Im Candylove-Prozess gab der Hauptangeklagte Schmidt ein Geständnis ab. Er habe auf Drängen eines anderen den technischen Teil des Shops übernommen, mit den Drogen aber nichts zu tun gehabt. Es spricht ein Mann, der sich verändert gibt.
Maximilian Schmidt betritt gewohnt ruhig und gelassen in Begleitung seines Verteidigers Curt-Matthias Engel den Raum. Eine Ruhe, die er auch in seinem fast dreistündigen Geständnis an den Tag legen wird. Statt eines beigefarbenen Pullovers wie an den vergangenen Verhandlungstagen trägt er an diesem Montag ein strahlend gelbes Hemd. Doch das ist nicht die einzige Veränderung an Schmidt, die der Verhandlungstag bereithält.
In dem Verfahren vor dem Landgericht (LG) Leipzig sind fünf Männer wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln angeklagt, da sie etwa 20 Kilogramm Drogen über einen Onlineshop verschickt haben sollen. Bevor es inhaltlich wurde, mussten zunächst zwei Anträge des Verteidigers Engels auf Ausschluss der Öffentlichkeit beraten werden. Zu groß sei die Angst vor angeblichen heimlichen Ton- oder Videoaufnahmen – ein Angriff in Richtung einer Journalistin, die am dritten Verhandlungstag ungefragt mit ihrem Handy ein Gespräch mit Schmidt aufzeichnete. Doch das Warten der zunehmend ungeduldig-genervten Öffentlichkeit – die schließlich bleiben durfte – lohnte sich. Der Hauptangeklagte Schmidt sagte aus.
"Ich habe Angst, dass ich Ziel von Kriminellen und Verrückten werde"
Eine Einlassung, in der Schmidt auch ein privates Bild von sich zeichnet und es versteht, einen Spannungsbogen aufzubauen. Er beginnt mit der Schilderung seiner Kindheit und Schulzeit, die maßgeblich von Videospielen und dem Mangel an Freunden geprägt gewesen sei. Nach dem Schulabschluss habe er eine Lehre zum Restaurantfachmann angefangen und nach knapp zwei Jahren gekündigt. Wenige Monate später im Dezember 2013 habe er dann den Drogen-Onlineshop "Shiny Flakes" betrieben, der ihn durch die gleichnamige Netflix-Dokumentation berühmt werden ließ. Eine Berühmtheit, die offenbar ihre Tücken hat. "Ich werde in der Öffentlichkeit in ein völlig falsches Licht gerückt. Ich habe Angst vor meiner Zukunft. Wie es innerlich in mir aussieht, interessiert scheinbar keinen", stellt Schmidt fest.
Er sei wegen des "Shiny Flakes"-Shops im November 2015 zu einer Jugendstrafe von sieben Jahren verurteilt wurden. Zudem sei die Einziehung i.H.v. drei Millionen Euro angeordnet worden – mehr dazu auf dem LTO- YouTube-Kanal. "Dieses Geld werde ich wahrscheinlich nie bezahlen können, ich wüsste nicht wie. Ich war und bin hoch verschuldet", stellt Schmidt fest und ergänzt, dass die Berichterstattung eines Mediums, wonach er vor dem Krypto-Crash noch über 300 Millionen Euro gehabt hätte, falsch sei. "Ich habe Angst, dass ich Ziel von Kriminellen und Verrückten werde, die diesen Unsinn glauben und mich bedrohen", so Schmidt. Er habe auch schon eine tote Maus aus seinem Briefkasten holen müssen.
Die Jahre nach der Verurteilung habe er in verschiedenen Justizvollzugsanstalten verbracht. Schließlich sei er in Leipzig in den offenen Vollzug gekommen und habe dort den Mitangeklagten G. kennen gelernt. Dies führte Schmidt sodann zur Antwort auf die Frage, die wohl allen Anwesenden am stärksten unter den Nägeln brennt.
