Die Lockerung neuer Grenzwerte bei Euro-6-Tests war rechtswidrig. Das EuG erklärte diese für nichtig. Eine möglicherweise folgenschwere Entscheidung für Fahrer neuer Diesel-Fahrzeuge, wie Ursula Steinkemper und Thomas Lennarz erläutern.
Seit der Entscheidung des Gerichts der Europäischen Union (EuG) vom Donnerstag ist die Diskussion über Fahrverbote für Diesel-Fahrzeuge um eine Facette reicher (Urt. v. 13.12.2018, Rs. T-339/16, T-352/16, T- 391/16): Danach könnten zukünftig wieder Schadstoffgrenzwerte gelten, die auch von Dieselfahrzeugen mit Euro 6-Norm möglicherweise nicht eingehalten werden.
Mit der Anhebung der Grenzwerte im Jahr 2016 wollte die Europäischen Kommission einen Ausgleich dafür schaffen, dass die Schadstoff-Emissionen nicht mehr im Labor, sondern im praktischen Fahrbetrieb gemessen werden. Gegen diese Regelung hatten mehrere Großstädte (Paris, Brüssel und Madrid) geklagt, da sie dadurch ihre Bemühungen und Verpflichtungen zur Luftreinhaltung gefährdet sahen. Ihren Klagen hat der EuG nun stattgegeben.
Fragen des Klimawandels und der Umweltpolitik werden derzeit nicht nur gesellschaftspolitisch, sondern immer häufiger auch juristisch diskutiert. Die Bandbreite dieser gerichtlichen Verfahren reicht von Fahrverboten zur Luftreinhaltung über (Sammel-)Klagen für und gegen die Verschärfung von Grenzwerten bis hin zu Schadensersatzklagen gegen Unternehmen wegen Mitverursachung des Klimawandels.
Umsetzung der europäischen Luftqualitätsrichtlinie
Gegenstand der juristischen Diskussion ist dabei immer wieder auch die europäischen Luftqualitätsrichtlinie 2008/50/EG. Gerade die Umsetzung dieser Richtlinie stellt die Mitgliedstaaten und die für die Umsetzung zuständigen Stellen vor große Herausforderungen. In Deutschland sind dies vor allem die Bundesländer, in anderen Mitgliedstaaten auch einzelne Städte. Einerseits sind sie verpflichtet, die Gesundheit der Bürger sowie die Umwelt zu schützen und dazu die Luftqualität zu verbessern. Andererseits ist es nicht nur politisch, sondern auch rechtlich schwierig, die vorhandene Luftverschmutzung effektiv zu mindern und die verschiedenen Verursacher von Luftverschmutzung rechtssicher und verhältnismäßig zu einer Änderung ihres Verhaltens zu bewegen.
Im Fokus stehen insbesondere Fahrverbote für Kraftfahrzeuge, weil dem Fahrzeugverkehr gemeinhin ein wesentlicher Teil der Luftverunreinigung in den Städten zugeschrieben wird und weil die Städte mit der Anordnung von Fahrverboten überhaupt eine Handlungsmöglichkeit haben. So sind in einigen deutschen Städten Fahrverbote bereits erlassen worden oder absehbar. Meist knüpfen diese an die Typenzulassung nach der mit Verordnung (EG) Nr. 715/2007 eingeführten europäischen Normen Euro 5 und 6. Bei Einhaltung der Euro 6-Norm ist eine Weiterfahrt auch in stark belasteten Städten und Straßenzügen in der Regel erlaubt.
Weil die Luftqualitätsziele trotz der Fahrverbote für viele Städte kaum zu erreichen sind und weitere teure Maßnahmen erforderlich werden, wehren sich einige Städte gegen die Aufweichung der schon seit 2007 geltenden Emissionsgrenzwerte.
Aufweichung der Grenzwerte durch die EU-Kommission
Mit der Verordnung (EU) 2016/646 vom 20. April 2016 hatte die Europäische Kommission eine Aufweichung der Grenzwerte beschlossen als Ausgleich für die verbindliche Vorgabe, dass die Emissionsgrenzwerte bei der Typenzulassung von Kraftfahrzeugen nicht mehr – wie bisher – im Testlabor, sondern im praktischen Fahrbetrieb nachgewiesen werden müssen (RDE-Verfahren, stehend für real driving emissions)
Nach der jetzt vom EuG für nichtig erklärten Regelung konnte die Euro 6-Norm auch erreicht werden, wenn im RDE-Verfahren ein um einen bestimmten Faktor höherer NOx-Schadstoffausstoß als die in der ursprünglichen Grenzwertfestlegung vorgesehenen 80 mg/km (Verordnung (EG) Nr. 715/2007) festgestellt wird. Mittels dieser Übereinstimmungsfaktoren galt die Euro 6-Norm daher für eine Übergangszeit noch bei einer Überschreitung um 110%, anschließend bis zu 50% als eingehalten. Begründet wurde die Einführung dieser möglichen Überschreitung des Grenzwertes mit Messunsicherheiten.
