Nach dem Geständnis: Wie der High Court über den Christchurch-Atten­täter urteilen wird

Gastbeitrag von Philipp Semmelmayer

06.04.2020

Der Attentäter von Christchurch war dem Gericht virtuell aus seiner Gefängniszelle zugeschaltet, als er plötzlich seine Taten gestand. Das bedeutet nach neuseeländischem Recht viel mehr als nach deutschem, erklärt Philipp Semmelmayer.

Im März 2019 erschoss Brenton Tarrant bei einer Attacke auf zwei Moscheen in Christchurch (Neuseeland) zahlreiche Menschen, etliche wurden verletzt. Der Rechtsextremist filmte seine Tat und übertrug sie per Facebook Livestream. In einem Internetforum postete er ein "Manifest".

Seitdem sitzt der 29-Jährige in Untersuchungshaft. Die Anklage gegen ihn lautet auf Mord in 51 Fällen, versuchten Mord in 40 Fällen sowie Begehung einer terroristischen Handlung. Den Ermittlungen zufolge griff der Täter gezielt islamische Zentren an und berief sich hierbei auf eine Reihe islamfeindlicher und rechtsextremer Theorien.

Rund ein Jahr später, am Tag, als Neuseeland in den Lockdown ging, gestand Tarrant die Taten überraschend vor dem High Court (Hohen Gericht) in Christchurch. Im Protokoll des Gerichts vom 26. März heißt es: "Er wurde nun für jede einzelne dieser Anklagen für schuldig erklärt. Es besteht nun keine Notwendigkeit mehr für einen Prozess, und die für Juni vorgesehene sechswöchige Anhörung kann aufgehoben werden." Nach neuseeländischem Recht ist der Ausspruch einer lebenslangen Freiheitsstrafe ohne Bewährung jetzt nur noch Formsache.

Alles noch im Vorverfahren

Seit 2011 regelt im Wesentlichen der Criminal Procedure Act (Strafverfahrensgesetz) das neuseeländische Strafverfahren. Dessen Ablauf ist überblicksartig in Abschnitt 4 Criminal Procedure Act dargestellt und richtet sich im Wesentlichen nach der Schwere der angeklagten Straftat, wobei der Mord der höchsten Kategorie 4 (Category 4 Offence) zugerechnet wird.

Bei Straftaten dieser Kategorie 4 ist anstelle des District Courts (Bezirksgericht) der High Court Neuseelands zuständig. Dieses Regelungskonzept ähnelt der Ausgestaltung der sachlichen erstinstanzlichen Gerichtszuständigkeit im deutschen Strafprozessrecht, sprich der Aufteilung in die amts- und landgerichtliche Zuständigkeit.

Vor Beginn der eigentlichen Hauptverhandlung gibt es eine sogenannte Pre-trial Procedure (gerichtliches Vorverfahren). Zu den dort behandelten Angelegenheiten gehören die Einlassung des Angeklagten zur Sache sowie gerichtliche Anordnungen über die Zulässigkeit von Beweisen. Über dieses Verfahrensstadium ist das Geschehen vor dem High Court noch nicht hinausgekommen. Zwar finden die Angelegenheiten des Vorverfahrens zum Teil vor einem Richter statt; ein mündlicher Hauptverhandlungstag, wie man ihn nach deutschem Strafprozessrecht kennt, fand jedoch noch nicht statt.

Digitale Justiz: Geständnis aus der Gefängniszelle

Bei einem ersten audiovisuellen Auftritt schwieg der Angeklagte im April 2019, im Juni plädierte er bei seiner Einlassung dann zunächst auf nicht schuldig. Die Hauptverhandlung wurde schließlich für Juni 2020 angesetzt, um mit Blick auf die Opfer und Hinterbliebenen eine Kollision mit dem muslimischen Fastenmonat Ramadan zu vermeiden.

Tarrant machte dann aber von seinem Recht Gebrauch, vor Gericht auszusagen, um eine frühere Einlassung zu ändern oder zu berichtigen (Abschnitte 37 (6) und 42 (1) Criminal Procedure Act). So kam es dazu, dass er sich im März vor dem High Court in Christchurch im Sinne der Anklage schuldig bekannte.

