Die Novelle des EU-Urheberrechts ist beschlossen: Am Dienstag votierten die EU-Parlamentarier für die umstrittene Neuregelung. Die Debatte um sogenannte Upload-Filter ist damit aber noch lange nicht vom Tisch.
Das EU-Parlament hat die umstrittene Novelle der Urheberrechtslinie beschlossen. Mit 348 zu 274 Stimmen votierten die Parlamentarier am Dienstag für die Neuregelung, die, so ihre Befürworter, einen besseren Schutz des Geistigen Eigentums und der Vermarktungsrechte von Urhebern bringen soll. Doch mit dieser Auffassung befindet man sich schon inmitten der Debatte, die in den vergangenen Wochen Deutschlands Schlagzeilen bestimmt hat und das Empörungsbarometer der sozialen Netzwerke ausschlagen ließ. Und sie wird weiter andauern.
In ihrem Zentrum steht das Reizwort dieser Tage: die sogenannten Upload-Filter. Die einen befürchten ihretwegen den Untergang des Internets, die andere halten eine Regulierung für notwendig. Die Lager sind dabei so unversöhnlich, dass die Auseinandersetzung mitunter abstruse Blüten treibt, wie etwa die Äußerung des CDU-Europapolitikers Daniel Caspary. Der hatte Demonstranten, die gegen Upload-Filter auf die Straße gingen, als von amerikanischen Tech-Giganten "gekauft" bezeichnet.
Nach der Abstimmung am Dienstag sprach die schärfste Kritikerin des Vorhabens, Piraten-Politikerin Julia Reda, auf Twitter von einem "schwarzen Tag" für die Netzfreiheit. Der SPD-Europapolitiker Tiemo Wölken, ebenfalls prominenter Gegner von Teilen der Reform, sagte: "Die Parlamentsmehrheit ignoriert die Stimmen hunderttausender junger Menschen." Der CDU-Europapolitiker und zuständige Berichterstatter Axel Voss sprach indes von einem "Sieg für die Demokratie".
In der hitzigen Diskussion war bislang indes vieles unklar. Auch, ob mit der nun beschlossenen Richtlinie nun wirklich Upload-Filter eingeführt werden. Denn eine Richtlinie hat keine unmittelbare Bindungswirkung und gilt zunächst einmal nur als Handlungsvorgabe für die Mitgliedstaaten. Die nun beschlossene Richtlinienreform fasst das europäische Urheberrecht dergestalt neu, dass künftig Online-Plattformen wie Youtube dafür haften, wenn auf ihrer Seite urheberrechtlich geschützte Inhalte hochgeladen werden, ohne dass die Urheber in irgendeiner Form ihre Zustimmung gegeben haben.
Die Intention: Kreative schützen, deren Werke zurzeit tausendfach hochgeladen werden können, ohne dass sie dafür eine Vergütung erhalten. Sie können sich zwar auf ihr Urheberrecht berufen, müssen aber selbst den langen Weg über Abmahnungen gegen den Hochladenden gehen, wollen sie es geltend machen. Den ausfindig zu machen, ist häufig schon schwierig genug, und die Bemühung nicht sicher von Erfolg gekrönt.
Das Providerprivileg ist passé
Art. 17 der Richtlinie (in einer früheren Fassung ursprünglich noch Art. 13) sieht jetzt vor, dass Plattformen, die große Mengen an von Nutzern hochgeladenen Inhalten zugänglich machen und damit Geld verdienen, grundsätzlich für Urheberrechtsverletzungen auf ihrer Seite haften. Das sogenannte Providerprivileg, nach dem sich Betreiber von Websites auf den Standpunkt zurückziehen konnten, nur die Plattform zur Verfügung zu stellen und damit für Urheberrechtsverletzungen nicht verantwortlich zu sein, ist damit passé. Nun müssen sich die Plattformanbieter bemühen, für die Verbreitung geschützter Inhalte die Zustimmung der Urheber einzuholen, etwa im Rahmen eines Lizenzvertrags. Gelingt dies nicht, so schreibt Absatz 4 b) der Richtlinie vor, dass sie "nach Maßgabe hoher branchenüblicher Standards für die berufliche Sorgfalt alle Anstrengungen [unternehmen], um sicherzustellen, dass bestimmte Werke und sonstige Schutzgegenstände [...] nicht verfügbar sind".
Das Wort "Upload-Filter" findet sich in diesem Normtext zunächst einmal nicht. Doch auch wenn sie nicht wörtlich genannt sind, so dreht sich die Debatte doch hauptsächlich um sie: Die Kontrolle aller hochgeladenen Inhalte auf Urheberrechtsverletzungen ohne automatisierte Software-Überprüfung dürfte nämlich schlicht unmöglich sein. "Die Alternative wäre es, Beiträge vorab von Hand durchzusehen", erklärt Prof. Dr. Michael Beurskens, der Zivilrecht an der Universität Passau lehrt und sich viel mit Urheberrecht und neuen Medien befasst, gegenüber LTO. Angesichts Zahlen von rund 500 hochgeladenen Stunden Videomaterials pro Minute, wie es etwa bei Youtube der Fall ist, eine Mammutaufgabe.
