Maßnahmenpaket der Bundesregierung zur Coronakrise: Was plötz­lich alles mög­lich wird

Gastbeitrag von Dr. Christopher Wolff, Dr. Regina Engelstädter, Dr. Christian Mock und Dr. Jan Gernoth und Dr. Fritz Kleweta

23.03.2020

Stundung von Darlehen, keine Kündigung bei Mietausfall, Erleichterung bei drohender Insolvenz: Die Bundesregierung bringt gerade ein massives Maßnahmenpaket auf den Weg. Selbst virtuelle Hauptversammlungen sollen möglich werden.

Die Geschwindigkeit, mit der Corona-Pandemie unser aller Leben einschränkt und – damit einhergehend – massive Drosselungen für unser soziales Leben, aber auch für die Wirtschaft bringt, ist atemberaubend. Die Folgen dieser Einschränkungen schlagen sich bereits heute nieder. In vielen Teilen der Wirtschaft führt dies zu erheblichen Einkommensverlusten bzw. drastischen Umsatz- und Gewinnrückgängen.

Der deutsche Gesetzgeber stemmt sich nunmehr mit Macht gegen diese Entwicklung, indem er eine Reihe von Eilmaßnahmen auf den Weg bringt. Zu diesem Zweck hat die Bundesregierung für das weitere Gesetzgebungsverfahren die Formulierungshilfe eines Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der Corona-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht mit Stand vom 22. März 2020 entworfen. Parallel wird an diversen anderen Maßnahmen gearbeitet, beispielsweise an der Einführung eines Wirtschaftsstabilisierungsfonds zwecks Bereitstellung von Liquidität, an einem Gesetzentwurf zur Abwehr von feindlichen Übernahmen sowie weiteren Maßnahmen zum Kurzarbeitergeld.

Folgende Darstellungen basieren auf dem Kabinettsentwurf.

Weitreichendes Leistungsverweigerungsrecht

Im Rahmen der Notfallgesetzgebung wird ein temporäres, aber inhaltlich sehr weitreichendes Leistungsverweigerungsrecht für Verbraucher und Kleinstunternehmen (also weniger als zehn Beschäftigte und Jahresumsatz oder Jahresbilanzsumme unter jeweils zwei Mio. Euro) eingeführt. Das allgemeine Leistungsverweigerungsrecht für Verbraucher gilt nicht für Miet-/Pacht- und Darlehensverträge sowie für Arbeitsverträge, sondern alleine für alle "wesentlichen" Dauerschuldverhältnisse, d.h. solche zur Eindeckung mit Leistungen zur angemessenen Daseinsfürsorge (Verbraucher) bzw. zur angemessenen Fortsetzung des Erwerbsbetriebs (Kleinstunternehmen), die vor dem 8. März 2020 abgeschlossen wurden

Mit diesem allgemeinen Recht kann der Schuldner Leistungen bis zum 30. Juni 2020 verweigern, wenn er die Leistung aufgrund der Corona-Pandemie nicht ohne Gefährdung seines (oder seiner unterhaltsberechtigten Angehörigen) angemessenen Lebensunterhalts erbringen kann. Für Kleinstunternehmer gilt entsprechendes, wobei der Schuldner seine Leistung verweigern kann, wenn er infolge von Umständen, die auf die Corona-Pandemie zurückzuführen sind, entweder die Leistung nicht erbringen kann oder sie erbringen kann, dies aber nicht ohne Gefährdung der wirtschaftlichen Grundlagen seines Erwerbsbetriebs möglich wäre.

Von diesem Leistungsverweigerungsrecht sind Rückausnahmen zugunsten des Gläubigerschutzes vorgesehen, wenn wirtschaftliche Grundlagen des Gläubigers (gilt für Verbraucher) bzw. wenn die Nichterbringung der Leistung zur Gefährdung des angemessenen Lebensunterhalts des Gläubigers bzw. seiner unterhaltsberechtigten Angehörigen führt (gilt für Kleinstunternehmer). In diesem Falle steht dem Schuldner ein Kündigungsrecht zu.

