StA sieht Verdacht auf Rechtsbeugung: Erneute Durch­su­chung beim Fami­li­en­richter des AG Weimar

von Tanja Podolski

30.06.2021

Bei einem Familienrichter vom AG Weimar und weiteren acht Zeugen, darunter ein Richterkollege, wurde erneut an Dienst- und Privatanschriften durchsucht. Derweil hat das BVerwG entschieden, dass die FamG für § 1666 BGB zuständig sind.

Die Staatsanwaltschaft (StA) Erfurt hat am Dienstag erneut die Dienst- und Privatanschriften eines Familienrichters vom Amtsgericht (AG) Weimar durchsucht. Der Richter hatte im April entschieden, dass alle an zwei Schulen in Weimar unterrichteten Kinder keine Masken tragen, keine Abstände einhalten und nicht an Schnelltests teilnehmen sollen (Beschl. v. 08.04.2021, Az. 9 F 148/21). Begründet hatte er dies mit der Sicherung des Kindeswohls gem. § 1666 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Allerdings sind die Maßnahmen in einer Allgemeinverfügung geregelt, für deren Überprüfung die Verwaltungsgerichte, nicht aber die Zivilgerichte zuständig sind.

Die Behörde ermittelt daher gegen den Richter wegen des Verdachts der Rechtsbeugung. Sie sieht Anhaltspunkte dafür, dass der Richter "willkürlich seine Zuständigkeit angenommen hat, obwohl es sich um eine verwaltungsrechtliche Angelegenheit handelte, für die ausschließlich der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist", hieß es in einer früheren Mitteilung.

Die Behörde hatte bereits Ende April das Dienstzimmer am Amtsgericht (AG) Weimar durchsucht, zudem seine Privatwohnung und das Auto. "Im Rahmen dieser Durchsuchung waren die gesuchten Beweismittel nur teilweise aufgefunden worden", teilte die StA Erfurt mit. "Wir gehen davon aus, dass der Beschuldigte mit der ersten Durchsuchung gerechnet hat", sagte der Sprecher der Behörde auf LTO Anfrage. Ein Teil der Datenträger sei damals "nagelneu" gewesen.

Durchsuchung auch beim zweiten Richter – als Zeugen

Seit acht Uhr morgens hatte die Behörde am Dienstag daher insgesamt 14 Durchsuchungsbeschlüsse in Thüringen, Bayern und Sachsen-Anhalt vollstreckt. Durchsucht wurden nach Angaben der StA Erfurt erneut die von dem Beschuldigten privat und dienstlich genutzten Räumlichkeiten sowie Dienst- und Wohnanschriften von insgesamt acht Zeugen. Gegen Letztere bestehe kein Tatverdacht, wie die Behörde explizit mitteilte. Ziel der Maßnahme sei die Sicherstellung von beweisrelevanter Kommunikation zwischen dem Beschuldigten und den Zeugen.

Nach einer Mittteilung des Rechtsanwalts des Familienrichters, Strafverteidiger Gerhard Strate, galten die Durchsuchungen konkret den von dem Richter in seinem Beschluss vom 8. April 2021 zitierten Sachverständigen, der Rechtsanwältin in dem zugrunde liegenden Verfahren sowie der Mutter, die das Kindeswohlverfahren für ihre Kinder angeregt hatte.

Zudem ist nach Angaben von Strate auch bei einem weiteren Richter vom AG Weimar eine Durchsuchung angeordnet und vollzogen worden. Gegen diesen ermittelt die StA Gera wegen des Verdachts der Rechtsbeugung. Dieser Richter hatte im Januar in einer Ordnungswidrigkeitensache auf Freispruch geurteilt, was ebenfalls für bundesweites Aufsehen gesorgt hatte. Die aktuelle Durchsuchung galt dem Richter allerdings aus Sicht der StA Erfurt als "unverdächtigen Zeugen".

Wie bereits in der vorausgegangenen Durchsuchung am 26. April 2021 wurde das Mobiltelefon des Familienrichters beschlagnahmt, obwohl es, so sagt Strate, "bereits gespiegelt worden war". Außerdem sei das Laptop erneut beschlagnahmt worden, auf dem sich seine Korrespondenz mit Strate befinde.

Verteidiger: Zuständigkeitsfrage liegt immerhin beim BGH

In dem Durchsuchungsbeschluss des AG Erfurt wird dem Familienrichter erneut der Vorwurf der Rechtsbeugung gemacht. "Dieser wird zum einen darin gesehen, dass er für die am 8. April 2021 getroffene Entscheidung nicht zuständig war, zum anderen habe er im Vorfeld seines Beschlusses mit dritten Personen, insbesondere den von ihm schließlich beauftragten Gutachtern, in Kontakt gestanden", teilt Strate mit. In dem Beschluss heiße es, der Richter habe "unter dem Deckmantel der behaupteten Kindeswohlgefährdung" ein Verfahren initiiert, um "seine persönliche Haltung und Meinung zu den Schutzmaßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie öffentlichkeitswirksam zu verbreiten".

Für Strate ist der gegen den Familienrichter erhobene Vorwurf der Rechtsbeugung abwegig: Zwar hätten die Oberlandesgerichte (OLG) Nürnberg und Jena zur Zuständigkeit andere Rechtsauffassungen als sein Mandant aus Weimar. Beide OLG hätten jedoch die Beschwerde zum Bundesgerichtshof (BGH) wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen. Damit hätten sie deutlich gemacht, dass "die Frage der Zuständigkeit (wenigstens) bis zur Entscheidung des BGH offenbleibt", so Strate.

