Eine Unternehmenspraxis, nach der Arbeitnehmerinnen beim Kontakt mit Kunden kein islamisches Kopftuch tragen dürfen, ist diskriminierend. So beurteilt es jedenfalls die EuGH-Generalanwältin Sharpston in ihren Schlussanträgen.
Ein Arbeitgeber hat kein Kündigungsrecht, wenn sich seine Arbeitnehmerin weigert, beim Kontakt gegenüber Kunden das Kopftuch abzunehmen. Jedenfalls nach Auffassung von EuGH-Generalanwältin Eleanor Sharpston ist eine solche Kündigung als ungerechtfertigte Diskriminierung unwirksam.
Geklagt hatte eine Software-Designerin aus Frankreich. Sie trug bei der Arbeit ein islamisches Kopftuch, das – ausschließlich - ihr Haar bedeckte. Zu ihren Aufgaben als Projektingenieurin gehörte der Besuch von Kunden in deren Geschäftsräumen. Als sich ein Kunde über das Kopftuch beschwerte und verlangte, dass es beim nächsten Besuch "keinen Schleier geben möge", forderte der Arbeitgeber seine Mitarbeiterin auf, bei Kundenkontakt auf das Tragen des islamischen Schleiers zu verzichten. Als diese sich weigerte, erhielt sie die Kündigung.
Französisches Gericht befragt EuGH zur Auslegung der Diskriminierungsrichtlinie
Diese Kündigung könnte nach europäischem Recht unwirksam sein. Nach der Richtlinie 2000/78 über Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf dürfen Mitgliedstaaten Ungleichbehandlungen von Arbeitnehmern nur dann zulassen, wenn "aufgrund der Art einer bestimmten beruflichen Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübungen wesentliche und entscheidende berufliche Anforderungen" bestehen. Dem französischen Kassationshof (das höchste ordentliche Gericht Frankreichs) stellte sich also nun die Frage: Kann der Kundenwunsch "Kopftuchverbot" eine solche berufliche Anforderung darstellen? Diese Frage legte der Kassationshof dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vor.
Der EuGH wird erst im Herbst über diese Frage entscheiden. EuGH- Generalanwältin Sharpston hat aber bereits am Mittwoch ihre Schlussanträge gestellt und die Kündigung für rechtswidrig befunden. Bei dem Schlussantrag handelt es sich um ein Gutachten, das dem Gerichtshof als Orientierungshilfe für die Entscheidung dient. Sharpston vertritt darin die Ansicht, dass die Kündigung eine unmittelbare Diskriminierung der betroffenen Arbeitnehmerin aus religiösen Gründen darstellt.
Kundenbeschwerden erfüllen nicht den Ausnahmetatbestand der "beruflichen Anforderung"
Die Beschwerde des Kunden stelle nach Auffassung Sharpstons keine "berufliche Anforderung" im Sinne der Richtlinie dar. Der Ausnahmetatbestand sei nicht erfüllt. Schließlich habe der Arbeitgeber seiner Mitarbeiterin noch im Kündigungsschreiben ausdrücklich eine fachliche Kompetenz bescheinigt. Die Generalanwältin betont, die Richtlinie fordere eine "wesentliche und entscheidende" Anforderung, die eine Kündigung als verhältnismäßig erscheinen lassen müsse. Da die Arbeitnehmerin durch das Kopftuch keineswegs daran gehindert sei, ihre Aufgaben in Kundengesprächen wahrzunehmen, sei der Ausnahmetatbestand nicht erfüllt.
Das ausdrückliche Verbot, bei Kontakt mit Kunden ein Kopftuch zu tragen, stellt damit laut Sharpston eine unmittelbare Diskriminierung dar, die nicht zu rechtfertigen ist. Die Generalanwältin nutzte aber auch die Gelegenheit, ihren Rechtsstandpunkt im Hinblick auf eine neutrale Kleiderordnung im Unternehmen darzustellen. Demnach sei auch die unternehmerische Vorgabe eines völlig neutralen Dresscodes grundsätzlich eine "mittelbare Diskriminierung".
2/2: Neutrale Kleiderordnung als mittelbare Diskriminierung
Dabei hatte unlängst die deutsche Kollegin von Sharpston, Generalanwältin Juliane Kokott, just diese Frage nach der Zulässigkeit neutraler Kleiderordnung bereits kommentiert. In jenem Schlussantrag erachtete Kokott ein Kopftuchverbot ausdrücklich als zulässig. Jedenfalls dann, wenn die Kleiderordnung wie in dem belgischen Unternehmen auf eine allgemeine Betriebsregelung stützt. Die Mitarbeiterin sei dann nicht "aufgrund ihrer Religion" diskriminiert, wenn das Unternehmen insgesamt religiöse Neutralität herstellen will.
Auch in Deutschland haben sich die Gerichte bereits vielfach mit dem Kopftuchverbot am Arbeitsplatz auseinandergesetzt. Erst vor wenigen Wochen hat das Verwaltungsgericht Augsburg mit einer Entscheidung für Schlagzeilen gesorgt: Die Richter gaben einer muslimischen Rechtsreferendarin Recht, die sich gegen die Anordnung des Freistaats Bayerns zur Wehr gesetzt hat, während ihrer juristischen Ausbildung, etwa beim Sitzungsdienst für die Staatsanwaltschaft, das Kopftuch abzunehmen.
Während das Bundesverfassungsgericht 2015 ein pauschales Kopftuchverbot für Lehrkräfte als Verletzung der Religionsfreiheit gewertet hat, hatte das Arbeitsgericht Berlin erst im April 2016 ein Kopftuchverbot für Berliner Lehrerinnen abgesegnet.
Zwei EuGH-Urteile zu Kopftuchverbot in Privatwirtschaft erwartet
Die Rechtsstreitigkeiten in Deutschland spielten sich im öffentlichen Dienst ab. Hier ist der Staat selbst Dienstherr - und der ist im besonderen Maße zur religiösen Neutralität verpflichtet. Die Fälle aus Frankreich und Belgien betreffen jeweils eine Kleiderordnung in privaten Unternehmen.
Die beiden Generalanwältinnen zielen dabei in ihren Schlussanträgen in verschiedene Richtungen. Der EuGH hat die Tendenz, den Schlussanträgen zu folgen. Im Herbst könnten also durchaus zwei differenzierte Entscheidungen zum Thema Kopftuch aus Luxemburg zu erwarten sein.
Die Autorin Dr. Sabrina Fasholz ist Anwältin in der Kanzlei für Arbeitsrecht vangard in Hamburg.
Dr. Sabrina Fasholz, EuGH-Generalanwältin zu Kopftuchverbot: Kundenbeschwerde wegen Kopftuch rechtfertigt keine Kündigung . In: Legal Tribune Online, 13.07.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19992/ (abgerufen am: 04.07.2024 )
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