Demokratiefördergesetz: Eine Frage der Gesetz­ge­bungs­kom­pe­tenz?

Gastbeitrag von Dr. Eva Ricarda Lautsch

12.03.2024

NGOs sollen dauerhaft gefördert werden können. Fehlt dem Bund für ein solches Gesetz aber die Kompetenz? Ein Gutachten aus dem Bundestag ist ungenau, teilweise falsch und hat Schaden angerichtet, meint Eva Ricarda Lautsch.

Das im Februar bekannt gewordene Treffen von Rechtsextremen mit AfD-Politikern in Potsdam hat auch der Diskussion über ein lange geplantes Gesetzgebungsvorhaben neuen Schub verliehen: Ein Demokratiefördergesetz soll Nichtregierungsorganisationen, die momentan vom Bund mit Projektmitteln punktuell unterstützt werden, eine dauerhafte Förderung ermöglichen. So sieht es der Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung vor. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und Familienministerin Lisa Paus (Grüne) trieben das Vorhaben seither voran, in der FDP regte sich Widerstand.

Aber leidet das Vorhaben an einem grundlegenden Konstruktionsfehler? Eine neue Stellungnahme des Wissenschaftlichen Diensts des Bundestages kommt zu dem Ergebnis, dem Bund fehle zum Erlass eines Demokratiefördergesetzes die Gesetzgebungskompetenz. Damit geht der Streit innerhalb der Koalition in eine neue Runde. Doch in der Stellungnahme heißt es – ungeachtet ihres klaren Ergebnisses – auch, "die Frage der Gesetzgebungskompetenz des Bundes" sei "lebhaft umstritten". Wie kommt der Wissenschaftliche Dienst trotz dieser juristisch komplizierten Gemengelage zu seinem eindeutigen Urteil? Und welche Rolle spielt der Dienst damit in der nicht minder komplizierten politischen Debatte?

Die Kompetenzfrage

Ziel des Demokratiefördergesetzes sind laut Gesetzentwurf "gute Rahmenbedingungen" für "zivilgesellschaftliche[s] Engagement im Bereich der Demokratieförderung, Vielfaltgestaltung, Extremismusprävention". Schon einmal, in der letzten Legislaturperiode, gab es den Vorstoß zu einem Demokratiefördergesetz, der damals am Widerstand der Unionsfraktion scheiterte. Die Frage, ob der Bund hierfür eine Gesetzgebungskompetenz besitzt, wurde auch damals schon diskutiert, blieb allerdings ein Nischenthema für Experten.

Ob die Kompetenz des Bundes aus der "Staatsleitung" folgt, wie der Staatsrechtler Ulrich Battis 2016 in einem Gutachten für das damals SPD geführte Bundesfamilienministerium ausführte, aus der "Natur der Sache" oder aus der öffentlichen Fürsorge nach Artikel 74 Abs. 1 Nr. 7 Grundgesetz (GG), wie sein Kollege, der Verfassungsrechtsprofessor Christoph Möllers 2020 in seinem Gutachten für den Verein "Das Progressive Zentrum" schrieb, schien letztlich nicht so wichtig. Denn dass dem Bund aus dem einen oder anderen Grund eine Gesetzgebungskompetenz für ein Demokratiefördergesetz zukommen würde, davon schienen alle Beteiligten auszugehen.

Die Stellungnahme des Wissenschaftlichen Diensts

Dass die Frage der Gesetzgebungskompetenz doch schwerer zu beantworten ist als gedacht, zeigt das jüngste Papier des Wissenschaftlichen Diensts des Bundestages nun auf – und darin besteht zugleich die wesentliche Leistung der Ausarbeitung. In zentralen Details ist die Stellungnahme dagegen im besten Fall ungenau und im schlechtesten falsch. Aber der Reihe nach.

Eine Bundeskompetenz kraft Natur der Sache lässt sich für ein Demokratiefördergesetz nicht ohne Weiteres begründen, so sieht es die Stellungnahme und so sieht es auch Christoph Möllers in seinem Gutachten: Eine solche Kompetenz könne regelmäßig nur angenommen werden, wenn eine gesetzliche Regelung durch die Länder schlicht nicht vorstellbar sei. Im Fall des Demokratiefördergesetzes erscheint es aber denkbar, dass die Länder eigene Regelungen treffen, mit denen sie die Ziele des Gesetzes verfolgen.

Auch eine Kompetenz qua "Staatsleitung" lehnt der Wissenschaftliche Dienst in seiner Stellungnahme ab und auch hier kam Möllers in seinem Gutachten zum selben Ergebnis. Eine Staatsleitungskompetenz der Regierung hatte das Bundesverfassungsgericht einst angenommen, um deren Informationshandeln durch die Bundeszentrale für politische Bildung zu begründen. In der Entscheidung ging es allerdings um die Frage nach einer Rechtsgrundlage für mittelbare Grundrechtseingriffe, die aus der Tätigkeit der Bundeszentrale für politische Bildung folgten. Um die Frage nach Gesetzgebungskompetenzen ging es gerade nicht. Für den Erlass eines Gesetzes bedarf es vielmehr auch auf dem Gebiet der Staatsleitung einer im GG explizit normierten Gesetzgebungskompetenz.

