Nachdem die EU-Kommission die Beihilfen für die legendäre Rennstrecke am Nürburgring bereits vor Jahren untersagt und rückgefordert hatte, musste sich das EuG heute mit der Frage der Haftungserstreckung auf Rechtsnachfolger befassen, erläutert Ulrich Soltész.
Der Streit um Beihilfen für die Anlage rund um die legendäre Eifel-Rennstrecke Nürburgring ist eigentlich eine "never ending story", das Gericht der Europäischen Union (EuG) hat heute jedoch einen vorläufigen Schlussstrich gezogen. Mit seinen heutigen Urteilen in den Rechtssachen T-353/15 - NeXovation / Kommission und T-373/15 - Ja zum Nürburgring / Kommission - wies das Gericht die Klagen von konkurrierenden Bietern ab. Diese wollten erreichen, dass die Rückforderungen aus Brüssel nach dem Verkauf des Nürburgrings auch auf die Erwerberin erstreckt werden.
Im Jahre 2014 war die EU-Kommission nach einem langen Prüfverfahren zu dem Ergebnis gekommen, dass die "Nürburgring-Beihilfen" rechtswidrig waren und von den Empfängern zurückgefordert werden müssen. Es ging hierbei um massive öffentliche Unterstützungsleistungen, die vor allem vom Land Rheinland-Pfalz für die Rennstrecke, den Freizeitpark und die Hotels am Nürburgring gewährt wurden. Die Fördermaßnahmen umfassten Kapitalzuführungen, Darlehen, öffentliche Garantien, Patronatserklärungen, Rangrücktritte, günstige Pachtzinsen, Leistungsvergütungen und Zuschüsse.
Rückforderung gegenüber Erwerbern "beihilfeinfizierter Assets"
Sämtliche begünstigten Nürburgring-Gesellschaften befanden sich zu diesem Zeitpunkt bereits in einem Insolvenzverfahren. Im Rahmen dieses Verfahrens war ein öffentlicher Bietprozess zur Veräußerung der Vermögenswerte der Nürburgring-Gesellschaften durchgeführt worden. Der Zuschlag ging an einen lokalen Bieter mit dem Namen "Capricorn".
In diesem Kontext stellte sich ein äußerst praxisrelevantes Standardproblem, nämlich die Frage, ob sich eine Rückforderung von rechtswidrigen Beihilfen auf den Erwerber von "beihilfe-befangenen" Assets erstreckt, d.h. ob der Erwerber für die Rückzahlung der Beihilfen haftbar gemacht werden kann. Hierbei geht die Rechtsprechung der Unionsgerichte davon aus, dass die rechtswidrigen Beihilfen gewissermaßen an die neuen Eigentümer "weitergegeben" werden, wenn zwischen dem neuen und dem früheren Eigentümer "wirtschaftliche Kontinuität" besteht.
Erhebliche Risiken für Erwerber
Wird eine solche "wirtschaftliche Kontinuität" bejaht, so haftet der Erwerber mit seinem ganzen Vermögen für die Rückforderung von Beihilfen. Dies kann mehrstellige Millionenbeträge erreichen. Es bestehen also ganz erhebliche Risiken beim Kauf aus der Insolvenz.
Im vorliegenden Fall hatte die EU-Kommission sich in ihrer Negativentscheidung gleich zu der Frage geäußert, ob eine solche derartige Kontinuität besteht und dies verneint.
Entsprechend ihrer Praxis legte sie hierbei ein Bündel von Indizien zugrunde, nämlich den Gegenstand der Veräußerung (Aktiva und Passiva, Fortbestand der Belegschaft, gebündelte Aktiva), den Kaufpreis, die Identität des Erwerbers, der Zeitpunkt der Veräußerung und die ökonomische Folgerichtigkeit der Transaktion. Sie betonte hierbei, dass der neue Eigentümer Capricorn Vermögenswerte zu ihrem Marktwert und somit "beihilfefrei" erworben habe. Denn die Vermögenswerte seien in einem offenen, transparenten und diskriminierungsfreien Bietverfahren veräußert worden.