Auch bei diesem Geständnis wurde Tarrant audiovisuell aus dem Gefängnis in Auckland zugeschaltet. Dieses Vorgehen ermöglicht der Courts (Remote Participation) Act (Gerichtliches Fernteilnahmegesetz), der 2010 für das verkehrsinfrastrukturell zum Teil schlecht vernetzte Neuseeland verabschiedet wurde. Die AV(Audio-Visual Link)-Technologie ermöglicht es den Gerichten, sich direkt mit Gefängniskabinen im Land zu verbinden.

Nach dem Geständnis steht alles fest

Das Schuldeingeständnis führt dazu, dass Tarrant für schuldig erklärt wurde und es somit keine Hauptverhandlung gibt. Der nächste Gerichtstermin wird nur zur Verkündung des Urteils angesetzt. Denn nach Abschnitt 114 (1) Criminal Procedure Act kann das Gericht den Angeklagten für schuldig erklären oder auf jede andere gesetzlich zulässige Art und Weise mit ihm verfahren, also das Verfahren vertagen, eine konkrete Strafe auswerfen oder sich anderweitig sofort mit dem Angeklagten befassen, wenn der Angeklagte sich schuldig bekennt oder für schuldig befunden wird.

Nach deutschem Rechtsverständnis bemerkenswert ist, dass das in der Pre-trial Procedure vor Beginn der Hauptverhandlung abgelegte Geständnis und die Verurteilung den gleichen Stellenwert genießen. Dem Schuldgeständnis eine derartige Bedeutung einzuräumen, ist dem deutschen Strafrecht fremd. Hierzulande bindet ein Geständnis das Gericht nicht, da es aus unterschiedlichen Gründen (z.B. zur Deckung des wahren Täters) falsch sein kann. Im deutschen Strafverfahren ist ein Geständnis kein Grund, die Ermittlungen abzubrechen, sondern vielmehr wird es überprüft, gegebenenfalls werden weitere Ermittlungen eingeleitet.

Im Verfahren in Christchurch erledigt sich durch Tarrants Geständnis ein weiteres Problem. Diskutiert wurde bislang im Land, ob das Abspielen des Filmmaterials, das der Angeklagte von seiner mutmaßlichen Tat erstellte, zu einer Belastung von Angehörigen oder Jurymitgliedern hätte führen können.

Schuldspruch: Mord

Aufgrund seines Geständnisses wurde der Angeklagte schuldig gesprochen. Tatsächlich erfüllen die gestandenen Handlungen zweifelsohne die angeklagten Tatbestände. Als ehemals britische Kolonie basiert Neuseelands (Straf-)Rechtssystem auf dem englischen Rechtssystem. Obwohl das neuseeländische Rechtssystem dem Rechtskreis des Common Law zugerechnet wird, sind all seine Straftatbestände und -rahmen in Gesetzen kodifiziert.

Die Tötungsdelikte sind in den Abschnitten 167-181 Crimes Act – im Vergleich zu den §§ 211 ff. StGB des deutschen Rechts recht ausführlich – geregelt. Danach gilt eine schuldhafte Tötung eines Menschen als Mord, wenn der Täter durch eine rechtswidrige Handlung einen anderen Menschen tötet oder diesem eine schwere, zum Tod führende Körperverletzung zufügt und hierbei die Wahrscheinlichkeit des Todes rücksichtslos in Kauf nimmt. Wenn der Tod der Zweck des Angriffs ist, handelt es sich eindeutig um Mord. Besonderer Mordmerkmale bedarf es somit nicht zwingend.

Damit steht der Mord im neuseeländischen Recht eher dem deutschen Totschlag gleich. Der Totschlag, der sich auch nach neuseeländischem Recht negativ zum Mord abgrenzt, erfasst dort somit z.B. Fälle, in denen ein Mensch einen Selbstmordpakt überlebt, nachdem er den Suizidanten getötet hat.

Legt man die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zugrunde, war der Tod seiner Opfer der Zweck von Tarrants  Angriff. Er griff gezielt islamische Zentren an und tötete dort zahlreiche Menschen. Für eine Exkulpation gibt es keine Anhaltspunkte. Auf Unzurechnungsfähigkeit, die seine Schuld nach deutschem Recht ausschließen könnte (§§ 20, 21 StGB), hat Tarrant nicht plädiert. Nach Abschnitt 23 Crimes Act gilt in Neuseeland jeder als geistig gesund, der im Prozess nicht das Gegenteil beweist. Der Angeklagt hat einen solchen Einwand nicht erhoben.

