Nach dem Schulgesetz dürfen Schüler und Lehrer in Baden-Württemberg keine Masken tragen. Das Schulministerium rät zu einem pragmatischen Umgang, Juristen zu einer Aufhebung oder Änderung der Norm.
Lange war das Tragen einer Maske Pflicht, um die Ansteckungsgefahr mit dem Corona-Virus zu reduzieren. In Baden-Württemberg ist dasTragen für Schüler:innen und Lehrer:innen seit Aufhebung der Maskenpflicht sogar verboten. So regelt es dort das Schulgesetz (SchulG), hatte zuerst die Südwest Presse berichtet. Und das bei steigenden Infektionszahlen, wie etwa in Karlsruhe. Nur als Ausnahme können Schulleiter:innen das Masketragen erlauben.
Zugrunde liegt der Regelung eine Änderung im Schulgesetz von Ende 2020. Damals führte das Schwarz-Grün regierte Bundesland den § 72 Abs. 3a ins SchulG ein. Danach ist, so wörtlich, "Schülerinnen und Schülern öffentlicher Schulen [...] die Verhüllung des Gesichts bei schulischen Veranstaltungen untersagt, es sei denn, dies ist zur Erfüllung einer durch Gesetz oder Rechtsverordnung angeordneten Rechtspflicht erforderlich. Die Schulleiterin oder der Schulleiter kann Ausnahmen von Satz 1 1. Halbsatz im Einzelfall aus schulischen oder gesundheitlichen Gründen zulassen." Eine ebenfalls im Jahr 2000 in den § 92 SchulG BW eingeführte Norm ahndet einen Verstoß gegen das Gesetz als Ordnungswidrigkeit – und damit mit Geldbuße.
Der Bericht über diese Rechtslage hat bundesweite Medienresonanz und ein Abwiegeln des Schulministeriums ausgelöst. Doch die Rechtslage ist eindeutig.
Anlass für die Regelung war ein Beschluss aus Hamburg zum Niqab
Verantwortlich für die Neuregelung waren im Jahr 2000 nicht etwa Querdenker in der Landesregierung. Vielmehr hatte das Oberverwaltungsgericht (OVG) Hamburg entschieden, dass eine dortige Berufsschule einer Schülerin das Tragen eines Niqabs nicht untersagen darf. Es fehle an einer entsprechenden gesetzlichen Grundlage für ein solches Verbot, entschied seinerzeit das Gericht (OVG Hamburg, Beschl. v. 20.12.2019, Az. 2 E 5812/19).
Die Landesregierung in Baden-Württemberg wollte für diesen Fall Vorkehrungen treffen – und tat dies mit der Neuregelung. Es gab während des Gesetzgebungsverfahrens kritische Stimmen unter anderem von der Gewerkschaft für Bildung und Erziehung (GEW), dem Deutschen Gewerkschaftsbund und dem Landeselternbeirat. Die Institutionen sahen keinen Regelungsbedarf und hielten den Begriff "Verhüllung" für zu unbestimmt. Zudem sahen sie, so heißt es explizit in der entsprechenden Drucksache, "einen Widerspruch zu den derzeitigen Bemühungen gesehen, die Bevölkerung angesichts der Covid-19-Pandemie zum Tragen von Gesichtsmasken anzuhalten".
Klar war allen Beteiligten, dass die Regelung einen Eingriff in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) darstellt. Der Landesdatenschutzbeauftragte hielt auch vor diesem Hintergrund die Ausführungen in der Gesetzesbegründung insbesondere für die außerschulischen Veranstaltungen für unzureichend sowie die Formulierung der Ausnahmefälle in § 72 Absatz 3 a Satz 2 für "zu unbestimmt".
Die Kritik änderte nichts am Vorhaben, das Gesetz trat in Kraft. Danach besteht ein Verhüllungsverbot und damit ein Verbot zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes – es sei denn, die Schulleitung erlaubt das Tragen im Einzelfall. Der Vorschlag vom Gemeindetag, dass infektionsschützende Maßnahmen wie ein freiwilliges Tragen von Mund-Nase-Schutz erlaubt wird und auch das Schulministerium das Tragen erlauben kann, fanden keine Berücksichtigung.
