfassungsrecht somit nicht aus sich heraus ändern. Die nach Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG erforderliche Zweidrittelmehrheit wird also für den Fiskalpakt nicht gebraucht.
Eine Zweidrittelmehrheit kann allenfalls unter einem anderen Aspekt in Betracht kommen. Das Zustimmungsverfahren für einen völkerrechtlichen Vertrag nach Art. 59 Abs. 2 GG soll sicherstellen, dass die Vertragsverpflichtungen auch erfüllt werden. Ist hierzu ein Parlamentsgesetz erforderlich, verlangt Art. 59 Abs. 2 GG den Beschluss eben dieses Gesetzes, bevor der Vertrag wirksam wird.
Was aber gilt, wenn der völkerrechtliche Vertrag darauf gerichtet ist, die Verfassung abzuändern? Nach dem Sinn und Zweck von Art. 59 Abs. 2 GG sollte auch in diesen Fällen gewährleistet werden, dass die Verpflichtung umgesetzt wird, bevor der Vertrag bindend wird – nur reicht ein einfaches Parlamentsgesetz dafür nicht aus. Erforderlich ist ein Handeln des verfassungsändernden Gesetzgebers. Das Zustimmungsgesetz muss also verfassungstextändernden Gehalt haben, was eine doppelte Zweidrittelmehrheit verlangt.
Das geplante Zustimmungsgesetz zum Fiskalpakt ändert den Text des GG aber nicht ab, zumal die Bundesregierung davon ausgeht, bereits eine Schuldenbremse in das GG integriert zu haben, die dem Pakt gerecht wird. So verweist der Gesetzentwurf zur Begründung der verfassungsrechtlichen Dimension des Vorgangs auch primär auf die Verpflichtung, die Schuldenbremse nicht wieder abzuschaffen, also auf die Zukunftsbindung durch den Fiskalpakt. Doch führt dies allein nicht zum Erfordernis einer doppelten Zweidrittelmehrheit. Denn auch insoweit ist entscheidend, dass das Zustimmungsgesetz das Grundgesetz nicht ändert.
Probleme der Selbstbindung
In der Sache ist es im Übrigen sehr fraglich, ob die vertraglich implizierte Pflicht, die Schuldenbremse nicht wieder abzuschaffen, überhaupt eigenständig durch innerstaatliche Regelung umgesetzt werden muss. Denn ihr wird schlicht und einfach dadurch entsprochen, dass die Schuldenbremse besteht. Weitergehend wird die völkervertragliche Zukunftsbindung auch in anderen Fällen durch das Zustimmungsgesetz typischerweise nicht gewährleistet. Vertragskonformes Verhalten kann nach dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit auch in Zukunft erwartet werden.
Zudem ist zu bedenken, dass die Vertragsbindung selbst enden kann und eine entsprechende innerstaatliche Flexibilität erhalten werden sollte. Schließlich stellt sich gerade beim Fiskalpakt die Frage, wie eine im Grundgesetz eingerichtete Schuldenbremse normativ verstetigt werden sollte. Dies kann allenfalls dadurch erreicht werden, dass die Schuldenbremse in den Kreis der unabänderlichen Grundsätze von Art. 79 Abs. 3 GG aufgenommen wird.
Das wirft aber sogleich die Folgefrage auf, ob hierfür das Parlament zuständig sein kann oder das Volk selbst entscheiden muss.
Eine wirksame Selbstbindung in die Zukunft hinein auszugestalten, ist aber letztlich auf jeder innerstaatlichen Normebene aussichtslos. Dies zeigt schon die Überlegung, dass auch die verfassunggebende Gewalt immer wieder Neuregelungen schaffen kann.
Die Bundesregierung wird somit die Stimmen der Opposition nicht brauchen, um das Zustimmungsgesetz zum Fiskalpakt zu beschließen.
Der Autor Prof. Dr. Hanno Kube, LL.M. ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Europarecht sowie Finanz- und Steuerrecht an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz.
Fiskalpakt im Bundestag: . In: Legal Tribune Online, 11.04.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5974 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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