Für immer ins Gefängnis

Der Strafausspruch steht noch aus. Abschnitt 172 des Crimes Act sieht für den Mord eine lebenslange, für den versuchten Mord eine Freiheitsstrafe von nicht unter 14 Jahren vor. In Deutschland kann das Gericht die Vollstreckung des Rests einer lebenslangen Freiheitsstrafe unter engen Voraussetzungen zur Bewährung aussetzen, wenn u.a. fünfzehn Jahre der Strafe verbüßt sind und keine besondere Schwere der Schuld entgegensteht.

Abschnitt 172 Crimes Act 1961 hingegen unterliegt dem Abschnitt 102 (1) Sentencing Act 2002 (Verurteilungsgesetz). Danach scheidet eine lebenslange Freiheitsstrafe aus, wenn sie angesichts der Umstände der Tat und des Täters offensichtlich ungerecht wäre. Ein wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilter Täter muss mindestens 10 Jahre Haft absitzen, bevor eine Bewährung in Frage kommt, wobei das verurteilende Gericht eine längere oder gar keine Mindestdauer (lebenslang ohne Bewährung) festlegen kann. Die Entscheidung hierüber erfolgt durch Anordnung mit Verkündung des Urteils.

Nach der öffentlich bekannten Sachlage spricht alles für eine lebenslange Haftstrafe ohne Bewährung, wie auch nach deutschem Recht, eine Verurteilung auf der Grundlage der bisherigen Tatsachen vorausgesetzt, eine Aussetzung des Strafrestes wohl an der besonderen Schwere der Schuld scheitern würde.

Hinzu kommt ein Schuldspruch wegen Begehung einer terroristischen Handlung, die ebenfalls mit einer "lebenslangen oder kürzeren" Freiheitsstrafe sanktioniert wird. Nach Abschnitt 6A (1) des Terrorism Suppression Act 2002 macht sich strafbar, wer an einer terroristischen Handlung beteiligt ist. Terrorismus in diesem Sinne ist nach dem Gesetz zur Terrorismusunterdrückung, das nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 geschaffen wurde, u.a. eine Handlung zum Zwecke der Förderung einer ideologischen Sache, die mit der Absicht begangen wird, Terror in der Zivilbevölkerung zu induzieren und die zum Tod oder einer anderen schweren Körperverletzung einer oder mehrerer Personen führt. Ein gezielter Anschlag auf islamische Zentren entspricht dieser Definition zwanglos. Einen vergleichbaren Straftatbestand kennt das deutsche Recht nicht.

Kein Abschluss des Verfahrens vor Ende des Lockdown

Am Tag des Geständnisses von Brenton Tarrant ging Neuseeland in den Lockdown, um die Ausbreitung des Covid-19-Virus zu verhindern. Die Anzahl der im Gerichtssaal erlaubten Personen war daher beschränkt. Dass der Termin nach dem Hinweis von Tarrants Anwalt über die Geständnisbereitschaft seines Mandanten überhaupt so schnell anberaumt wurde, erklärt sich wohl mit der Angst des Gerichts, der Angeklagte würde es sich womöglich wieder anders überlegen.

Als essenzielle Einrichtung darf der High Court zur Behandlung vorrangiger Verfahren weiterhin zusammentreten, sofern das ohne Beeinträchtigung der Gesundheit der Menschen möglich ist. In der derzeitigen Lage hat das Gericht aber nicht die Absicht, das Urteil für Tarrant zu verkünden, bevor es zum normalen Betrieb zurückkehrt. Fristen für die Durchführung eines solchen Verkündungstermins sieht das neuseeländische Strafprozessrecht nicht vor. Und die Opfer und ihre Familien sollen persönlich vor Gericht erscheinen können.

Der Autor Philipp Semmelmayer ist Volljurist und Masterstudent an der University of Auckland.

Zitiervorschlag

Nach dem Geständnis: . In: Legal Tribune Online, 06.04.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41210 (abgerufen am: 01.11.2024 )

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