Off-Label Impfung gegen Covid-19: Wie ver­boten ist die Kin­derimp­fung?

von Tanja Podolski

14.09.2021

Kinder zwischen fünf und 14 Jahren stehen einsam an der Spitze der Statistik über Corona-Infektionen. Zugleich ist für unter 12-Jährige der Impfstoff nicht freigegeben. Impfbefürworter hoffen auf Ärzte, die Off-Label Behandlungen durchführen.

Rund fünf Wochen nach den Sommerferien liegt die Inzidenz bei Corona-Infektionen in der Altersgruppe der fünf- bis 14-Jährigen im nordrhein-westfälischen Leverkusen bei 502, in Wuppertal bei 602. Wenige Orte in anderen Teilen der Republik haben – teils deutlich – geringere Inzidenzen, doch das sind die Ausnahmen. Fakt ist, dass bei den Kindern inzwischen Werte erreicht werden, bei denen im vergangenen Jahr das Land längst in einen Tiefschlaf versetzt und die Schulen geschlossen wurden. Nun aber, da sind sich die zuständigen Politiker:innen einig, sollen die Schulen geöffnet bleiben.  

Einige Eltern teilen dieses Bestreben nach Präsenzunterricht – andere nicht. Von der letzteren Gruppe lassen viele Eltern ihre über zwölfjährigen Kinder impfen, und wünschen sich Schutz gegen die Infektionen auch für ihre Kinder unter zwölf Jahren (U12). Doch für diese Altersgruppe ist der Impfstoff bisher nicht zugelassen.  

Wie läuft die Zulassung? 

Ein Arzneimittel wird entweder national durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in Bonn bzw. durch das Paul-Ehrlich-Institut oder europaweit durch die Europäische Kommission zugelassen – die konkrete Zuständigkeit richtet sich nach der Art des zu prüfenden Arzneimittels. "Der Impfstoff gegen Covid-19 ist ein biotechnologisch hergestelltes Arzneimittel, so dass die Zulassung direkt auf der europäischen Ebene erfolgt und die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) die Daten prüft", erklärt Dr. Martin Altschwager, Anwalt für Arzneimittel- und Medizinprodukterecht bei Baker McKenzie. Deshalb erfolgt bei den mRNA-Impfstoffen eine Zulassung europaweit durch die Europäische Kommission.  

"Üblicherweise schließen die Pharmaunternehmen ihre klinischen Studien ab und geben die vollständigen Dossiers an die Zulassungsbehörde", sagt Altschwager. Bei Corona sei eine Ausnahme gemacht worden: Um Zeit zu sparen, habe die EMA im Rahmen des sog. "Rolling Review" bereits Daten zur Prüfung bekommen. Die Verantwortlichen hätten also mitlesen und Studienergebnisse prüfen können, während die klinischen Studien weiterliefen. Daher seien die Zulassungsverfahren dann schneller gegangen.  

Über Langzeiteffekte wisse man derzeit zwangsläufig wenig, doch die Breite der Erkenntnisse sei schon jetzt immens, sagt der Anwalt: "Die Studien laufen auch nach der Zulassung weiter, und die Impfstoffe werden weltweit eingesetzt und Daten hieraus kontinuierlich erfasst und übermittelt", so Altschwager. Die Zulassung eines Arzneimittels und damit auch eines Impfstoffes – auch eine bedingte – erfolge jedenfalls nur, so erklärt es der Anwalt, wenn "eine angemessene Datenbasis vorhanden ist, um beurteilen zu können, dass die positiven Effekte des Arzneimittels die Nebenwirkungsrisiken für die konkrete Gruppe von Menschen, für die es zugelassen ist, übersteigen".  

In Europa hat Biontech/Pfizer als erster Konzern die Marktzulassung erhalten – allerdings eine bedingte. In den USA – wie auch in Israel - hatte dieses Präparat zunächst eine Notfallzulassung, seit August liegt eine umfassende Zulassung vor – allerdings auch nur für Personen ab zwölf Jahren. Die klinischen Studien für den Einsatz von Impfstoffen bei unter Zwölfjährigen laufen noch.  