Ministerium rät zur "Pragmatischen Umsetzung"
Alles nicht so schlimm, sagen sinngemäß nun das Schulministerium und das Regierungspräsidium Karlsruhe. Aber: Letzteres hatte das Hochkochen des Themas zu verantworten. Das Regierungspräsidium hatte nach dem Bericht der Südwest Presse eine Schule im Zuständigkeitsbereich über die aktuelle Rechtslage informiert und mitgeteilt, dass Schüler:innen und Lehrkräfte in Zukunft keine Atemschutzmasken mehr tragen dürften und diese Rechtslage auch auf Nachfrage dargelegt. In der Folge übernahm das Schulministerium die Pressearbeit und wiegelte das rechtliche Problem ab.
Gegenüber LTO stellte es klar, dass es "zu keinem Zeitpunkt eine aktive Anweisung eines Maskenverbots für die Schulen gegeben hat. Der Hinweis auf die Rechtsverordnung bzgl. des Maskentragens ist korrekt". Es bestehe für Schüler:innen das Verhüllungsverbot nach § 72 SchulG, für beamtete Lehrkräfte ergebe sich dies aus § 34 Abs. 2 Beamtenstatusgesetz (BeamtenStG). Der Regelfall hat nur den Ausnahmetatbestand, dass die Verhüllung zur Erfüllung einer Rechtspflicht erforderlich ist – so wie es das Infektionsschutzgesetz lange Zeit vorgegeben hatte. Mangels aktueller Rechtspflicht gilt also das Verbot, es sei denn die Schulleitung erlaubt das Masketragen wieder.
"Schulleitungen müssen den Schutz vulnerabler Schülerinnen und Schüler sowie Lehrkräfte ernst nehmen und entsprechende Vereinbarungen zum Tragen von Masken treffen. Gerade in Zeiten von zahlreichen Atemwegserkrankungen und einer derzeit hohen Anzahl von COVID-Infektionen steht es außer Frage, dass der individuelle Gesundheitsschutz, der in der Rechtsverordnung bereits angelegt ist, hier Vorrang hat. Schülerinnen und Schüler sowie Lehrkräfte haben daher die Möglichkeit, zum individuellen Gesundheitsschutz eine Atemschutzmaske zu tragen", teilte das Schulministerium mit. Die Schulleitungen würden die Regelung "unserer Kenntnis nach verantwortungsvoll an den Schulen" umsetzen.
Aufhebung der Norm nicht geplant
Für Anwalt Chan-Jo Jun ist die Norm im Schulgesetz verfassungswidrig, wie er auf X erläuterte. Zwar sei das Tragen einer Maske eine Beeinträchtigung des Schullebens. Nach dem Stand der Wissenschaft bringe sie aber auch einen Nutzen, nämlich den Schutz vor Infektionen. Vom Tragen einer Maske gehe auch keine Gefahr aus. Der Eingriff in Art. 2 GG sei insgesamt nicht verhältnismäßig und damit nach seiner Einschätzung rechtswidrig. Seiner Ansicht nach muss die Norm geändert oder gestrichen werden.
Dafür aber sieht das Schulministerium keinen Anlass: "Jede und jeder, der eine Atemschutzmaske tragen möchte, kann dies tun. Das liegt im Ermessen jeder und jedes einzelnen", teilte das Ministerium auf LTO-Anfrage mit.
Die SPD-Fraktion als Opposition in Baden-Württemberg sieht das anders: "Aus dem baden-württembergischen Schulgesetz ergibt sich nicht unmittelbar, dass das Tragen von Atemschutzmasken so ohne Weiteres zulässig ist. Tatsächlich steht es im Ermessen der Schulleitung, ob eine Ausnahme vom gesetzlichen Verbot, das Gesicht im Unterricht zu verhüllen, erteilt wird", teilte der SPD-Rechtspolitiker Dr. Boris Weirauch auf LTO-Anfrage mit. "Für Rechtssicherheit ist eine landesweit einheitliche Handhabe notwendig. Durch das Kultusministerium muss eine Klarstellung, etwa in Form einer ermessenslenkenden Verwaltungsvorschrift, erfolgen."
Das aber schrieb: "Für eine Anpassung des Schulgesetzes besteht derzeit keine Veranlassung."
Sollten Schulleitungen von ihrer Erlaubnismöglichkeit keinen Gebrauch machen, müssten Eltern klagen, wenn sie möchten, dass ihre Kinder in der Schule eine Maske tragen dürfen.
Verhüllungsverbot in Baden-Württemberg: . In: Legal Tribune Online, 30.11.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53303 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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