Eines der größten Containerschiffe der Welt liegt quer im Suezkanal. Nun dürften Charterer, Reeder und Ladungseigner schlaflose Nächte haben. Die Transportrechtlerin Julia Hörnig erklärt, wer womöglich am Ende zahlt.
Frau Dr. Hörnig, die Ever Given ist im Suez Kanal auf Grund gelaufen, liegt nun quer und blockiert eine der wichtigsten Handelsrouten der Welt. Wer muss das Schiff jetzt bergen?
Für die Bergung sind der Kapitän und die ägyptische Suezkanalbehörde administrativ zuständig, der Schiffseigner rechtlich verantwortlich. Der Schiffseigner beauftragt die Berger, in diesem Fall ist u.a. das niederländische Spezialteam SMIT Salvage vor Ort. Man versucht jetzt erstmal das Schiff so schnell wie möglich freizubekommen. Alles andere wird später geklärt, etwa wie hoch der Bergelohn ist und wer dafür mit welchem Anteil haftet. Das ist sehr typisch für das Seerecht: Es gibt einen Gedanken der Solidarität, das Schiff, die Mannschaft und die Ladung müssen gerettet werden. Wer dafür zahlt, klärt man hinterher. Erst kommt die Bergung, dann kommen die Haftungsfragen.
Die Bergungsarbeiten sind extrem aufwendig, im Moment lässt sich nicht einmal sagen, ob das Schiff in einigen Tagen oder Wochen freikommt. Und da geht ein Bergungsunternehmen in Vorleistung?
In den meisten Fällen schließt der Kapitän im Namen der Schiffseigner einen Vertrag mit den Bergern. Jeder Kapitän hat dafür die Lloyd‘s Standard Form of Salvage Agreement in der Schublade liegen, die sogenannte Lloyd's Open Form, LOF. Das ist ein Standardvertrag, dort werden nur wenige Details, wie die Namen der Vertragsparteien sowie Daten zum Bergungsort eingetragen. Darin wird insbesondere festgelegt, dass englisches Recht gilt und das ein Schiedsgericht den Bergelohn bestimmen wird und klärt, welcher Unfallbeteiligte in welchem Umfang haftet. Sollte keine LOF oder ein sonstiger Bergungsvertrag zum Einsatz kommen, dann handelt es sich bei der Bergung einfach um ein gesetzliches Schuldverhältnis. Das ist in der Salvage Convention geregelt, einem völkerrechtlichen Abkommen, das weltweit sehr viele Staaten unterzeichnet haben. In Deutschland ist es etwa im Handelsgesetzbuch umgesetzt.
Was genau regelt die Salvage Convention für den Fall der Bergung?
Sie legt bestimmte Maßstäbe fest, was bei der Bergung beachtet werden muss. Einige Bestimmungen sind bindend, davon kann auch nicht vertraglich – etwa im Rahmen der LOF – abgewichen werden. Die Salvage Convention bestimmt etwa, dass bei der Bergung Schaden von der Umwelt abgewendet werden muss und dafür auch unter Umständen eine Sondervergütung zu zahlen ist. Das ist ja eine der wenigen guten Nachrichten an diesem Fall: Immerhin ist die Ladung kein Öl.
"Allein an dem Schiff dürften um die zehntausend Parteien beteiligt sein"
Wer ist an dem Schiff alles beteiligt?
Ich gehe davon aus, dass es um die zehntausend Parteien sind. Die Ever Given gehört einem japanischen Reeder, das ist der Schiffseigner. Der Charterer ist die taiwanesische Evergreen Marine Corp., ihr wird das Schiff für eine bestimmte Zeit zusammen mit der Crew vom Reeder überlassen. Die Charterer schließen die Frachtverträge mit den Eigentümern der Ladung teilweise selbst, teilweise agieren sie als Subunternehmer für andere Verfrachter. Das hängt aber von den einzelnen Verträgen ab.