Was darf die STIKO? 

Liegt die Zulassung für einen Impfstoff vor, kommt die Ständige Impfkommission (STIKO) zum Zug. Die STIKO ist ein am Robert-Koch-Institut angesiedeltes unabhängiges Expertengremium, das u.a. Empfehlungen zum Umgang mit Schutzimpfungen ausspricht. Die Aussagen der STIKO haben jedoch keine unmittelbare rechtliche Wirkung, insbesondere haben sie keine direkte Folge für die Zulassung und damit die Einsatzmöglichkeiten eines Impfstoffes.  

Allerdings: Die obersten Landesgesundheitsbehörden entscheiden gemäß § 20 Abs. 3 Infektionsschutzgesetz (IfSG) auf der Grundlage der Empfehlungen der STIKO über ihre öffentlichen Empfehlungen, die u.a. für das soziale Entschädigungsrecht in § 60 IfSG relevant sind. Zudem sind diese Empfehlungen "gemäß § 20i Abs. 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) Grundlage für Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses, in denen die Einzelheiten zu Voraussetzungen, Art und Umfang von Schutzimpfungen als Pflichtleistung der gesetzlichen Krankenversicherung bestimmt werden", erklärt das RKI. 

Für den Einsatz der Corona-Impfstoffe für Erwachsene kam diese Empfehlung schnell. Mit der Impfempfehlung für Kinder über zwölf Jahren hatte sich die STIKO hingegen zunächst schwerer getan: Am 28. Mai 2021 hatte die EU-Kommission die Zulassung des Impfstoffes von Biontech/Pfizer für Zwölf- bis 15-Jährige erteilt, erst am 16. August aktualisierte die STIKO ihre Covid-19-Impfempfehlung und sprach die allgemeine Impfempfehlung für Kinder und Jugendliche ab zwölf Jahren aus.  

Empfehlungen der STIKO vs. Zulassung der EU-Kommission 

Für Baker McKenzie-Anwalt Martin Altschwager ist das Zögern der STIKO allerdings nicht überraschend: "Die STIKO hat einen anderen Blickwinkel auf ein Arzneimittel als die Zulassungshörde", sagt er. "Die EMA ist eine Zulassungsbehörde. Das heißt, sie prüft die Daten und beantwortet die Frage, ob eine konkrete Gruppe von Menschen ein Arzneimittel anwenden kann, weil der erwartbare Nutzen das Nebenwirkungsrisiko überwiegt." Die STIKO beurteile aus der Perspektive, für welche Gruppen an Personen sie eine Empfehlung ausspricht, dass diese das Mittel dann auch tatsächlich nehmen sollten. Die Empfehlungen der STIKO beruhen zum einen auf einer wissenschaftlichen Bewertung des medizinischen Nutzens und des Risikos für die Patientengruppen, berücksichtigen zum anderen aber auch die epidemiologische Entwicklung in der Bevölkerung und die Folgen für die deutschlandweite Impfstrategie. Kinder ab zwölf sollen sich also impfen lassen – alle darunter bisher nicht. 

Rein rechtlich ist mit der STIKO-Empfehlung die Kostenübernahme durch die Krankenkasse geregelt, zudem haftet dann bei Impfschäden der Staat nach § 60 IfSG. Dazu heißt es aus dem Bundesgesundheitsministerium (BMG): "Mit dem Zweiten Gesetz zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes wurde in § 60 IfSG klargestellt, dass für alle gesundheitlichen Schäden, die im Zusammenhang mit Schutzimpfungen eingetreten sind, die auf Grundlage der Coronavirus-Impfverordnung seit 27. Dezember 2020 vorgenommen wurden, bundeseinheitlich ein Anspruch auf Entschädigung besteht. Dieser Anspruch besteht unabhängig von den öffentlichen Empfehlungen der Landesbehörden".  

Das gilt - das ergibt sich aus § 20i Abs. 3 S. 2 Nr 1a u. iVM Nr. 2 Sozialgesetzbuch (SGB) V - allerdings nur für die dort näher benannten Personengruppen in bestimmten Lebenssituationen. Und sie gilt nur für echte Impfschäden, nicht aber für bloße Nebenwirkungen. 