BVerwG: FamG allein für § 1666 BGB zuständig

Auch das VG Münster hält sich selbst in diesen Fällen für unzuständig und vielmehr die Familiengerichte für zuständig (Beschl. v. 26.05.2021, Az. 5 L 339/21; Beschl. v. 31. 05.2021, Az. 5 L 344/21 u.a.). Daher hat es erst kürzlich das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) angerufen, um die Zuständigkeitsfrage in diesen Fällen klären zu lassen.

Das BVerwG hat in diesem Fall nun entschieden: Zuständig sind die Familiengerichte (Beschl v. 16.06.2021, Az. 6 AV 1.21 u.a.). Es gehe um Anregungen für ein gerichtliches Tätigwerden nach § 1666 BGB – selbst wenn es um Corona-Schutzmaßnahmen gehe. Und da wird das BVerwG sehr deutlich: "Die Verweisung eines solchen Verfahrens an ein Verwaltungsgericht ist ausnahmsweise wegen eines groben Verfahrensverstoßes nicht bindend."

Das Gericht erklärt auch, warum es das so sieht: Die Eltern hätten sich seinerzeit vor dem AG Tecklenburg – das Verfahren, das der BVerwG Entscheidung zugrunde liegt -  ausdrücklich darauf beschränkt, ein familiengerichtliches Tätigwerden gegen die Schule auf der Grundlage des § 1666 Abs. 1 und 4 BGB anzustoßen. Um Unterlassungsansprüche gegen die Schule, über die ein Verwaltungsgericht zu entscheiden hätte, sei es hingegen nicht gegangen.

Über Maßnahmen gemäß § 1666 BGB entscheide aber das FamG selbständig von Amts wegen. An die Verwaltungsgerichte verweisen dürfen die Familiengerichte nach Ansicht des BVerwG damit nicht: Vielmehr müssten sie entweder erst gar kein Verfahren eröffnen oder ein bereits eröffnetes Verfahren einstellen.

Die Kinder sonst plötzlich Verfahrensbeteiligte

Bei einer bindenden Verweisung an die VG würden nämlich sonst plötzlich die Kinder selbst zu Beteiligten eines Gerichtsverfahrens. "Das entspräche weder ihrem Willen noch ihrer vormaligen Stellung vor dem Amtsgericht", heißt es in dem Beschluss des BVerwG - und weiter: "Deshalb erweist sich die Verweisung mit den Prinzipien der Verwaltungsgerichtsordnung als schlechterdings unvereinbar und löst für das Verwaltungsgericht keine Bindungswirkung aus."

In dem konkreten Fall ist damit das AG Tecklenburg für das Verfahren zuständig geblieben. "Auch alle anderen Verfahren, die derzeit noch bei den VG warten, können entsprechend an die FamG zurückgegeben werden", erklärt Robert Hotstegs von der gleichnamigen Kanzlei in Düsseldorf. "Sind allerdings schon Entscheidungen der Verwaltungs- oder Oberverwaltungsgerichte rechtskräftig geworden, dann verbleibt es dabei", so der Verwaltungsrechtler.

Die Entscheidung des BVerwG hält der Anwalt auch für die Eltern und Kinder richtig, "weil diese sich nämlich nach allen Verweisungsbeschlüssen der Familienrichter:innen auf einmal mit einem - ungewollten - Kostenrisiko für Gerichtskosten der Verwaltungsgerichte und Kosten der Behörden ausgesetzt sahen. Dieses Kostenrisiko ist nun wieder begrenzt".

OLG Jena auf Linie mit dem BVerwG

Wie das BVerwG hatte schon das OLG Thüringen in Jena argumentiert, als es die Entscheidung des Weimarer Familienrichters aufgehoben und das einstweilige Verfügungsverfahren eingestellt hat (Beschl. v. 14.05.2021 Az. Az. 1 UF 136/21): Familiengerichte entscheiden nicht über behördliches Handeln.

Viele Gerichte – Familien – wie auch und Verwaltungsgerichte – hatten den Beschluss aus Weimar sowie einem vergleichbaren aus Weilheim als "ausbrechenden Rechtsakt" bezeichnet. Der Weg zu diesem Ergebnis war allerdings nicht so stringent, wie es das BVerwG nun gezeichnet hat.

Beschwerde gegen Durchsuchung verworfen

Das Ermittlungsverfahren gegen den Weimarer Richter, der – entgegen des nun klargestellten Weges des BVerwG – allerdings selbst eine Entscheidung mit Wirkung gegenüber Behörden getroffen hat, die das BVerwG dagegen ausschließt, läuft also weiter.

Für Verteidiger Strate durfte der Richter jedoch eine inhaltliche Entscheidung treffen: "Soweit das Amtsgericht Erfurt auch darauf abstellt, der Richter habe im Vorfeld seiner Entscheidung mit verschiedenen Personen, insbesondere den Sachverständigen, gesprochen und ihre Bereitschaft zur Gutachtenerstattung ausgelotet, verkennt das AG, dass das Verfahren nach den §§ 24 und 26 Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) ein Verfahren von Amts wegen ist", so Strate weiter

Der Richter könne in der Vorbereitung seiner Entscheidung mit jedem sprechen, der ihm als Informationsgeber und Erkenntnisquelle hilfreich ist. Er könne initiativ entscheiden, ohne auf Anträge oder auch nur Anregungen Dritter angewiesen zu sein, sagt der Verteidiger.

Das sieht man nicht überall so: Der Familienrichter hatte gegen den zunächst erlassenen Durchsuchungsbeschluss vom April Beschwerde eingelegt. Diese hat das Landgericht (LG) Erfurt zwischenzeitlich als unbegründet verworfen.

Zitiervorschlag

StA sieht Verdacht auf Rechtsbeugung: . In: Legal Tribune Online, 30.06.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45350 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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