Erneuter Drogen-Shop für ein bisschen Freundschaft
Ja, er habe den Drogen-Onlineshop "Candylove" technisch aufgebaut, mit den Drogen selbst aber nichts am Hut gehabt. Er habe vielmehr auf Drängen des Mitangeklagten G. schließlich eingewilligt, die technische Seite des Drogenvorhabens zu übernehmen. Anders als die anderen Mithäftlinge sei G. nett zu Schmidt gewesen und habe ihn ernst genommen. So ernst, dass er Schmidt über seinen früheren Drogenhandel detailliert ausgefragt habe und schließlich vorschlug, gemeinsam mit ihm erneut einen Onlineshop zu betreiben. Dies habe Schmidt zunächst abgelehnt. "Ich habe ihm erklärt, dass schon viel schiefgelaufen ist, als ich es allein gemacht habe, und ich dadurch aufgeflogen bin. Mit mehreren Personen ist die Gefahr, entdeckt zu werden, noch größer."
G. habe jedoch nicht lockergelassen und Schmidt letztlich überredet. "G. ist in seiner kumpelhaften Art jemand, bei dem man nicht nein sagt. Er gab mir das Gefühl, ich sei ein Freund von ihm." Zuvor stellte er klar: "In der Haft findet man keine Freunde und jemand wie ich schon gar nicht." G. habe ihn während des offenen Vollzugs auch seine Wohnung mit nutzen lassen.
Schmidt habe die Software für den Shop sodann programmiert und gewartet und sich um technische Geräte gekümmert. Dafür habe er Geld bekommen. Es sei abgemacht gewesen, dass er nur in der Anfangszeit mit dem Shop helfe und sich jederzeit ausklinken könne. G. habe sich um alles Weitere kümmern sollen "Für mich stand fest, dass ich prinzipiell nichts außer des Programmierens damit zu tun haben möchte. Weder mit der Besorgung von Waren für den Shop, noch mit der Portionierung, Verpackung, dem Versand oder mit irgendwelchen Kontakten", so Schmidt. Er habe auch nie gewusst, wo die Drogen gelagert wurden und auch mit der Bestimmung der Verkaufspreise nichts zu tun gehabt.
"Denken Sie, ich hätte mir das gefallen lassen, wenn ich der Chef gewesen wäre?"
Entgegen des Anklagevorwurfs habe Schmidt auch nicht den Kopf der Gruppe gebildet. Er sei auf keinen Fall der Chef oder Organisator gewesen. Zur Untermauerung schilderte Schmidt ein Gespräch zwischen G. und einer anderen Person, in der er von diesen u.a. als "Kind", "Hausschwein", "Pavian", "Neandertaler" bezeichnet worden sei. "Denken Sie, ich hätte mir so etwas gefallen lassen, wenn ich mit G. auf Augenhöhe oder gar der Chef gewesen wäre?", fragte er rhetorisch das Gericht. G. sei oftmals nicht nett und teilweise aggressiv ihm gegenüber gewesen. Schmidt dagegen habe in G. einen Freund, Beschützer und eine Art großen Bruder gesucht.
Zu den anderen Angeklagten habe Schmidt kaum bis keinen Kontakt gehabt. Er habe G. gegenüber kommuniziert, dass ihn niemand anderes kennen sollte. Dennoch habe er schließlich ab und zu mit dem wegen Beihilfe Angeklagten Jens M. zusammen im Auto des G. gesessen, der Schmidt gelegentlich umherfuhr. Über den Shop sei dabei nicht gesprochen worden. Den ebenfalls wegen Beihilfe angeklagten Julius M. habe er nie persönlich getroffen. Jens M. und Julius M. hätten jeweils in einer auf ihren Namen angemieteten Wohnung anhand der programmierten Software und einer von Schmidt erstellten Arbeitsvorlage Bestellungen über den Onlineshop bearbeitet. Die beiden wegen Beihilfe Angeklagten hatten zuvor Geständnisse abgegeben, die im Kern mit der Aussage Schmidts übereinstimmen.
Den angeklagten Anwalt R. – um den sich insbesondere einige rechtliche Probleme wegen unzulässiger Abhörmaßnahmen ranken – habe Schmidt auch nur ein Mal bei einer Wohnungsbesichtigung getroffen, wobei nicht mehr als "Hallo" und "Tschüß" gesprochen worden sei. R. sei Anwalt des G. gewesen, über diesen habe G. während des offenen Vollzugs eine Wohnung für Schmidt organisieren wollen. Wie genau, das habe Schmidt nicht gewusst und auch nicht hinterfragt.
