Abschiedsbrief des zurückgetretenen DAV-Präsidenten: Schel­len­berg "über­rascht" und "erschro­cken"

von Hasso Suliak

01.03.2019

Der zurückgetretene Präsident Ulrich Schellenberg hat sich enttäuscht von den DAV-Vorstandsmitgliedern verabschiedet. Er beklagt auch mangelnde Gelegenheit zum Austausch. Laut LTO-Informationen kandidieren für seine Nachfolge zwei Frauen.

Mit einem emotionalen Schreiben an die Mitglieder des Vorstands des Deutschen Anwaltsvereins (DAV) hat sich Ex-Präsident Ulrich Schellenberg verabschiedet. Der 58-jährige Rechtsanwalt und Notar war in einer Vorstandssitzung des DAV am 21. Februar zum Rücktritt vom Präsidentenposten regelrecht gedrängt worden. LTO hatte hierüber vergangenen Montag als erstes berichtet.

In seinem Schreiben vom 28. Februar an die Ex-Vorstandskollegen, das LTO vorliegt, bekräftigt Schellenberg, dass er das Präsidentenamt, das er seit 2015 innehatte, "gerne ausgeübt" habe. Der einigen DAV-Vorständen offenbar politisch als zu links geltende Berliner erläuterte in seinem Schreiben seinen umstrittenen Führungsstil damit, dass seine Amtszeit in eine Zeit gefallen sei, "in der die Bundesrepublik Deutschland insbesondere in der Asyl- und Migrationsfrage eine bislang kaum da gewesene Polarisierung weiter Teile unserer Gesellschaft" erlebt habe. Gerade in dieser Zeit sei es ihm wichtig gewesen, "dass die Verantwortung der Anwaltschaft insgesamt, aber gerade auch unseres Verbandes für den Schutz rechtsstaatlicher Sicherungen und den Zugang zum Recht für jedermann deutlich wird", so Schellenberg. "Vielleicht ist mir dies gelungen", fügte er an.

Für Aufsehen – und intern wohl nicht nur für Begeisterung – hatte Schellenbergs Stil zuletzt im Umgang mit dem Vorsitzenden des Rechtsausschusses im Deutschen Bundestag, AfD-MdB Stephan Brandner, gesorgt. Schellenberg hatte während des DAV-Neujahrsempfangs den anwesenden Brandner verbal angegriffen, ihm eine Gegenrede auf der Veranstaltung jedoch verweigert.

Keine Gelegenheit zum Meinungsaustausch?

In seinem Abschiedsbrief spricht Schellenberg die Gründe an, wegen derer es aus Sicht seiner Vorstandskollegen nur noch zu seinem unfreiwilligen Rücktritt kommen konnte. So gehe es um "große Veränderungsprozesse", vor denen Anwaltschaft und auch der DAV stünden: "Ich hatte die Hoffnung, dabei die Gremien und Akteure des DAV entsprechend ihrer jeweiligen Aufgaben im Verband einzubinden. Dies ist mir, wie ich seit Donnerstag, den 21. Februar 2019 weiß, mit den Mitgliedern des Vorstandes nicht hinreichend gelungen", bedauert Schellenberg.

"Überrascht und ein wenig erschrocken" zeigte sich Schellenberg dem Schreiben nach, wie mit ihm in der DAV-Vorstandssitzung umgegangen worden sei: "Ich hätte es sehr geschätzt, wenn Sie mir im Anschluss an die Unterbrechung unserer Vorstandssitzung am Vormittag des 21. Februar 2019 die Gelegenheit gegeben hätten, mit Ihnen über offene Fragen zu sprechen, die Sie zunächst ohne mich erörtern wollten." Dies, so Schellenberg, unter anderem auch, weil die Frage dringlich sei, "wie ein moderner Berufsverband geführt werden muss und welche Ziele er sich selber zu setzen in der Lage ist".

Dem Vernehmen nach war Schellenberg von einigen Vorstandsmitgliedern vorgeworfen worden, die berufspolitischen Interessen und für die Anwaltschaft wichtige Modernisierungsvorgaben nicht angemessen in den Vordergrund gerückt zu haben. Ob dieser Vorwurf allerdings so zutreffend ist, wird von ausgewiesenen Berufsrechtlern, die im DAV organisiert sind, bezweifelt.