Komplizierter ist es mit der von Möllers angenommenen Gesetzgebungskompetenz für die "öffentliche Fürsorge" gemäß Artikel 74 Abs. 1 Nr. 7 GG. Möllers stützt sich dabei unter anderem auf das Jugendhilfe-Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1967 (BVerfG, Urteil vom 18.07.1967). Von der öffentlichen Fürsorge sollen demnach insbesondere politische Bildungsangebote für Jugendliche umfasst sein, die diesen klarmachten, "daß der Einzelne sich in der Demokratie nicht von der Gesellschaft absondern kann, sondern sie und ihre politische Form aktiv mitgestalten muss". Um nun zu begründen, dass die Prävention antidemokratischer Entwicklungen in der Gesellschaft nicht nur für Jugendliche, sondern für alle Bürgerinnen und Bürger Teil der öffentlichen Fürsorge im Sinne des GG ist, betreibt Möllers in seinem Gutachten einigen Aufwand. Seine Begründung lässt sich gut hören: Das Gericht nehme selbst für die öffentliche Fürsorge keine Altersbeschränkung vor. Und wenn politische Bildung für Jugendliche öffentliche Fürsorge sei, dann müsse das erst recht für Erwachsene gelten, bei denen die politische Bildung zur Prävention in der Jugend nicht erfolgreich war.

Diese Argumentation Möllers' wird vom Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages ignoriert. Man begnügt sich in der Stellungnahme zunächst mit der Feststellung, dass sich das Bundesverfassungsgericht zur Erstreckung der öffentlichen Fürsorge auf die politische Bildung Erwachsener noch nicht geäußert habe (was zutrifft, das weiß auch Möllers) – und geht dann einen Schritt weiter: Für ein Demokratiefördergesetz käme eine Bundeskompetenz aus Gründen der öffentlichen Fürsorge gemäß Artikel 72 Absatz 2 und Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 des GG ohnehin nicht in Betracht. Nach dieser Norm muss eine bundeseinheitliche Regelung im Bereich der öffentlichen Fürsorge auch erforderlich sein, zum Beispiel "für die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet". In seiner Stellungnahme schreibt der Wissenschaftliche Dienst, eine bundeseinheitliche Regelung sei hier in diesem Sinne nicht erforderlich, weil die Ziele des Demokratiefördergesetzes auch "durch Selbstkoordination der Länder" erreicht werden könnten. Eine Bundeskompetenz bestehe daher nicht.

So pauschal ist das allerdings nicht richtig. Dass die Selbstkoordination der Länder die Bundeskompetenz verdrängt, wird nur von Teilen der Literatur so gesehen. Das Bundesverfassungsgericht sagt das Gegenteil: Die Möglichkeit gleichlautender Ländergesetze schließe eine Bundeskompetenz gerade nicht aus. Denn theoretisch sei eine gemeinsame Gesetzgebung der Länder immer möglich und wenn sie die Bundeskompetenz ausschließen würde, wäre diese damit obsolet.

Der Schaden für die Debatte ist angerichtet

Die Stellungnahme des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages ist damit zumindest unsauber und in wesentlichen Teilen unvollständig. Die Frage, ob der Bund ein Demokratiefördergesetz überhaupt erlassen dürfte, ist für das Vorhaben natürlich zentral. Juristisch, zumal für eine Einrichtung wie den Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages, die zu parteipolitischer Neutralität verpflichtet ist, wäre es allerdings redlich, zunächst einmal festzuhalten: Es ist kompliziert.

Stattdessen droht nun, wie damals beim Berliner Mietendeckel, eine Diskussion über Gesetzgebungskompetenzen, bei der die Bruchlinie der juristischen Expertenmeinungen auf wundersame Weise genau entlang der politischen Konfliktlinie verläuft. Damals ging es darum, ob das Land Berlin gesetzlich einen Mietendeckel festlegen darf, oder ob eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes eine landesgesetzliche Regelung verhindert. Letztlich entscheiden konnte – und musste – es nur das Bundesverfassungsgericht. Gleiches gilt am Ende für Kompetenzfragen rund um das Demokratiefördergesetz, falls es denn je erlassen wird.

Die Frage der politischen Zweckmäßigkeit rückt dabei allerdings jeweils in den Hintergrund. Es gibt in einer liberalen Demokratie gute politische Argumente dafür, dass der Staat sich nicht durch ein Demokratiefördergesetz in den eigentlich staatsfreien Raum politischer Meinungsbildung einmischen sollte. Doch dank der Stellungnahme des Wissenschaftlichen Dienstes erlebt auch diese dringend nötige politische Debatte nun ein bleiernes Déjà-vu: Am Ende, so scheint es, bleiben auch hier die politischen Fragen unbearbeitet. Statt um die Gestaltung unserer Demokratie zu streiten, werden auch in dieser Debatte die Beteiligten zu Verfassungsrechtsexperten, die über Gesetzgebungskompetenzen hakeln.

 

Dr. Eva Ricarda Lautsch ist Rechtsanwältin und Autorin in Berlin. Ihre Dissertation behandelt die Rolle des Rechts für den Zusammenhalt politischer Gemeinschaften.

Zitiervorschlag

Demokratiefördergesetz: . In: Legal Tribune Online, 12.03.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54083 (abgerufen am: 20.11.2024 )

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