Datenschutz und Videoüberwachung – das ruft förmlich nach Streit. Wie das BVerwG einen solchen entschied, in dem eine Zahnärztin weite Teile ihrer Praxis filmen ließ, und welche Schlüsse man daraus ziehen darf, zeigt Carlo Piltz.
Mit Urteil vom Mittwoch (27.03.2019, Az. 6 C 2.18) hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in einem konkreten Fall die Videoüberwachung von öffentlichen Flächen in einer Zahnarztpraxis für unzulässig gehalten. Damit wies es die Klage einer Zahnärztin gegen einen Bescheid der Datenschutzbehörde in Brandenburg ab. Derzeit ist nur die Pressemitteilung des BVerwG zu der Entscheidung verfügbar, doch lassen sich daraus bereits jetzt erste spannende Feststellungen entnehmen.
In dem entschiedenen Fall wendete sich die klagende Zahnärztin gegen eine Anordnung der Landesbeauftragten für den Datenschutz und für das Recht auf Akteneinsicht Brandenburg (LDA Brandenburg). In die Praxis der Frau gelangt man durch die Eingangstür ohne Zutrittskontrolle, der Empfangstresen in der Praxis ist nicht besetzt. Unter anderem wohl deshalb hat die Zahnärztin oberhalb des Empfangstresens eine Videokamera angebracht. Installiert ist ein sogenanntes Kamera-Monitor-System. Die aufgenommenen Bilder werden dabei live auf Monitore in die Behandlungszimmer übertragen.
Eine Aufzeichnung der Videos wäre möglich, findet jedoch nicht statt. Die LDA verpflichtete die Zahnmedizinerin unter anderem dazu, die Videokamera so auszurichten, dass der Patienten und sonstigen Besuchern zugängliche Bereich vor dem Empfangstresen, der Flur zwischen Tresen und Eingangstür und das Wartezimmer nicht mehr erfasst werden.
DSGVO nicht auf Alt-Verwaltungsakte anwendbar
Zunächst mussten die Leipziger Richter klären, welche datenschutzrechtlichen Anforderungen den Prüfungsmaßstab bilden: Ist das alte Datenschutzrecht auf der Grundlage der EU-Richtlinie 95/46/EG und des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) alte Fassung anzuwenden oder aber gelten die Vorgaben der seit 25. Mai 2018 anwendbaren EU-Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO)?
Das BVerwG stellte hierzu fest, dass die DSGVO auf den vorliegenden Fall keine Anwendung findet. Datenschutzrechtliche Anordnungen der Aufsichtsbehörden, die vor dem 25. Mai 2018 erlassen worden sind, unterliegen vielmehr dem alten Datenschutzrecht. Entscheidungen, die vor dem Zeitpunkt der Anwendbarkeit der DSGVO getroffen wurden, "werden nicht nachträglich an diesem neuen unionsrechtlichen Regelungswerk gemessen", heißt es aus Leipzig.
Diese Auffassung ist nicht nur für Videoüberwachungen relevant, sondern dürfte sich ganz allgemein auf andere Sachverhalte übertragen lassen, in denen derzeit immer noch Verwaltungs- beziehungsweise Klageverfahren anhängig sind, die Datenschutzbehörden auf Grundlage der früheren Rechtslage initiiert haben.
Interessenabwägung erforderlich – damals wie heute
Was die datenschutzrechtlichen Anforderungen der Videoüberwachung betrifft, kann man das Urteil des BVerwG wohl salopp so zusammenfassen: keine besondere Überraschung.
Das Gericht stellte zunächst fest, dass auch ein Kamera-Monitor-System in den Anwendungsbereich des alten BDSG fällt, konkret § 6b BDSG alte Fassung. Denn auch bei der Aufnahme und Übertragung der Bilder auf den Monitor findet eine Verarbeitung personenbezogener Daten statt. Dagegen ist eine Speicherung dieser Daten auf einer Festplatte nicht erforderlich, damit von einer Verarbeitung personenbezogener Daten ausgegangen werden kann.