Ihrer Auffassung nach habe es unter Schellenberg den Anwaltstag 2017 zu Innovation & Legal Tech gegeben. Auch sei unter ihm eine Task Force Legal Tech eingerichtet worden. Für angemessene Präsenz der Anwaltschaft im Diskurs und gute Kommunikation im Sinne des DAV habe Schellenberg aber auch bei Themen wie Jones Day und der Diskussion um die Geldwäsche-Richtlinie gesorgt.

"Wenn man Schellenberg vorwerfen möchte, dass er manchmal zu sehr Rechtsstaats-NGO war, dann war es hier jedenfalls sehr im Sinne der Anwaltschaft" so ein Berufsrechtler gegenüber LTO, der namentlich nicht genannt werden möchte. Zu loben sei der Ex-Präsident auch dafür, dass die er die Reform des anwaltlichen Gesellschaftsrechts zur Chefsache gemacht habe. In diesem Kontext habe er auch dem Gegenwind innerhalb des DAV standgehalten.

Zwei Vizepräsidentinnen bewerben sich um die Spitze

Wer unterdessen diese oder auch andere, bereits angeschobene Projekte wie die für die Anwaltschaft enorm wichtige Reform der Anwaltsgebühren oder den Aufbau einer Internet-Plattform für die Mitglieder der örtlichen Anwaltsvereine anstelle der bisherigen Anwaltsauskunft weiter an der Spitze des DAV weiter vorantreiben wird, ist noch offen.

Nach LTO-Informationen findet am 21. März die nächste Vorstandssitzung im DAV statt, auf deren Tagesordnung sicher auch die Nachfolge von Ulrich Schellenberg stehen dürfte. Interimsmäßig leitet derzeit Ex-Präsident und Präsidiumsmitglied Prof. Wolfgang Ewer die Geschicke der Organisation. Hauptgeschäftsführer Philipp Wendt hat seinen Job beim DAV zu Ende Februar 2020 gekündigt.  

Fast ausgemacht dürfte allerdings sein, dass der nächste Präsidenten-Posten an eine Frau geht. Wie LTO erfuhr, liegen bislang zwei Bewerbungen von zwei bisherigen Vizepräsidentinnen des DAV vor: Die von Dr. Claudia Seibel (64) und die der ehemaligen Vorsitzenden des Kölner Anwaltsvereins, Rechtsanwältin Pia Eckertz-Tybussek (61).

Während Seibel mit LTO kein Gespräch über das Personalkarussell im DAV führen will, bestätigte Eckertz-Tybussek gegenüber LTO ihre Kandidatur. Sie sei bereits in der Sitzung am 21. Februar gefragt worden, ob sie für das Amt zur Verfügung stehe. Die Fachanwältin für Familienrecht verwies allerdings darauf, dass sie zunächst mit dem Vorstand über bestimmte "Bedingungen" und ihre Vorstellung von dem Amt sprechen müsse.

Ein wenig dürfte die Zeit für die personelle Neuaufstellung im DAV drängen. Schließlich steht mit dem Deutschen Anwaltstag vom 15. bis 17.Mai in Leipzig "die für den DAV und die Anwaltschaft wichtigste Veranstaltung des Jahres" an, wie es beim Anwaltsverein selbst heißt. Doch auch in diesem Punkt hat der geschasste Schellenberg offenbar bereits vortrefflich gearbeitet: "Wie alles andere auch" sei auch diese Veranstaltung von Ulrich Schellenberg gemeinsam mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Verbandes "bereits bestens vorbereitet worden", heißt es aus der Pressestelle des DAV.

"Alles andere" auch? Die Messlatte für Schellenbergs Nachfolgerin liegt wohl nicht gerade niedrig.

Zitiervorschlag

Abschiedsbrief des zurückgetretenen DAV-Präsidenten: . In: Legal Tribune Online, 01.03.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/34169 (abgerufen am: 05.11.2024 )

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