Die Crew des Reeders ist dann meist Erfüllungsgehilfe des Charterers. Und dann gibt es natürlich die Ladungseigner. Die Ever Given kann mehr als 20.000 Container mit einer Größe von 20 Fuß transportieren. Pro Container könnten rund 20 Ladungseigner beteiligt sein, davon gehen jedenfalls Nachrichtenagenturen aus, die über den Fall berichtet haben. Außerdem sind aber natürlich auch noch verschiedene Versicherer involviert.
Und was decken diese Versicherungen ab?
Üblicherweise haben der Reeder und der Charterer eine sogenannte P&I-Versicherung für das Schiff, also "Protection and Indemnity", eine Haftpflichtversicherung. Sie haftet für Schäden, die das Schiff verursacht. In diesem Fall könnte es ja Schäden am Suezkanal geben, auch dafür kann eine P&I-Versicherung grundsätzlich Entschädigung bieten. Es gilt aber, erst muss der Schaden bezahlt werden, dann wird durch die Versicherung entschädigt ("paytobepaid").
Für die Bergungskosten kommt die sogenannte H&M-Versicherung, also "Hull & Machinery" – eine Kaskoversicherung, des Reeders auf. Die haftet auch bei allen Schäden am Schiff, die durch den Unfall entstehen, also wenn jetzt zum Beispiel die Bordwand beschädigt ist. Außerdem entgehen der Suezkanalbehörde durch die Blockade möglicherweise die Durchfahrtsgelder von anderen Schiffen. Ob das von der P&I-Versicherung abgedeckt ist, bleibt fraglich.
In jedem Fall sollte die Suezkanalbehörde eine Maritime Liability Versicherung haben, die hierfür aufkommen dürfte, wobei Regressfragen offen sind. Zusätzlich ist die Ladung versichert, meistens durch die Ladungseigner selbst. Das ist besonders wichtig, wenn es sich um verderbliche Ware handelt. Hier sind Regresse gegen den Transporteur, mit dem der Vertrag besteht, denkbar.
Was ist mit dem Charterer, der das Schiff nun gar nicht nutzen kann?
Da kommt es auf die Verträge an, und ob Charterverträge bestehen. Ein Zeitchartervertrag kann eine sogenannte off-hire-Klausel enthalten, in dem Fall wird der Charterer von seinen Zahlungsverpflichtungen freigestellt, solange er das Schiff nicht nutzen kann. Es kommt aber darauf an, wie so eine Klausel ausgestaltet ist und was sie abdeckt.
Mehr als 150 Schiffe dürften an den beiden Enden des Suezkanals auf die Durchfahrt warten, einige Kapitäne überlegen, ob sie nun lieber um das Kap der Guten Hoffnung herumfahren. Wer bezahlt den anderen Schiffseignern und Charterern die Kosten, die ihnen durch die Blockade entstehen? Und was ist mit Unternehmen weltweit, die auf ihre Fracht warten?
Normalerweise passieren täglich rund fünfzig Schiffe den Suezkanal mit pro Jahr einer Milliarde Tonnen Fracht. Die Blockade hat wirtschaftlich wirklich ganz gravierende Folgen, sie wirkt sich weltweit auf die Lieferketten aus, viele Unternehmen werden dadurch in Schwierigkeit kommen. Aber ob man dafür schließlich die Ever Given in Anspruch nehmen kann – also etwa vom Eigner und Charterer des Schiffes gesamtschuldnerisch Schadensersatz verlangen, ist schwer abzusehen. In jedem Fall ist der Schaden der Versicherer immens.
Frau Dr. Hörnig, danke für das Gespräch.
Dr. Julia Hörnig ist Assistant Professor für Commercial Law an der Erasmus University in Rotterdam und hat im Internationalen Transportrecht promoviert. Ab dem Sommersemester leitet sie den Master-Studiengang Maritime and Transport Law.
Ever Given-Havarie im Suez-Kanal: . In: Legal Tribune Online, 27.03.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44603 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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