Seit Juli dürfen Anbauvereinigungen in Deutschland Cannabis anbauen. In ganz Deutschland? Ausgerechnet in der Hauptstadt sorgt ein Zuständigkeitschaos dafür, dass das zugrundeliegende Bundesgesetz nicht umgesetzt werden kann.
Seit 1. Juli ermöglicht das Konsumcannabisgesetz (KCanG) eine Weitergabe von Cannabis unter bestimmten Voraussetzungen an Mitglieder sogenannter Anbauvereinigungen. Das sind eingetragene, nicht wirtschaftliche Vereine oder eingetragene Genossenschaften, deren Zweck der gemeinschaftliche, nicht gewerbliche Eigenanbau und die Weitergabe von Cannabis und Vermehrungsmaterial (Samen und Stecklinge von Cannabispflanzen) zum Eigenkonsum ist. Sie sollen ihre Mitglieder auch über cannabisspezifische Suchtprävention und -beratung informieren. Die Anbauvereinigungen werden nach den Grundsätzen des Vereinsrechts geleitet und sind streng reguliert.
Für das nicht gerade unbürokratische Erlaubnisverfahren eines solchen "Clubs" soll nach dem Willen des Bundesgesetzgebers eine von den Ländern zu bestimmende Landesbehörde zuständig sein. Die Länder wurden ausdrücklich im Gesetz dazu ermächtigt, eine solche Behörde durch eine entsprechende Rechtsverordnung zu bestimmen. Außerdem konnten die Landesregierungen die Ermächtigung per Verordnung auf andere staatliche Stellen des Landes übertragen, wie es in § 33 Abs. 3 KCanG heißt.
In 15 Bundesländern hat dies bereits funktioniert. In Bayern etwa ist das Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, in Brandenburg das Landesamt für Arbeitsschutz, Verbraucherschutz und Gesundheit für die Anbauvereinigungen zuständig. In Sachsen wurde die Zuständigkeit auf die Landesdirektion, in Hessen auf das Regierungspräsidium Darmstadt übertragen.
Zwölf Bezirksämter zuständig statt einer Behörde?
Wo allerdings die Umsetzung des KCanG bislang so gar nicht klappt, ist ausgerechnet Berlin. Die für die Partymetropole zuständige Gesundheitsverwaltung steht auf dem Standpunkt, dass nicht eine von ihr zu bestimmende Landesbehörde, sondern die zwölf Bezirke des Stadtstaates für das Erlaubnisverfahren zuständig sein sollen. Dass sie sich um das komplizierte Verfahren kümmern sollen, erfuhren diese aber nicht etwa mit angemessenem zeitlichem Vorlauf, sondern per E-Mail vom 28. Juni, also drei Tage vor Inkrafttreten der neuen Regelung. Und eine der Zuständigkeitsübertragung zugrundeliegende Verordnung existiert bis heute in Berlin nicht.
Hat man das Cannabis-Thema in der SPD-geführten Gesundheitsverwaltung nur verschlafen oder vorsätzlich verdrängt? Für Letzteres könnte sprechen, dass SPD-Gesundheitssenatorin Ina Czyborra in der Vergangenheit öffentlich Bedenken hinsichtlich der Cannabis-Freigabe geäußert hatte. "Der Konsum von Cannabis ist gesundheitsschädlich und birgt ein Suchtgefährdungspotenzial", sagte sie im August 2023. Damals kündigte sie an, der Berliner Senat werde den Gesetzgebungsprozess im Bund und den konkreten Wortlaut des Gesetzes bei Inkrafttreten abwarten, um dann darauf zu reagieren.
Obwohl das Gesetz nunmehr schon wochenlang gilt, ist eine solche "Reaktion" bisher allenfalls in Vorbereitungshandlungen erkennbar. Auf Anfrage von LTO, wann Berlin denn eine entsprechende Rechtsverordnung erlassen werde, verwies Czyborras Pressestelle auf einen noch bevorstehenden, langwierigen Abstimmungsprozess.
Gesundheitsverwaltung: "An der Umsetzung wird intensiv gearbeitet"
"Die erforderliche Zuständigkeitsverordnung wird zurzeit für das Mitzeichnungsverfahren mit den thematisch betroffenen Senatsverwaltungen vorbereitet, um anschließend dem Senat vorgelegt werden zu können. Im Anschluss erhält der Rat der Bezirksbürgermeisterinnen und -bürgermeister die Möglichkeit zur Stellungnahme. Im letzten Schritt wird die Verordnung zur Kenntnisnahme in das Abgeordnetenhaus eingebracht." Da in diesen Prozess außerdem verschiedene Player involviert seien, könne aktuell noch nicht gesagt werden, wann die Verordnung in Kraft trete.