Gelingt es einer Plattform also nicht, Lizenzverträge mit jedem einzelnen Nutzer abzuschließen, müssen faktisch Upload-Filter zum Einsatz kommen. Wie der Begriff vermuten lässt, prüfen diese bereits beim Hochladevorgang automatisch alle Inhalte auf urheberrechtlich geschütztes Material und verhindern gegebenenfalls den erfolgreichen Upload. Das wiederum monieren die Kritiker: Wie soll ein Algorithmus zuverlässig zwischen illegalen Uploads und zum Beispiel satirischen Beiträgen unterscheiden, die geschützte Inhalte auszugsweise verwenden (dürfen)? Sie befürchten, dass das Internet durch die Notwendigkeit der Upload-Filter faktisch erheblich zensiert wird.
Wie es nun weitergehen könnte
Die CDU versuchte, vor der Abstimmung die Gemüter zu besänftigen und behauptete, die Richtlinie könne auch ohne Upload-Filter umgesetzt werden. Nach ihrem Vorschlag zur Umsetzung in Deutschland wird es eine gesetzlich verpflichtende Pauschallizenz geben, welche die Betreiber von der Pflicht zur Kontrolle freistellen würde. Im Übrigen sollten sie für geschützte Werke in der Regel Lizenzen erwerben. Nach der Abstimmung schrieb CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak am Dienstag auf Twitter: "Nun geht es um die nationale Umsetzung." Die CDU habe hier gute Vorschläge gemacht: "Urheber schützen, Nutzer & Meinungsfreiheit stärken, Plattformen verpflichten - und das ohne #Uploadfilter." Ob das wirklich gelingen kann, wird indes von vielen Seiten bezweifelt.
"Der Kompromissvorschlag ist evident europarechtswidrig, ggf. verstößt er sogar gegen das nationale Verfassungsrecht", meint Beurskens. Von der Richtlinie werde "verlangt, die Erlaubnis der Urheber oder Leistungsschutzberechtigten vor der öffentlichen Wiedergabe einzuholen". Dies sei nur über Verwertungsgesellschaften wie die GEMA möglich. Es dürfe aber schon wegen der Eigentumsgarantie aus Art. 14 I Grundgesetz (GG) keinen Zwang geben, Rechte an Verwertungsgesellschaften wie die GEMA übertragen zu müssen, so der Rechtsprofessor.
Nun könnte der deutsche Gesetzgeber kreativ werden und noch nach anderen Lösungen suchen. Er muss dann aber darauf gefasst sein, dass diese Regelungen früher oder später vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) gekippt werden, wie Beurskens ausführt: "Deutschland hat eine lange Tradition, Europarecht falsch umzusetzen. Im Zweifel wird die Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren einleiten oder ein Urheber, der seine Rechte nicht an eine VG übertragen hat, die Frage in einem Prozess dem EuGH vorlegen lassen." Doch dass der CDU-Kompromiss mit der Pauschallizenz wirklich kommen wird, bezweifelt er ohnehin: "Ich glaube aber auch nicht, dass die CDU dies so umsetzen wird – man neigt bei Europarecht ja in neuerer Zeit eher zur wörtlichen Umsetzung."
Werden die Upload-Filter also Wirklichkeit? Die Richtlinie, so könnte man argumentieren, sieht sie nicht nur nicht vor. Art. 17 stellt in Abs. 8 sogar ausdrücklich klar: "Die Anwendung dieses Artikels darf nicht zu einer Pflicht zur allgemeinen Überwachung führen." Nur: Was sind alle Inhalte vorab prüfende Algorithmen, wenn nicht Instrument einer allgemeinen Überwachung?
Probleme für kleine Plattformen
Es stellt sich wohl weniger die Frage ob, sondern nur noch welche Upload-Filter zum Einsatz kommen müssen, wie Hartmut Gieselmann vom Computermagazin c't gegenüber LTO erklärt. Solche Software gebe es nämlich schon, marktführend sei dabei die von Google entwickelte Software "Content ID". Aber auch Dienste wie Instagram setzen auf Algorithmen, um etwa Bilder von primären Geschlechtsteilen herauszufiltern. "Google hat nach meinen Informationen 100 Millionen Dollar in deren Entwicklung gesteckt", so Gieselmann. "Ein solches Budget zur Entwicklung von Content-Filtern können sich nur wenige Firmen leisten."
