Die Coronakrise trifft Clubs und Restaurants hart: Betriebsschließungen, heftige Umsatzeinbußen - und das von heute auf morgen. Niko Härting ist davon überzeugt, dass den Betreibern nach geltendem Recht eine Entschädigung zusteht.
LTO: Herr Professor Härting, Sie vertreten viele Mandanten aus der sogenannten Eventbranche. Mit Ihrem Anwaltsteam haben Sie unmittelbar nach Erlass der ersten coronabedingten Maßnahmen gegen Einrichtungen aus Gastronomie und Kultur eine kostenlose "Helpline" für Unternehmen und Freelancer geschaltet. Wie war die Resonanz?
Härting: Vor allem in der ersten Woche Mitte März überwältigend. Allein am ersten Tag, am 16.März, haben wir über hundert Anfragen bekommen, bis zu vier Rechtsanwälte waren mit rechtlichen Fragen rund um Schließungen, Absagen und Ausfälle beschäftigt.
Mittlerweile hat sich die Nachfrage etwas gelegt. Zum einen, weil wir einige Infos auf die Website gestellt haben. Zum anderen, weil sich auch der soziale Druck auf die Politik derart verstärkt hatte, dass sie inzwischen u.a. mit Soforthilfe-Programmen reagiert hat. In der ersten Woche konnten wir viele Ratsuchende dagegen nur auf die Grundsicherung und Hartz-IV verweisen.
"Schadensersatz auf Grundlage von § 56 IfSG"
Welche Fragen beschäftigen jetzt die von einer Schließung ihres Gewerbebetriebs Betroffenen am meisten?
Neben der Frage, ob man trotz Schließung noch seine Miete zahlen muss, rückt vor allem das Thema Entschädigung in den Vordergrund. Betriebsschließungen, Veranstaltungsabsagen, etc. - all das sind Maßnahmen, die ja auf Grundlage der §§ 28 ff. Infektionsschutzgesetz (IfSG) getroffen wurden. Es liegt auf der Hand, dass dieses Gesetz den Menschen, die im Interesse von uns allen ein "Sonderopfer" erbringen, auch eine entsprechende Entschädigung gewähren muss.
Das IfSG enthält bereits Regelungen, wonach Personen, denen nach dem Gesetz verboten ist, ihrer Erwerbstätigkeit nachzugehen und die deshalb einen Verdienstausfall erleiden, ein Verdienstausfall zusteht. Überwiegend wird aber vertreten, dass finanzielle Nachteile wegen Schließungen ganzer Betriebe oder aufgrund von Auswirkungen der Ausgangsbeschränkungen nicht darunter fallen.
Dass überwiegend staatliche Stellen diese Rechtsauffassung vertreten, überrascht mich nicht. Wir haben uns im "Corona-Team" meiner Kanzlei inzwischen intensiv mit dem IfSG befasst und dabei natürlich auch mal die bisherige Anwendungspraxis untersucht.
Die maßgebliche Entschädigungsregelung des § 56 IfSG ist jedenfalls seit der AIDS-Krise in den 1980-er Jahren kaum einmal angewendet worden. Zur Anwendung kam die Vorschrift bislang, wenn gegen Einzelpersonen - zumeist Ärzte, die sich angesteckt hatten – Tätigkeitsverbote ausgesprochen wurden, die daraufhin ihren Beruf nicht mehr ausüben konnten.
Anders als für Tätigkeitsverbote gibt es für Betriebsschließungen keine Regelungen im IfSG. Aber wir haben uns die Frage gestellt, ob für Betriebsschließungen nicht nach dem Sinn und Zweck des § 56 IfSG dasselbe gelten muss wie für Tätigkeitsverbote. Da § 56 IfSG eine Vorschrift ist, welche die Folgen eines enteignenden Eingriffs bei Tätigkeitsverboten regelt, meinen wir, dass dasselbe für Betriebsschließungen gelten muss.
"Enteignender Eingriff mit Sonderopfer"
Aber der Wortlaut der Vorschrift erwähnt keine Betriebsschließungen. Deshalb hat sich zum Beispiel Ex-Verfassungsrichter Hans-Jürgen Papier kürzlich explizit für "eine Verankerung von Ausgleichsregelungen im Infektionsschutzgesetz" ausgesprochen.
Selbstverständlich wäre eine Präzisierung oder Ergänzung der Vorschrift sinnvoll, aber warten müssen die Betroffenen auf eine Gesetzesänderung nicht. Schließlich hat man auch die Betriebsschließungen mit dem § 28 IfSG begründet, obwohl der Wortlaut das ebenfalls nicht hergibt.
Ich meine: Es handelt sich – unterstellt, die Maßnahme war überhaupt rechtmäßig - um einen enteignenden Eingriff, durch den der Gewerbetreibende verpflichtet wurde, ein Sonderopfer zu erbringen. Die daraus folgende Entschädigung ergibt sich aus einer analogen Anwendung des § 56 IfSG herleiten. Sollte sich die Maßnahme im Übrigen als rechtswidrig herausstellen, wird erst recht eine Entschädigung fällig.
Haben Sie für Ihre Mandanten derartige Schadensersatzansprüche schon angemeldet und gibt es vielleicht schon Ergebnisse?
Wir haben damit begonnen, derartige Ansprüche bei den Behörden anzumelden und bei negativen Bescheiden werden wir auch eine Klage empfehlen. Ob wir das allerdings dann im Wege eines Musterverfahrens machen, steht noch nicht fest. Über die Prozessstrategie machen wir uns Gedanken, wenn es so weit ist.
Herzlichen Dank für das Gespräch.
Prof. Niko Härting ist Rechtsanwalt und Partner bei Härting Rechtsanwälte in Berlin. Er ist außerdem Honorarprofessor an der Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR Berlin). Seine Schwerpunkte liegen im Internet-, Datenschutz- und Fernabsatzrecht.
Interview zu Betriebsschließungen wegen Corona: . In: Legal Tribune Online, 06.04.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41227 (abgerufen am: 25.11.2024 )
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