Konkurrierende Bieter beschweren sich
Der Sache nach hatte die Kommission also eine Haftungsfreistellung für den Erwerber Capricorn erteilt. Hiergegen hatten sich andere Bieter gewandt und den Beschluss der Kommissi-on insoweit vor dem Gericht der EU angefochten. Sie waren der Auffassung, dass eine wirtschaftliche Kontinuität zwischen den Nürburgring-Gesellschaften und dem Erwerber der As-sets bestehe und daher die Rückforderung auf den Erwerber erstreckt werden müsse.
Dies ist (leider) keine unübliche Situation. Nach dem Abschluss derartiger Verkaufsprozesse versuchen erfolglose Konkurrenzbieter oft mit allen Mitteln den Zuschlag nachträglich anzugreifen. Für den erfolgreichen Bieter – hier Capricorn – ist dies eine fatale Situation. Denn er muss damit rechnen, dass ihm nach einem mehrjährigen Gerichtsverfahren der Zuschlag rückwirkend entzogen wird.
EuG sorgt für Rechtsicherheit – zunächst …
Mit seinen heutigen Urteilen wies das Gericht die Klagen ab. Nach Auffassung der Richter waren die Klagen bereits teilweise unzulässig. Denn eine Konkurrentenklage setzt grundsätzlich voraus, dass der Mitbieter nachweist, dass er als Wettbewerber durch die behauptete Beihilfe in seiner seine Marktstellung spürbar beeinträchtigt ist. Hier waren die Konkurrenzbieter aber nach den Feststellungen des Gerichts nicht auf den relevanten Märkten - also den Märkten für den Betrieb von Rennstrecken, Offroad-Parks, Freizeitparks, Beherbergungs- und Gastronomiebetrieben, Fahrsicherheitszentren, etc. - tätig. Folglich verfügten sie über keinerlei Marktposition, die durch die Beihilfen hätten beeinträchtigt werden können.
Im Übrigen hielt das Gericht die Klagen für unbegründet. Es wies insbesondere die klägerischen Bedenken hinsichtlich der Transparenz und der Diskriminierungsfreiheit des Bietverfahrens zurück. Damit hat das Gericht zumindest für vorläufige Rechtssicherheit gesorgt. Die Kläger können allerdings noch ein Rechtsmittel zum Gerichtshof einlegen, womit sich der ungute Schwebezustand noch einmal verlängern würde.
Restrukturierungsberater können aufatmen
Das Urteil sendet ein positives Signal für die Restrukturierungspraxis und schafft eine gewisse Beruhigung für Erwerber von beihilfeinfizierten Assets. Das Gericht hat die von der Kommission erteilte Haftungsfreistellung für den Erwerber bestätigt. Es ist sehr zu begrüßen, dass die Kommission solche Negativatteste ausstellt und es ist auch wichtig, dass diese vor Gericht Bestand haben. Denn andernfalls wären nur wenige Interessenten bereit, Assets aus einer Insolvenz zu erwerben, wenn das insolvente Unternehmen zuvor Beihilfen erhalten hat.
Zudem sendet das Urteil ein klares Signal an enttäuschte Konkurrenzbieter: Die Latte für die gerichtliche Anfechtung einer Zuschlagsentscheidung liegt hoch. Dies könnte die - in letzter Zeit in Mode gekommenen - Versuche der übergangenen Mitbieter den Zuschlag nachträglich zu kippen, etwas eindämmen. Erwerber aber auch Veräußerer hätten dann weniger schlaflose Nächte.
Der Autor Dr. Ulrich Soltész ist Rechtsanwalt und Partner bei Gleiss Lutz in Brüssel. Er arbeitet seit über 22 Jahren im EU-Recht, insbesondere im Europäischen Kartell- und Beihilferecht.
EuG billigt Nürburgring-Verkauf: . In: Legal Tribune Online, 19.06.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/36017 (abgerufen am: 05.11.2024 )
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