Der Anwendungsbereich des Generellen Moratoriums scheint mit diesen Regelungen im Vergleich zur vorherigen Version des Gesetzesentwurfs vom Abend des 20. März 2020, der keine Beschränkung auf Verbraucher und Kleinstunternehmer hatte, nachhaltig entschärft worden zu sein.

Keine Kündigung von Mietverträgen

Für alle privaten und gewerblichen Mietverhältnisse über Grundstücke oder Räume sieht die Notfallgesetzgebung einen Ausschluss des Kündigungsrechts des Vermieters wegen Mietrückständen vor. Das betrifft fällige Mieten im Zeitraum vom 1. April bis zum 30 Juni 2020, wenn diese Nichtleistung auf den Auswirkungen der Corona-Pandemie beruht. Die Kündigung ist bis zum 30. Juni 2022 ausgeschlossen, der Mieter hat also zwei Jahre Zeit, seine Mietrückstände auszugleichen. Danach lebt das Kündigungsrecht des Vermieters wieder auf.

Ein Recht zur Verweigerung der Mietzahlung wurde dem Mieter jedoch nicht zugesprochen. Leistet der Mieter die Miete nicht oder nicht vollständig, so gerät er weiterhin in Verzug. Der Vermieter bleibt auch berechtigt, die Mietforderungen durchzusetzen, eine eventuell gewährte Mietkaution oder Mietgarantie zu verwerten, gegen möglicherweise bestehende Forderungen des Mieters aufzurechnen oder von seinem Vermieterpfandrecht Gebrauch zu machen. Auch bleibt das Recht, den Mietvertrag aus anderen Gründen als dem Mietrückstand zu kündigen, von der neuen Regelung unberührt.

Der Zusammenhang zwischen der Pandemie und der Nichtleistung ist nach dem aktuellen Gesetzesentwurf von dem Mieter glaubhaft zu machen. Der Mieter muss demnach die Tatsachen darlegen, aus denen sich eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür ergibt, dass seine Nichtleistung auf der Corona-Pandemie beruht. Dazu soll der Mieter unter anderem darauf verweisen können, dass der Betrieb seines Unternehmens im Rahmen der Corona-Pandemie untersagt oder erheblich eingeschränkt worden ist.

Gesetzliche Stundung bei Darlehen

Bei Darlehen stellt der Gesetzgeber den Fortbestand des Vertrages in den Vordergrund und ordnet zumindest für Verbraucherdarlehen eine gesetzliche Stundung der Ansprüche an, die im Zeitraum zwischen dem 1. April und dem 30. Juni 2020 fällig werden. Die Möglichkeit der Einbeziehung von Kleinstunternehmen in den Anwendungsbereich der Regelung durch Verordnung ist ausdrücklich vorgesehen. Die Stundung betrifft Ansprüche auf Rückzahlung des Darlehens sowie regelmäßig anfallenden, üblicherweise monatlich zu erbringenden, Zins- und Tilgungsleistungen.

Voraussetzung sind Einnahmeausfälle des Verbrauchers aufgrund der Corona-Pandemie und die wirtschaftliche Unzumutbarkeit der Leistung beispielsweise, weil sein angemessener Lebensunterhalt oder der seiner Unterhaltsberechtigten gefährdet ist. Der Zusammenhang zwischen den Einnahmeausfällen und der Corona-Pandemie wird vermutet.

Diese Stundung wird flankiert von dem befristeten Ausschluss der Kündigungsrechte des Darlehensgebers wegen Zahlungsverzugs und wegen einer Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Darlehensnehmers. Weiterhin ist auch die Verpflichtung zur Nachbesicherung während dieses Zeitraumes ausgeschlossen.

Ausdrücklich regt der Gesetzgeber eine einvernehmliche Vertragsanpassung an. Sofern die Parteien keine Verhandlungslösung hinsichtlich der Fortführung des Darlehensverhältnisses nach dem 30. Juni 2020 gefunden haben, sieht der Gesetzgeber eine Versschiebung der Fälligkeit der Leistung um weitere drei Monate vor (inkl. einer entsprechenden Vertragsverlängerung).

