Das aktuelle Justizbarometer der EU zeichnet für Deutschland ein gemischtes Bild: Die hiesigen Gerichte sind transparent, solide finanziert und werden als unabhängig wahrgenommen. Die Verfahren dauern jedoch vergleichsweise lang – und der digitale Zugang zur Gerichtsbarkeit lässt zu wünschen übrig.
Das EU-Justizbarometer setzt sich aus den Ergebnissen diverser gesonderter Untersuchungen von europäischen Institutionen und der Weltbank zusammen. Anhand dieser Kennzahlen versucht es, die Justizsysteme der Mitgliedsstaaten hinsichtlich ihrer Effizienz, Qualität und Unabhängigkeit zu beurteilen.
Dabei werden unter der Überschrift "Effizienz" die Neueingänge und Erledigungsquoten sowie die durchschnittliche Dauer für unterschiedliche Verfahrenstypen im Zivil- und Öffentlichen, nicht aber im Strafrecht behandelt. "Qualität" erfasst eine Vielzahl unterschiedlicher infrastruktureller Gegebenheiten, etwa das Vorhandensein gerichtsinterner Qualitätskontrollen, den Zugang der Bürger zur Justiz über das Internet oder Fortbildungsmaßnahmen für Richter. "Unabhängigkeit" misst einerseits die Unabhängigkeit der Gerichte in der öffentlichen Wahrnehmung, andererseits die Verzahnung von Exekutive und Judikative.
Die Untersuchung, die je nach Kategorie einzelne Jahre bzw. Zeiträume zwischen 2010 und 2014 erfasst, gibt einen interessanten Eindruck von der Leistungsfähigkeit der europäischen Justizsysteme im Vergleich zueinander. Sie ist allerdings mit Vorsicht zu genießen, da teilweise keine vollständigen Daten vorlagen und eine Einteilung der sehr unterschiedlichen nationalen Systeme in die einheitlichen Kategorien des Justizbarometers zudem nicht immer mit der wünschenswerten Trennschärfe möglich scheint.
Deutsche Gerichte: Gut finanziert, aber langsam
Im Bereich Effizienz ist für Deutschland zunächst die geringe Zahl an erhobenen Klagen (vor Zivil- und Verwaltungsgerichten) bemerkenswert: 2012 lag diese bei fünf (pro 100 Einwohnern) und damit am sechstniedrigsten innerhalb der erfassten Staaten. Zum Vergleich: Beim Spitzenreiter Dänemark betrug sie 45, beim fünftplatzierten Kroatien noch 25. Dennoch sind diese beiden Länder – und mit ihnen 17 weitere – schneller in der erstinstanzlichen Bearbeitung der Fälle. Diese dauerte in Deutschland (wo allerdings nicht sämtliche Bundesländer erfasst wurden) durchschnittlich rund 430 Tage; langsamer sind nur Spanien, Zypern, Griechenland, Malta und Portugal.
Auch bei der Zahl anhängiger Verfahren sind die deutschen Ergebnisse optimierungsfähig: Sie lag im selben Jahr bei 6 (pro 100 Einwohner), und war damit im innereuropäischen Vergleich am achthöchsten. Dies verblüfft auch vor dem Hintergrund, dass kein Staat außer Luxemburg mehr für sein Gerichtssystem ausgibt als Deutschland. Damit ist allerdings nicht automatisch eine besonders hohe Anzahl an Richterstellen verbunden: Mit knapp 25 Berufsrichtern (pro 100.000 Einwohnern) liegt Deutschland bei dieser Kennzahl (nur) im oberen Mittelfeld: Slovenien hat 45, Irland lediglich 3.
Transparenz stark, Online-Justiz schwach
Sehr gewissenhaft sind die deutschen Gerichte jedenfalls, wenn es um die Zusammenarbeit mit der Presse geht: Hier gibt es regelmäßig Bestnoten. Auch bei der (digitalen) Zugänglichmachung von Entscheidungen sind die Ergebnisse solide. Eher durchwachsen ist hingegen das System zur gerichtsinternen Qualitätssicherung: Weder sind hier verbindliche Standards definiert noch gibt es bei Gericht spezielle Verantwortliche zur Sicherung und Wahrung selbiger.
Schlecht sind auch die Ergebnisse zur digitalen Einleitung und Durchführung von Verfahren mit geringem Streitwert. Hier wurde nicht die Existenz entsprechender Angebote getestet, sondern deren Auffindbarkeit und Bedienbarkeit durch einen durchschnittlichen Nutzer, wobei Deutschland auf dem siebtletzten Platz landet. Wer einmal ohne juristische Vorbildung versucht hat, online einen Antrag auf Erlass eines Mahnbescheids zu stellen, weiß, warum.
Spitzenreiter bei der Frage nach der gerichtlichen Unabhängigkeit ist Finnland; Deutschland folgt mit nur geringem Abstand auf Platz 7. Die Werte geben allerdings nur Stimmungen wieder: Sie wurden durch die Befragung von Akteuren aus der Wirtschaft ermittelt.
Constantin Baron van Lijnden, EU-Justizbarometer 2015: . In: Legal Tribune Online, 11.03.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14918 (abgerufen am: 05.11.2024 )
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