Das Urheberrecht erlebt derzeit eine Renaissance. Dabei werfen speziell die digitalen Vervielfältigungsmöglichkeiten neue Fragen auf: Wie etwa kann der Schutz kreativer Leistungen in Zukunft aussehen? Das Thema bewegt Experten aus Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und der Online-Szene. André Niedostadek über die Forderung, das Recht an die digitale Welt anzupassen.
Noch vor wenigen Jahren war das Urheberrecht bestenfalls ein Arbeitsfeld für Spezialisten. Inzwischen haben urheberrechtliche Themen auch eine breite Öffentlichkeit erreicht. Weniger augenfällig ist dabei: Das Rechtsgebiet kränkelt. Es scheint den Anforderungen des digitalen Zeitalters nicht mehr gewachsen. Die genaue Diagnose fällt dabei allerdings je nach Standpunkt des Betrachters unterschiedlich aus. Besonders das einseitige Bevorzugen der Rechteinhaber vor den Nutzern oder eine Schutzfrist von 70 Jahren gelten als Innovationsbremsen. Zudem werden manche Regelungen als komplex und in der Praxis schwer handhabbar angesehen.
Über die Symptome und eine mögliche Therapie wird schon seit Langem diskutiert. Im Rahmen der virtuellen Arbeitsplattform "Co:llaboratory" haben Experten aus der Wirtschaft, der Wissenschaft, der Politik und der Online-Szene dazu neue Vorschläge ausgearbeitet. Nun liegt auch der Abschlussbericht "Regelungssystem für informationelle Güter. Urheberrecht in der digitalen Zukunft" vor. Dabei geht es keinesfalls darum, das Urheberrecht zu beerdigen – vorgeschlagen wird aber eine Art Operation am offenen Herzen.
Ob es dazu jedoch überhaupt kommt, ist durchaus zweifelhaft. Das gilt schon deshalb, weil am Operationstisch eine Vielzahl unterschiedlicher Akteure steht: Kreative Köpfe, Wissenschaftler, Verwerter und nicht zuletzt Institutionen wie Archive und Bibliotheken. Sie verbindet zwar mehr oder weniger das gemeinsame Ziel, den Patienten "Urheberrecht" zu retten und den rechtlichen Schutz für kreative Leistungen zu sichern.
Wie das aber konkret aussehen soll, wo anzusetzen ist, darüber wird bei einem so kontroversen Thema seit Langem auf unterschiedlichen Ebenen gestritten. Die Debatte selbst ist dabei maßgeblich bestimmt durch kontroverse Positionen und Motive der Beteiligten. Das verstellt allerdings mitunter den Blick auf die Problematik als Ganzes. Ein Manko, welches die neuen Vorschläge auszugleichen versuchen.
Spielräume vergrößern – das Undenkbare denken
Das Interessante: Die nun vorliegenden Vorschläge basieren auf einem grundlegend anderen konzeptionellen Ansatz. Er beschränkt sich nicht auf aktuelle Diskussionsfelder rund um das Urheberrecht. Insofern geht es auch nicht darum, bestehende Vorgaben zu verschärfen oder sie abzuschaffen.
Ziel war es vielmehr von Anfang an, Leitlinien für einfache, transparente und praktikable Regelungen zu entwickeln und losgelöst von der bisherigen Diskussion einen visionären Blick in die Zukunft zu wagen. Anstatt in eingefahrenen Schienen zu bleiben, verständigte man sich deshalb darauf, Spielräume zu vergrößern – quasi das Undenkbare zu denken: Wie kann das Urheberrecht im Jahr 2035 aussehen? Welche Szenarien kommen in Betracht? Antworten darauf ermöglichen es, gegebenenfalls heute die entsprechenden Weichen für morgen zu stellen.
Herausgekommen ist kein neuer Entwurf für ein Urheberrechtsgesetz. Das war auch nicht beabsichtigt. Im Mittelpunkt stehen neben einzelnen Leitlinien vielmehr Antworten auf grundsätzliche Fragen – allen voran darauf, wie sich die Rechte und Interessen der Nutzer, Verwerter und der anderen Beteiligten in Übereinstimmung bringen lassen. Das Plädoyer verabschiedet sich damit vom bisherigen rechtlichen Ansatz, einseitig den Vorrang der Rechteinhaber vor den Nutzern zu sichern und geht stattdessen in Richtung flexibler Verfahren im Rahmen einer angemessenen Verwendung (fair use).
Auf dem Weg zum "Dritten Korb"
In diesem Kontext werden einzelne Konzepte zur Diskussion gestellt: Etwa ein "Kultursteuer-Modell", das auf einer Art Flatrate für alle kreativen informellen Güter aufbaut. Daneben steht die "Pay-per-Use-Ökonomie", die sich dadurch auszeichnet, dass jeder nur das zahlt was er nutzt. Und schließlich findet sich die "Freeconomy" beziehungsweise die „Reputations-Ökonomie“, die auf einen Schutz der Inhalte verzichtet und stattdessen darauf setzt, dass Kreative mit freiem Wissen Reputation aufbauen und an ergänzenden Dienstleistungen verdienen – getreu der Devise von John D. Rockefeller, dass es durchaus sinnvoll sein kann, Lampen zu verschenken, um Öl zu verkaufen. In der modernen Version lassen Musiker wie etwa Prince bereits heute CDs verteilen in der Erwartung, von Konzerteinnahmen zu profitieren.
Allerdings sind die nun vorgestellten Ansätze lediglich ein Puzzleteil im Rahmen einer umfassenderen Diskussion. Schon seit 2009 befasst sich das Bundesministerium der Justiz mit der Modifikation des Urheberrechts. Erklärtes Ziel ist es, den so genannten Dritten Korb mit Anpassungen des geltenden Urheberrechtsgesetzes (UrhG) auf den Weg zu bringen. Dabei hat das Ministerium dazu eingeladen, sich mit Diskussionsbeiträgen zu beteiligen.
In diesem Zusammenhang liefern die neuen Vorschläge zweifellos wertvolle Anregungen. Mehr als vereinzelte Korrekturen am UrhG wird es letztlich aber wohl nicht geben. Ein größerer Wurf im Sinne einer weitergehenden Urheberrechtsreform, eben einer Operation am offenen Herzen, ist kaum zu erwarten. Das wäre allein auf nationaler Ebene ohnehin wenig sinnvoll. Denn die digitalen Entwicklungen kennen keine Landesgrenzen. Nicht ohne Grund prägen schon heute die europäischen Einflüsse das Urheberrecht nachhaltig. Wichtige Impulse dürften daher auch insoweit eher von Brüssel ausgehen.
Der Autor Prof. Dr. André Niedostadek lehrt Wirtschafts-, Arbeits- und Sozialrecht an der Hochschule Harz.
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André Niedostadek, Diskussion über neues Urheberrecht: . In: Legal Tribune Online, 18.04.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/3060 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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