Wer sich einen Prozess ansehen möchte, kann sich meist einfach in den Saal setzen. Wenn Jugendliche betroffen sind oder es um sehr Privates geht, wird die Öffentlichkeit allerdings ausgeschlossen. Und, wenn es ums Geld geht. Vor den Finanzgerichten kann man die Öffentlichkeit jederzeit ausschließen lassen. Ein Automatismus, über den man "mal nachdenken" könnte, meint ein BFH-Vorsitzender.
Großes Interesse erregen die Verfahren vor dem Bundesfinanzhof (BFH) in der Regel nicht. Wer interessiert sich schon für die Beendigung der Konzernbesteuerung mit der Eröffnung der Insolvenz oder Aufwendungen für die krankheitsbedingte Unterbringung in einem Wohnstift als außergewöhnliche Belastung nach § 33 des Einkommensteuergesetzes (EStG)? Das Steuerrecht, um das es hier geht, wird für die breite Öffentlichkeit in der Regel erst interessant, wenn Steuerhinterziehung im Raum steht und prominente Personen darin verwickelt sind, wie das bei Uli Hoeneß der Fall war.
Bei den Cum-Ex-Aktiendeals, über welche die Münchner Richter am Mittwoch verhandelten und entschieden, war dies anders (Urt. v. 16.04.2014, Az. I R 2/12). Bereits im Vorfeld wurde ausführlich über die Vorwürfe berichtet. In dem Verfahren geht es um dubiose Aktiengeschäfte, die viele Banken, aber auch Fonds und Händler betrieben haben sollen. Weil dabei einmal gezahlte Kapitalertragsteuer mehrfach erstattet wurde, soll der deutsche Fiskus damit um Milliarden gebracht worden sein.
Noch vor dem eigentlichen Beginn der mündlichen Verhandlung wurde die weitere Berichterstattung jedoch etwas erschwert. Die Klägerin, die DWH Beteiligungsgesellschaft, beantragte, die Öffentlichkeit auszuschließen. Dem musste das Gericht nach § 52 der Finanzgerichtsordnung (FGO) stattgeben - ein Ermessen wird den Richtern dabei nicht eingeräumt. Angesichts des großen öffentlichen Interesses an dem Fall äußerte der Vorsitzende Richter des I. Senats, Dietmar Gosch, am Mittwoch Zweifel an diesem Automatismus, über den man "mal nachdenken" könne.
Ursprünglich: Schutz vor Geheimjustiz
Vor den ordentlichen Gerichten kann die Öffentlichkeit nicht so ohne weiteres vor die Tür geschickt werden, wenn der Angeklagte oder eine der Parteien dies wünscht. Nach § 169 S. 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) ist die Verhandlung einschließlich der Verkündung der Urteile und Beschlüsse öffentlich. Die Regelung ist historisch bedingt, die Beteiligten sollen so vor einer Geheimjustiz geschützt werden. Der Öffentlichkeit kommt also eine Kontrollfunktion zu.
Die Öffentlichkeit hat aber auch ein Interesse daran, über Gerichtsverfahren informiert zu werden. Dieses Informationsinteresse der Allgemeinheit rückt zunehmend in den Vordergrund, wenn über die Öffentlichkeit eines Gerichtsverfahrens diskutiert wird.
Ausnahmen vom Grundsatz der Öffentlichkeit des § 169 S. 1 GVG gelten etwa für Familiensachen und Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Außerdem kann die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden, wenn es um die Unterbringung eines Beschuldigten in der Psychiatrie oder einer Entzugsklinik geht oder soweit Umstände aus dem persönlichen Lebensbereich eines Beteiligten, besprochen werden, deren öffentliche Erörterung schutzwürdige Interessen verletzten würde. Diese Ausnahme schützt auch Zeugen und Opfer.
Meist wird die Vorschrift in Verfahren um Sexualstraftaten angewandt. Häufig geschah dies im Kachelmann-Prozess. Damals wurde die Presse häufig auf den Gang geschickt – zum Schutz der Zeugen und der Nebenklägerin, also der Ex-Geliebten des Wettermoderators. Auch Jugendstrafsachen werden in der Regel nicht-öffentlich verhandelt, vgl. § 48 Jugendgerichtsordnung (JGG).