Paris, Brüssel und Madrid hatten mit ihrer Nichtigkeitsklage in Luxemburg Erfolg. Sie argumentieren gegen diese Abschwächung der Grenzwerte mit einer unzulässigen Beschränkung ihrer Handlungsmöglichkeiten bei der Umsetzung ihrer Pflichten zur Verbesserung der Luftqualität, dem Gesundheits- und Umweltschutz. Vor allem stützen sie sich auf das Argument, dass die Kommission zur Festlegung der Erleichterungen bei der Euro 6-Norm nicht zuständig gewesen wäre. Denn die ursprüngliche Verordnung aus dem Jahr 2007, mit der die Emissionsgrenzwerte festgelegt worden waren, war vom EU-Parlament verabschiedet worden. Die Einführung des geänderten Prüfverfahrens und die Berichtigung von durch das geänderte Verfahren erzielten Prüfwerten durch die sogenannten Übereinstimmungsfaktoren erfolgte aber durch eine Verordnung der Kommission.
Kommission war nicht zuständig
Dieser Argumentation hat sich das EuG angeschlossen: Die klagenden Städte seien durch die Aufweichung der Grenzwerte unmittelbar in ihrer Rechtsstellung betroffen. Denn sie hätten in Ausübung ihrer Befugnisse des Umwelt- und Gesundheitsschutzes bereits Maßnahmen zur Begrenzung des Autoverkehrs erlassen, um die auf ihrem Gebiet festgestellte Luftverschmutzung zu bekämpfen. Sie dürften aber den Betrieb der Fahrzeuge, die die für RDE-Prüfungen festgelegten, gegenüber der mit der Verordnung Nr. 715/2007 erheblich abgeschwächten Emissionsgrenzwerte für Stickoxide einhalten, nicht verbieten und müssten diese Fahrzeuge bei Fahrverboten außen vor lassen.
Für die Anpassung bzw. Aufweichung der Emissionsgrenzwerte für Stickoxide sei die Kommission jedoch nicht zuständig. Denn bei den Emissionsgrenzwerten für Stickoxide handele es sich um eine wesentliche Bestimmung der ursprünglichen Verordnung Nr. 715/2007. Danach müssen die Hersteller die Einhaltung der Grenzwerte nachweisen. Nach Auffassung des EuG ist damit die Einhaltung im realen Fahrbetrieb gemeint. Daher müsse die Einhaltung der Grenzwerte auch im RDE-Verfahren nachgewiesen werden und könne diese Anforderung nicht durch die Kommission nachträglich aufgeweicht werden.
Das EuG hat daher die angegriffene Verordnung im Hinblick auf die abgeschwächten Emissionsgrenzwerte für Stickoxide für nichtig erklärt. Der gegenüber jedermann wirkende Nichtigkeitsausspruch hat grundsätzlich zur Folge, dass auf den Zustand vor Erlass des für nichtig erklärten Aktes abzustellen ist. Damit wären an sich die ursprünglichen, nicht um Konformitätsfaktoren erhöhten Grenzwerte aus der Verordnung aus dem Jahr 2007 bei der Typengenehmigung beziehungsweise Zulassung maßgeblich, also ein NOx-Schadstoffausstoß von 80 mg/km.
Salomonisches Urteil wegen Übergangsfrist
Allerdings hat das EuG die Wirkung seines Urteils zeitlich eingeschränkt. Die abgeschwächten Grenzwerte gelten danach noch zwölf Monate ab Rechtskraft des Urteils, also in jedem Fall bis zum Frühjahr 2020 weiter. So soll in dieser Zeit eine wirksame Änderung der maßgeblichen Regelung ermöglicht werden. Da den Beteiligten grundsätzlich ein Rechtsmittel zum EuGH zusteht, kann sich dieser Übergangszeitraum auch noch verlängern.
Das Urteil ist als Regelungsauftrag an das Europäische Parlament und den Rat als maßgebliche EU-Verordnungsgeber zu verstehen, die – ohnehin umstrittenen – Stickoxid-Grenzwerte zu überprüfen. Zudem muss geregelt werden, wie mit den bereits jetzt beziehungsweise bis zum Ablauf der Übergangsfrist erteilten Typengenehmigungen und Fahrzeugzulassungen umgegangen werden soll. Denn für die Verbraucher und Autohersteller besteht nun erneut Unsicherheit, ob und wie lange die nach bisheriger Lesart der Euro 5 oder 6-Norm zugelassene Fahrzeuge auch in stark belasteten Ballungsräumen und großen Städten vom Fahrverbot verschont bleiben.
Im Grunde hat das EuG aber mit der besagten Übergangsfrist ein salomonisches Urteil gefällt: Im Spannungsfeld Luftqualität, Verbraucherschutz und Investitionssicherheit eröffnet es einen Handlungsspielraum für den EU-Verordnungsgeber und signalisiert zugleich Autoherstellern wie Verbrauchern, dass sie sich dringend auf verschärfte Luftreinhaltevorschriften einstellen müssen.
Dr. Thomas Lennarz ist Rechtsanwalt und Partner der internationalen Wirtschaftskanzlei CMS in Deutschland und in der Vertretung von Unternehmen und Einzelpersonen in streitigen Auseinandersetzungen vor staatlichen Gerichten und Schiedsgerichten sowie in komplexen außergerichtlichen Verhandlungen und Mediationsverfahren tätig.
Dr. Ursula Steinkemper ist Fachanwältin für Verwaltungsrecht und ebenfalls Partnerin bei CMS in Deutschland. Sie berät und vertritt Unternehmen und die öffentliche Hand in allen öffentlich-rechtlichen Fragen, insbesondere im Umwelt- und Planungsrecht und in komplexen Genehmigungs- und Planfeststellungsverfahren.
EuG zu Emissionsgrenzwerten: . In: Legal Tribune Online, 14.12.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/32749 (abgerufen am: 05.11.2024 )
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