Fehlerhafte Anlageberatung: Nichtlektüre eines Prospekts ist nicht grob fahrlässig

plö/LTO-Redaktion

09.08.2010

 

In einem am Freitag veröffentlichten Urteil hat der BGH entschieden, dass ein Anleger auf die Beratung durch den Anlageberater vertrauen darf. Er hat nicht schon deshalb grob fahrlässig keine Kenntnis von einem Anlageberatungsfehler, weil er es unterlassen hat, den ihm überreichten Emissionsprospekt durchzulesen, auch wenn dieser auf die Risiken hinwies.

Damit gab der Bundesgerichtshof (BGH) einem Anleger Recht, der von seinem Anlageberater Schadensersatz in Höhe von rund 100.000 € forderte, weil er sich falsch beraten fühlte.

Hintergrund war, dass sich der Kläger an einem Immobilienfonds beteiligt hatte, der aufgrund deutlichen Rückgangs der Mieteinnahmen in zunehmende wirtschaftliche Schwierigkeiten geriet. Da der Versuch, eine im Eigentum des Fonds stehende Büroturm-Immobilie als wesentlichen Teil des Fondsvermögens zu veräußern, ohne Erfolg blieb, ordnete das Amtsgericht München schließlich 2006 die vorläufige Insolvenzverwaltung über das Vermögen der Fondsgesellschaft an.

Der Kläger machte geltend, der beklagte Anlageberater habe seine Pflichten aus dem Anlageberatungsvertrag verletzt, da er ihm mit der Fondsbeteiligung eine Anlage empfohlen habe, die seinem erklärten Anlageziel einer sicheren Altersvorsorge widersprochen habe. Der Beklagte habe ihn nicht auf die spezifischen Risiken dieser Anlage, insbesondere nicht auf das Risiko eines Totalverlusts hingewiesen. Der Beklagte erhob die Einrede der Verjährung.

Beratungsfehler schon durch Empfehlung - kein Mitverschulden

Wie schon die Vorinstanzen gaben die Bundesrichter dem Kläger Recht (BGH, Urt. v. 08.07.2010, Az. III ZR 249/09). Sie bestätigten die Auffassung des OLG, dass ein Beratungsfehler des Beklagten schon darin liege, dass dieser dem Kläger die Anlage in dem Immobilienfonds empfohlen hat.

Die Empfehlung verletze die Pflicht zur "anlegergerechten", auf die persönlichen Verhältnisse und Anlageziele des Kunden zugeschnittenen Beratung. Da die empfohlene Fondsanlage – worauf der Beklagte den Kläger unter Bezugnahme auf entsprechende Angaben im Anlageprospekt hingewiesen haben will – sogar (im "Extremfall") ein Totalverlustrisiko aufwies, durfte diese Beteiligung nicht als praktisch "risikofrei" und mithin "sichere", zur Altersvorsorge geeignete Kapitalanlage eingeordnet werden.

Unter diesen Umständen hätte der Beklagte von der Beteiligung abraten müssen. Da der Anleger sich regelmäßig auf die Richtigkeit und Vollständigkeit der ihm erteilten Aufklärung und Beratung verlassen dürfe (ständige Rechtsprechung), sei das Berufungsgericht auch zu Recht davon ausgegangen, dass ein Mitverschulden des Anlageinteressenten im Falle eines Schadensersatzanspruchs wegen der Verletzung von Aufklärungs- und Beratungspflichten nur unter besonderen Umständen zur Anrechnung komme.

Verjährungsfrist beginnt nicht durch Nichtlektüre des Prospekts

Der Senat stellte klar, dass das Unterlassen des Klägers, den ihm übergebenen Emissionsprospekt durchzulesen und damit die Angaben im Prospekt wahrzunehmen, nicht nur kein Mitverschulden des Klägers begründet, sondern auch den Verjährungsbeginn nicht beeinflusst, sein Anspruch also auch nicht verjährt war.

Eine grob fahrlässige Unkenntnis des Klägers von den Anspruchsvoraussetzungen, die für den Fristbeginn maßgeblich ist (§ 199 Abs. 1 Nr. 2) ergebe sich nicht schon daraus, dass dieser es unterlassen hat, den ihm übergebenen Emissionsprospekt durchzulesen und hierbei auf durchgreifende Hinweise auf die fehlende Eignung der Kapitalanlage für seine Anlageziele zu stoßen. Damit beendet der BGH einen auf Ebene der OLG ausgefochteten Meinungsstreit.

Der Senat ist der Auffassung, dass der Anleger, der bei seiner Anlageentscheidung die Erfahrungen und Kenntnisse eines Anlageberaters in Anspruch nimmt, den Ratschlägen, Auskünften und Mitteilungen des Anlageberaters besonderes Gewicht beimesse. Trotz der großen Bedeutung des Prospekts für die Information des Anlageinteressenten seien Prospektangaben notwendig allgemein gehalten und hielten aufgrund ihrer Detailfülle viele Anleger von einer Lektüre ab.

Vertraue daher der Anleger auf den Rat und die Angaben "seines" Beraters oder Vermittlers und sehe er deshalb davon ab, den ihm übergebenen Anlageprospekt durchzusehen und auszuwerten, so sei darin im Allgemeinen kein in subjektiver und objektiver Hinsicht "grobes Verschulden gegen sich selbst" zu sehen. Eine andere Betrachtungsweise würde den Anleger unangemessen benachteiligen und einen Schadensersatzanspruch oftmals leer laufen lassen.

Zitiervorschlag

Fehlerhafte Anlageberatung: . In: Legal Tribune Online, 09.08.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/1159 (abgerufen am: 22.11.2024 )

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