Aussetzung der Insolvenzantragspflicht

Viele vor der Corona-Pandemie gesunde und leistungsfähige Unternehmen rutschen derzeit in die Krise, haben wirtschaftliche Schwierigkeiten oder werden insolvent. Diesen Unternehmen und ihren organschaftlichen Vertretern soll nunmehr Zeit eingeräumt werden, um die notwendigen Vorkehrungen zur Beseitigung der Insolvenzreife zu treffen, beispielsweise durch die Inanspruchnahme von staatlichen Liquiditätshilfen oder durch den Abschluss von Standstill Agreements mit Kapitalgebern und anderen Gläubigern.

Bisher sind Unternehmen verpflichtet, unverzüglich, spätestens innerhalb von drei Wochen nach Eintritt der Insolvenzantragspflicht wegen Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung Insolvenzantrag zu stellen. Eine Verletzung dieser Pflicht ist strafbar. Die Insolvenzantragspflicht wird nach dem Gesetzentwurf rückwirkend zum 1. März bis auf weiteres bis zum 30. September 2020 ausgesetzt, es sei denn, die Insolvenz beruht nicht auf den Auswirkungen der Corona-Pandemie oder es besteht keine Aussicht auf die Beseitigung einer eingetretenen Zahlungsunfähigkeit. Für einen dreimonatigen Übergangszeitraum wird auch das Recht der Gläubiger suspendiert, die Eröffnung von Insolvenzverfahren zu beantragen.

Im Falle der Suspendierung der Insolvenzantragspflicht kommen zugunsten der Geschäftsführer und Vorstände weitere Erleichterungen zur Anwendung, die deren gesetzliche Haftung einschränken. Dies gilt insbesondere für Zahlungen, die zur Aufrechterhaltung oder Wiederaufnahme des Geschäftsbetriebes oder der Umsetzung eines Sanierungskonzepts dienen. Auch wird die Kreditvergabe im relevanten Zeitraum vor dem Hintergrund der Insolvenzanfechtung deutlich erleichtert.

Hauptversammlung wird digital

Gesellschaften müssen trotz bestehenden Beschränkungen der Versammlungsmöglichkeit erforderliche Beschlüsse zu fassen und damit handlungsfähig bleiben. Der Vorstand einer Aktiengesellschaft (AG), Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA) und einer Europäischen Gesellschaft (SE) kann daher eine Online-Teilnahme an der Hauptversammlung ermöglichen; die Hauptversammlung virtuell mit eingeschränkten Anfechtungsmöglichkeiten durchführen; die Einladungsfrist für die Hauptversammlung auf 21 Tage verkürzen; Abschlagszahlungen auf den Bilanzgewinn vornehmen und die Hauptversammlungen bis zum 31. Dezember durchführen.

Ferner sollen Beschlüsse der Gesellschafter abweichend von § 48 GmbHG in Textform oder durch schriftliche Abgabe der Stimmen auch ohne Einverständnis sämtlicher Gesellschafter gefasst werden können.

Im Umwandlungsrecht wird die acht-Monatsfrist zur Vorlage einer Bilanz auf zwölf Monate verlängert um so zu verhindern, dass Umwandlungsmaßnahmen aufgrund fehlender Versammlungsmöglichkeiten an einem Fristablauf scheitern.

Notare müssen ins Büro

Notare bleiben zur Offenhaltung ihrer Geschäftsstelle und zur Durchführung von Beurkundungen weiterhin verpflichtet. Der Notar bleibt an das übliche Beurkundungsverfahren gebunden und somit ist die Präsenz der Parteien weiterhin erforderlich. Die Möglichkeit der Durchführung von Beurkundungen per Video oder Telefon ist bisher nicht gestattet. Es empfiehlt sich daher von Präsenzerleichterungen, wie z.B. Beurkundungen mit nur einem Vertragsteil vorbehaltlich Genehmigungen oder Einsatz eines Notariatsmitarbeiters als Vertreter verstärkt Gebrauch zu machen.

Die Autoren Dr. Christopher Wolff, Dr. Regina Engelstädter, Dr. Christian Mock, Dr. Jan Gernoth und Dr. Fritz Kleweta, LL.M. sind Rechtsanwälte bei der Kanzlei Paul Hastings.

Zitiervorschlag

Maßnahmenpaket der Bundesregierung zur Coronakrise: . In: Legal Tribune Online, 23.03.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41017 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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