Öffentlichkeit als wirtschaftliches Risiko?
In Verfahren vor den Finanzgerichten ist der Grund für die weitgehende Ausschlussmöglichkeit der Öffentlichkeit das Steuergeheimnis. Grundsätzlich dürfen Amtsträger nach § 30 der Abgabenordnung (AO) keine Informationen offenbaren, die ihnen im Rahmen eines Finanzverfahrens bekannt geworden sind.
Diesen Schutz vollzieht auch das GVG nach. Gemäß § 172 kann die Öffentlichkeit in Verfahren der ordentlichen Gerichtsbarkeit ausgeschlossen werden, wenn es um ein wichtiges Steuer- oder Geschäftsgeheimnis geht. Die Vorschrift eröffnet aber lediglich die Möglichkeit, die Öffentlichkeit auszuschließen; es wird nicht derselbe Automatismus geschaffen wie vor den Finanzgerichten, den der Vorsitzende Richter in den Cum-Ex-Verfahren nun anzweifelte.
Der Rechtsanwalt und Steuerberater Lenhard Jesse teilt diese Zweifel nicht. Ihm ist auch nicht bekannt, dass darüber diskutiert worden ist, etwas an dem Grundsatz zu ändern. "In Deutschland geht man davon aus, dass es niemanden etwas angeht, was man verdient."
Honorarprofessor Jesse befürchtet, dass es zu Rechtsunsicherheiten kommt, wenn Richtern ein Ermessen eingeräumt würde, ob sie dem Antrag eines Beteiligten auf Ausschluss der Öffentlichkeit stattgeben wollen. "Ich könnte meinem Mandanten dann nicht mehr garantieren, dass seine Nachbarn, aber vor allem auch seine Konkurrenten nicht von seinem Verfahren gegen das Finanzamt erfahren." Er gibt zu bedenken, dass in Finanzverfahren sehr viele sensible Informationen preisgegeben werden – Einnahmen, Verluste, Investitionen.
Das sind Geschäftsgeheimnisse, die für Konkurrenten durchaus von Interesse sein können. Die Öffentlichkeit wird damit zum wirtschaftlichen Risiko für Verfahrensbeteiligte. Ich kann mir schon vorstellen, dass sich jemand gegen eine Klage entscheidet, wenn er nicht sichergehen kann, dass dieses Risiko ausgeschlossen werden kann."
AO gewährleistet Steuergeheimnis nur eingeschränkt
In der Praxis bestehe sowieso kaum ein Interesse an den Verfahren vor den Finanzgerichten, so der Berliner Fachanwalt für Steuerrecht. "Da sitzt so gut wie nie jemand im Gerichtssaal. Die Verhandlungen interessieren keinen und sind für Laien ohne Kenntnis der Akten auch kaum nachzuvollziehen." Auch die Cum-Ex-Geschäfte, um die es am Mittwoch vor dem BFH ging, verstünden nur Spezialisten. Das öffentliche Interesse sei in dem Fall aber ja auch bereits dadurch befriedigt, dass bekannt war, um welche Summen es ging. Jesse beantragt für seine Mandanten trotzdem regelmäßig den Ausschluss der Öffentlichkeit, zur Sicherheit.
Im Strafverfahren sei die Interessenlage anders, meint Jesse, weil es um Gerechtigkeitsfragen gehe. "Auch im Zivilprozess ist die Öffentlichkeit der Verhandlungen kein Problem, weil in der Regel keine sensiblen Informationen diskutiert werden. Wenn um einen Kaufpreis gestritten wird, müssen keine Umsatzzahlen offenbart werden."
Aber selbst die AO kennt Ausnahmen vom Steuergeheimnis zugunsten eines zwingenden öffentlichen Interesses. Das kann nach der Vorstellung des Gesetzesgebers etwa der Fall sein bei Verbrechen, schweren Vergehen oder Wirtschaftsstraftaten, die die wirtschaftliche Ordnung erheblich stören können.
Mit Material von dpa.
Claudia Kornmeier, BFH verhandelt ohne Öffentlichkeit: . In: Legal Tribune Online, 17.04.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/11741 (abgerufen am: 02.11.2024 )
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