Schmidt will Weitermachen abgelehnt haben
Schließlich sei das "Vorhaben" im Januar 2020 beendet worden, nachdem Jens M. und Julius M. bereits im August 2019 aufgehört hätten. Es sei zu chaotisch gelaufen und habe nicht den von G. erwünschten Erfolg gehabt. Schmidt habe sich daraufhin entschlossen, den Onlineshop abzuschalten. Er habe Dateien und Datenbanken vom Server gelöscht und letzteren abgeschaltet. Zudem habe er noch aus dem Shop stammende Bargeldauszahlungen i.H.v. insgesamt etwa 164.000 Euro für G. aus Magdeburg abgeholt. Danach sei das Vorhaben für Schmidt zu Ende gewesen, worüber er froh gewesen sei.
Eine erneute Anfrage von G. zum Aufbau eines Shops im Mai 2020 lehnte Schmidt ab: "G. war schon hartnäckig, ich aber mit meinem vehementen Nein auch". Daran habe seine Freundin einen wesentlichen Anteil gehabt. Er sei zufrieden gewesen mit dem Leben mit seiner Freundin, die mittlerweile seine Verlobte sei, und habe seine Freiheit nicht riskieren wollen.
Ein anderer Schmidt als in der Doku
Entgegen seines teilweise überheblich-stolzen Auftretens nach seinen ersten Taten in der Netflix-Dokumentation gibt sich Schmidt insgesamt reuig, reflektiert und fast schon zurückhaltend. "Ich habe einen Fehler gemacht, das wollte ich nicht nochmal. Ich bin heute bisschen weiter als damals." Er treffe sich auf Eigeninitiative mit einer Psychologin, um seine Straffälligkeit aufzuarbeiten. Seine Aussage beendete Schmidt schließlich mit den Worten: "Mir tut das alles sehr leid, insbesondere für meine Familie, meine Verlobte und meinen Hund, die immer zu mir halten."
Schmidt strahlte – symbolisch unterstützt von seinem leuchtend gelben Hemd – Optimismus aus. Er habe die Hoffnung auf ein faires Verfahren, seit das Gericht einen damals gegen ihn beantragten Haftbefehl wegen Fluchtgefahr ablehnte. Zudem hoffe er, dass ihm nicht jeder negativ gegenübertrete. Keinesfalls negativ schien jedenfalls die Stimmung auf der Anklagebank rund um Schmidt. Es wurde viel gescherzt, bei seinem Verteidiger Engel schien ein Grinsen auf dem Gesicht ein fast ebenso fester Begleiter zu sein wie seine Anwaltsrobe.
Optimismus begründet?
Möglicherweise ist strahlend gelber Optimismus ein bisschen übertrieben. Die Aussage Schmidts könnte im für ihn besten Fall – sollte das Gericht den Schilderungen Glauben schenken – relevant werden für eine eventuelle Unterscheidung zwischen Beihilfe oder Täterschaft. Allerdings sind Zweifel daran, dass er – ursprünglich angeklagt als Kopf der Bande – nun "nur" noch wegen Beihilfehandlungen strafbar sein soll, wohl nicht völlig unbegründet.
Einige Aspekte seiner Einlassung könnten sich außerdem begünstigend auf die Strafzumessung auswirken. Es scheint, als ob Schmidt wirklich mit dem kriminellen Teil seines Lebens abschließen möchte. Ob es sich dabei nur um eine gute und medienwirksame Verteidigungsstrategie handelt oder ein tatsächlich geläuterter Mann auf der Anklagebank sitzt, vermag mit letzter Sicherheit wohl nur Schmidt selbst sagen können. Das Gericht betonte indes erneut, dass es sich um einen "dynamischen Prozess" handele und bestätigte vor der Einlassung Schmidts auf Nachfrage des Verteidigers "wie besprochen" die Vorteile einer frühzeitigen Einlassung. Fragen wurden von Schmidt grundsätzlich zugelassen. Die Staatsanwaltschaft habe sich jedoch "nach vier Stunden Vortrag" nochmal in Ruhe Gedanken machen wollen und möchte im nächsten Termin am Donnerstag "sinnvolle Fragen" stellen. Danach wird auch die Verteidigung Gelegenheit zu Fragen erhalten. Die Kammer beendete den langen Verhandlungstag schließlich mit der Feststellung, dass das alles juristisch nicht einfach sei und Gründlichkeit vor Schnelligkeit gehe.
Candylove: Kinderzimmer-Dealer gesteht Beteiligung: . In: Legal Tribune Online, 28.02.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51184 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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