Nach § 6b Abs. 1 BDSG alte Fassung war eine Beobachtung öffentlich zugänglicher Räume mit optisch-elektronischen Einrichtungen (Videoüberwachung) für private Stellen, wie hier die Zahnarztpraxis, nur zulässig, soweit die Überwachung zur Wahrnehmung des Hausrechts oder zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für konkret festgelegte Zwecke erforderlich ist und keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass schutzwürdige Interessen der aufgenommen Personen überwiegen. Auf die Möglichkeit, die Videoüberwachung zur Wahrnehmung des Hausrechts durchzuführen, geht das BVerwG – zumindest in seiner Pressemitteilung - nicht ein.
In der zweiten Rechtmäßigkeitsalternative verlangte das Gesetz, dass die Videoüberwachung zur Wahrnehmung berechtigter Interessen des datenschutzrechtlich Verantwortlichen (hier der Zahnarztpraxis) erforderlich ist und andererseits schutzwürdige Interessen der Betroffenen nicht überwiegen.
An dieser Stelle sei der Hinweis gestattet, dass die Leipziger Richter zwar ausdrücklich nur zur alten Rechtslage entschieden haben. Allerdings ist der aktuell gültige § 4 Abs. 1 S. 1 BDSG mit dem damaligen § 6b Abs. 1 S. 1 BDSG inhaltsgleich übernommen worden. Zudem sieht auch die DSGVO, wenn man nicht auf die nationale Regelung des § 4 Abs. 1 S. 1 BDSG abstellen möchte, eine solche Interessenabwägung im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung einer Datenverarbeitung durch eine Videoüberwachung in Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. f) DSGVO vor. Es erscheint daher zumindest denkbar, dass die nachfolgende Argumentation des BVerwG auf die aktuelle Rechtslage übertragbar ist.
Berechtigte Interessen müssen immer noch belegt werden
Als Revisionsinstanz war das BVerwG an die Tatsachenfeststellungen des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg gebunden. Die datenschutzrechtliche Prüfung des BVerwG folgte dann den im alten Recht bereits bekannten Anforderungen. Möchte sich ein Unternehmen danach auf die berechtigten Interessen für eine Videoüberwachung stützen, mussten in der Regel konkrete Tatsachen vorliegen, die den Einsatz eines Kamerasystems als erforderlich anzusehen machten, um diese berechtigten Interessen zu schützen.
In dem nun entschiedenen Fall verweist das BVerwG darauf, dass die Zahnärztin bereits grundsätzlich nicht dargelegt habe, dass sie für den Betrieb ihrer Praxis auf die Videoüberwachung angewiesen ist. Die Frau berief sich unter anderem darauf, dass zu befürchten sei, dass Personen, die ihre Praxis einfach betreten könnten, dort Straftaten begehen. Hierfür sah das Gericht jedoch keine tatsächlichen Anhaltspunkte, die diese Befürchtung als berechtigt erscheinen lassen.
Anders hätte diese Bewertung wohl ausfallen können, sollte es in der Vergangenheit schon einmal zu (versuchten) Straftaten in der Zahnarztpraxis gekommen sein. Allerdings, so das BVerwG, sei hier auch nicht dargelegt worden, dass die Videoüberwachung notwendig ist, "um Patienten, die nach der Behandlung aus medizinischen Gründen noch einige Zeit im Wartezimmer sitzen, in Notfällen betreuen zu können."
Videoüberwachung nicht per se erlaubt
Insgesamt erscheint die rechtliche Wertung des BVerwG, zumindest auf Grundlage der rudimentären Informationen in der Pressemitteilung, daher nachvollziehbar und auf einer Linie mit der Rechtsprechung zum alten Datenschutzrecht.
Möchten Unternehmen, Arztpraxen oder andere Stellen eine Videoüberwachung einsetzen, ist dies nicht unmöglich, aber eben auch nicht per se erlaubt. Erforderlich sind stets konkrete Tatsachen, die für das Vorliegen berechtigter Interessen sprechen, und die Notwendigkeit der Videoüberwachung, um diese Zwecke zu erreichen.
Der Autor Dr. Carlo Piltz ist Salary Partner bei reuschlaw Legal Consultants in Berlin und ist Teamleader für den Bereich Cybersecurity und Datenschutz. Er berät mittlere und große Unternehmen aus Industrie und Handel im nationalen und internationalen Datenschutzrecht und im IT-Recht.
BVerwG zur Videoüberwachung in einer Praxis: . In: Legal Tribune Online, 28.03.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/34631 (abgerufen am: 25.11.2024 )
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