Off-Label Impfung bei Kindern unter zwölf Jahren 

Für Kinder unter zwölf Jahren gibt es derzeit noch keinen zugelassenen Impfstoff – und entsprechend auch keine STIKO-Empfehlung. Bei ihnen würde eine Impfung somit Off-Label – ohne Zulassung – erfolgen – und das ist ziemlich üblich. "Off-Label-Use, also die Anwendung nicht zugelassener Medikamente, spielt bei Kindern immer eine große Rolle, da die klinischen Studien in aller Regel nicht mit Kindern stattfinden", erklärt Johannes Daunderer, Fachanwalt für Medizinrecht und Fachanwalt für Strafrecht und Partner der Kanzlei GND Geiger Nitz Daunderer. Der Off-Label-Einsatz finde z.B. häufig bei Krebsmedikamenten oder Neuroleptika statt.  

Die Ärzte und Ärztinnen haben beim Einsatz solcher Medikamente Off-Label eine erhöhte Aufklärungspflicht iSd § 630e Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), die auch die entfernt liegendsten möglichen Risiken für Nebenwirkungen und Impfschäden erfasst. "Die Beweislast für die hinreichende Aufklärung läge dabei stets beim Arzt", so Daunderer. Für die üblichen Behandlungsmethoden und Impfungen gebe es standardisierte Unterlagen mit Hinweisen zu den möglichen Risiken, die oft von den zuständigen Fachverbänden aufgesetzt würden. Für Off-Label Corona-Impfungen gebe es diese noch nicht, das müsse ein Arzt selbst leisten. 

Impfen dürfe der Arzt aber, sagt der Münchener Medizin- und Strafrechtler. "Die Impfung folgt einer Empfehlung des Arztes, er müsse die individuelle Gesundheitssituation des Kindes und dessen Konstitution im Kontext des Pandemiegeschehenes beurteilen. Wenn er dann zu dem Ergebnis kommt, dass die Impfung eines Kindes angezeigt ist, darf er rechtlich betrachtet impfen."

Dringend empfehlenswert sei dann eine ausführliche schriftliche Dokumentation der Aufklärung, die schriftliche Einwilligung möglichst beider Sorgeberechtigten. Zudem würde der Anwalt die Einbeziehung auch des Kindes empfehlen – immerhin sei es dessen Körper.  

Und wenn etwas schief geht? 

Verläuft die Impfung problemlos, ist das Thema schnell erledigt. Kommt es allerdings zu Impfschäden, könnte der Arzt aus dem Behandlungsvertrag gem. § 630a BGB und aus deliktischer Haftung nach § 823 BGB haften, erklärt der Anwalt aus München. Hinzu kommt eine mögliche Strafbarkeit wegen Körperverletzung. "Jeder ärztliche Eingriff ist eine Körperverletzung, die allerdings durch die Einwilligung des Patienten gerechtfertigt und damit nicht strafbar ist", so Daunderer. Eine fehlerhafte Aufklärung durch den Arzt führt allerdings zur Unwirksamkeit der Einwilligung, damit ist die Köperverletzung nicht mehr gerechtfertigt und in dem Fall doch strafbar.  

Einen Haftungsausschluss könne der Arzt zwar mit den Sorgeberechtigten vereinbaren, der sei aber häufig unwirksam, insbesondere wenn die Aufklärung unzureichend war. 

Für Ärzte ist eine Off-Label-Impfung also ein erhebliches Risiko, das erst mit der Zulassung des Impfstoffes auch für U12-Kinder aufgelöst wird. Biontech/Pfizer hatte jüngst mitgeteilt, dass das Unternehmen noch im September die Erweiterung der EU-Zulassung beantragen könnte. Bis Ende des Jahres würden auch die Studiendaten zu den Kindern ab sechs Monaten erwartet. Derweil liegt die Inzidenz im Kreis Mettmann bei 414. 

Zitiervorschlag

Off-Label Impfung gegen Covid-19: . In: Legal Tribune Online, 14.09.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/46004 (abgerufen am: 20.11.2024 )

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