Sollte nun auf nationaler Ebene festgeschrieben werden, "dass Filter zum Einsatz kommen müssen, die nur zwei bis drei Unternehmen weltweit entwickeln können, würden diese damit zu Torwächtern gemacht". Das ist eine zentrale Befürchtung vieler Kritiker: Wenige Großkonzerne, die aufgrund ihrer technischen Möglichkeiten nun qua Gesetz zu Monopolisten für die Verbreitung kreativer Inhalte werden.
Diese teilt auch Zivilrechtler Beurskens. Doch er sieht keine andere Möglichkeit, als die technisch führenden Upload-Filter verpflichtend zu machen. Der deutsche Wortlaut der beschlossenen Richtlinie spreche Anstrengungen "nach Maßgabe hoher branchenüblicher Standards für die berufliche Sorgfalt", die eine Plattform unternehmen müsse. "Das bezieht sich objektiv auf die Branche, nicht auf die Größe des Anbieters, die Erfahrung oder die finanziellen Ressourcen", so Beurskens. Zwar gebe es Verhältnismäßigkeitseinschränkungen, doch: "Man kann nicht für Kleine ganz darauf verzichten. Das bedeutet: Wenn Youtube schon bislang einen Filter hat, muss auch künftig das Forum der Pudelfreunde einen haben, das Einnahmen durch Bannerwerbung erzielt - auch wenn diese vielleicht nur die Serverkosten abdecken." Hierin liegt ein allgemeines Problem für die Plattformbetreiber.
Doch auch die Kreativen, die Inhalte schaffen, sind besorgt. "Jedwede Art automatischer Überprüfung ist problematisch", meint Gieselmann, denn: "Eine Maschine kann keinen inhaltlichen oder sozialen Kontext in Bezug auf Satire erkennen." Zwar können sich Nutzer nach Art. 17 Abs. 7 der Richtlinie auf Ausnahmen für Zitate, Kritik, Rezensionen, Karikaturen oder Parodien berufen, wie Beurskens anmerkt. Doch nun sei die Durchsetzungslast verlagert: "Bislang wurde bereitgestellt, bis jemand widersprochen hat – jetzt wird gesperrt, bis der Nutzer sich beschwert und ggf. klagt. Aber wer zieht wegen eines Memes gegen Google vor das örtlich zuständige Amtsgericht? Und vor allem: Warum sollte sich Google die Mühe machen, sich mit der entsprechenden Menge an Beschwerden zu befassen?" Einen Beitrag, der nach jahrelangem Rechtsstreit online gehen könne, wolle zudem ohnehin meist niemand mehr lesen.
Wenig Aufregung im EU-Ausland
Im europäischen Ausland hat man unterdessen offenbar weniger Diskussionsbedarf über die Reform. "Soweit man hört, wollen Frankreich und Belgien die Richtlinie so umsetzen, wie sie geplant ist", sagt Beurskens. Dort wird es damit wohl ganz sicher auf die Einführung von Upload-Filtern hinauslaufen. "Von Österreich hat man noch nichts gehört. In den östlichen Mitgliedstaaten hat man für das Thema bislang wenig Interesse."
Es sieht somit danach aus, als ob Upload-Filter unausweichlich sind, wenngleich die konkrete Umsetzung noch völlig offen ist. Ob die Richtlinie sich für das Internet als Fluch oder Segen erweist, wagt Gieselmann noch nicht zu beurteilen. Viel hänge von der nationalen Umsetzung ab. Problematisch sei aber, dass diese so ungewiss sei: "Diese Richtlinie ist ein Kompromiss, an dem viele Köche mitgewirkt haben. Das hat viele schwammige Formulierungen zur Folge, weshalb auch sehr unklar ist, was genau die Anstrengungen sind, die die Betreiber jetzt unternehmen müssen". Den Kompromissvorschlag der CDU sieht er aber nicht so kritisch wie viele andere: Regulierung sei nötig, denn amerikanische Internet-Konzerne verdienten viel Geld mit Inhalten von Kreativen.
Ebenfalls umstrittener Teil der Urheberrechtsreform war übrigens der nun ebenfalls gebilligte Artikel, der ein Leistungsschutzrecht für Presseverlage vorsieht. Danach müssen Nachrichten-Suchmaschinen wie Google News für das Anzeigen von Artikel-Ausschnitten künftig Geld an die Verlage zahlen. Hier sehen Kritiker insbesondere für kleine Verlage Nachteile, die gegenüber Google eine schwache Verhandlungsposition hätten. Zudem verweisen sie auf Deutschland, wo es ein Leistungsschutzrecht schon seit 2013 gibt, es aber nicht zu nennenswerten Geldzahlungen an die Verlage führt.
Damit die Richtlinie in Kraft treten kann, müssen die Mitgliedsstaaten die Einigung nun erneut im Rat bestätigen. Als möglicher Termin dafür gilt der 9. April.
Mit Material von dpa
EU-Parlament stimmt für Urheberrechtsreform: . In: Legal Tribune Online, 26.03.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/34591 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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