"An der Umsetzung wird intensiv gearbeitet, damit die Verordnung so schnell wie möglich in Kraft treten kann", so die Pressestelle. Und so lange gelte eben die sogenannte Auffangzuständigkeit, nach der die Bezirke für die Ausführung dieser bundesrechtlich geregelten Aufgaben zuständig seien (Nr. 37 Abs. 2 des Zuständigkeitskatalogs Ordnungsaufgaben Anlage zum Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetz).
In den Bezirken und der Opposition im Berliner Abgeordnetenhaus schüttelt man ob des Verzugs der Berliner Verwaltung in Sachen Cannabis nur noch den Kopf: "Offensichtlich wurde die Umsetzung des Konsumcannabisgesetzes mutwillig verschleppt, obwohl spätestens seit dem 1. April klar war, dass es ein Genehmigungsverfahren für die Anbauvereinigungen ab Juli braucht", erklärte der innen- und drogenpolitische Sprecher der grünen Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, Vasili Franco, verärgert. Es sei unredlich, kurz vor Inkrafttreten und ohne jegliche Absprache oder Ankündigung, die Bezirke nach Monaten der Untätigkeit ohne Rechtsverordnung und ohne Zuweisung von Ressourcen für zuständig zu erklären.
"Wie sollen die Bezirke denn das Gesetz umsetzen, wenn noch nicht einmal Klarheit über die dafür erforderliche Rechtsverordnung besteht?" Es brauche eine zentrale Stelle zur Genehmigung und Kontrolle der Anbauvereinigungen und nicht zwölf Parallelstrukturen in den Bezirken, was die Umsetzung noch weiter verzögern werde. Die proaktive Verhinderung von Anbauclubs spiele im Übrigen dem Schwarzmarkt in die Hände, so Franco.
"Keinerlei Fachkompetenz in den Gesundheitsämtern"
Und auch seitens der Bezirke ist man über die ihnen nun obliegende "Auffangzuständigkeit" alles andere als glücklich. Die Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, Clara Herrmann (Bündnis 90/Die Grünen), kritisierte in einem LTO vorliegenden Papier für eine Sitzung aller Berliner Bürgermeister am Donnerstag den schwarz-roten Senat scharf: "Das Vorgehen des Senats entspricht nicht dem Anspruch eines kollegialen Miteinanders zwischen Land und Bezirken. Alle anderen 15 Bundesländer haben eine Lösung zur Umsetzung gefunden. In keinem weiteren Bundesland wurde die Umsetzung der untersten Verwaltungsebene zugeordnet."
Die Kritik an der Gesundheitsverwaltung ist parteiübergreifend. Auch viele CDU- und SPD-Bezirkspolitiker sind angefasst. So forderte der SPD-Bezirksbürgermeister Martin Hikel in einem Schreiben an SPD-Gesundheitsstaatssekretärin Ellen Haußdörfer vom Senat eine "zeitnahe Herreichung konkreter Handlungsempfehlungen zum weiteren Vorgehen." Aufgrund fehlender personeller Ressourcen bat das Bezirksamt außerdem um Amtshilfe bei der Gesundheitsverwaltung für die Bearbeitung eingehender Anträge. Und zuletzt drängten sieben Bezirksstadträte Senatorin Czyborra in einem Schreiben vom 9. Juli dazu, ihren Plan, die Zuständigkeit für den Umgang mit Konsumcannabis in den Bezirken zu verankern, aufzugeben. In dem Schreiben, das LTO vorliegt, heißt es etwa: "Für die Umsetzung des KCanG bestehen in den bezirklichen Gesundheitsämtern keinerlei Fachkompetenzen."
Dass sich in Berlin schnell etwas ändert, damit ist nicht zu rechnen. In diesen Wochen haben in der Hauptstadt die Schulferien begonnen. Gut möglich, dass viele Beamte sich erst in einigen Wochen wieder um eine längst überfällige Rechtsverordnung in Sachen Cannabis kümmern.
Cannabis-Teillegalisierung in Berlin verzögert sich: . In: Legal Tribune Online, 19.07.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55041 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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