2/2: Sind die Klagen dieses Mal zulässig?
Schon die Analyse der Daten hält Härting für einen Grundrechtseingriff. Er stützt sich dabei auch auf zwei Entscheidungen des BVerwG, die beide negativ ausgingen. Im Urteil zur Kennzeichenerfassung in Bayern aus dem Jahr 2014 hatten die Leipziger Richter einen Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht des Klägers abgelehnt, da die Kennzeichen-Daten sofort gelöscht würden, sobald ein Abgleich mit Fahndungslisten ohne Ergebnis durchgeführt worden sei. Ebendiese Anonymität besteht nach Ansicht von ROG und Härting bei der Software VerAS gerade nicht: "Bei der Analyse wird nichts anonymisiert, auch Deutsche sind großflächig betroffen", so Härting.
Nach seiner Überzeugung sind sowohl der ROG als auch er selbst als Anwalt mit viel Kommunikation mit ausländischen Mandaten höchstwahrscheinlich betroffen. Am mangelnden Nachweis persönlicher Betroffenheit war Härtings frühere Klage 2014 gescheitert.
Allerdings gab es zwischenzeitlich, im Juni 2016, eine andere, wenn auch noch nicht im Ergebnis anders lautende Entscheidung: Die Klage eines Linke-Abgeordneten auf Auskunft darüber, ob und in welchem Umfang der BND seine personenbezogenen Daten an die NSA weitergegeben habe, wies das BVerwG zwar ab. Die Begründung, dass das Geheimhaltungsinteresse in der Regel Vorrang habe, wenn die Auskunft nicht zur Vermeidung gewichtiger Nachteile nötig sei, war aber eine Entscheidung in der Sache. Der Senat leitete einen Auskunftsanspruch unmittelbar aus dem Grundrecht auf Selbstbestimmung ab.
Jeder kennt jeden um sechs Ecken – höchstens
Wenn ROG und er die Zulässigkeitshürde ebenfalls nehmen, wird das BVerwG ihre Klagen auch als begründet ansehen, ist Härting überzeugt: "Für eine Analyse von TK-Daten deutscher Bürger gibt es weder im G10-Gesetz noch sonstwo eine Rechtsgrundlage".
Am Mittwoch will das erst- und letztinstanzlich für das Verfahren zuständige oberste deutsche Verwaltungsgericht aber zunächst einmal nur über die Zulässigkeit der Klagen verhandeln – nicht unbedingt ein gutes Zeichen. Zum Zeitpunkt der Terminierung lag den Richtern allerdings auch noch nicht das Rechtsgutachten des BND vor, das die Funktionsweise von VerAS und die Analyse von Kontakten fünften, womöglich gar achten Grades durch den Nachrichtendienst offenlegt.
Jeder kennt übrigens jeden über sechs Ecken, davon gehen Forscher seit Jahrzehnten aus. Zuletzt 2003 bestätigten Tests diese Annahme. Laut einer aktuellen Veröffentlichung des weltweit größten sozialen Netzwerks Facebook aus dem Jahr 2016 sind es zumindest für dessen User im Jahr 2016 sogar nur noch 3,5 Ecken.
Pia Lorenz, Berliner Anwalt und Journalisten klagen gegen Überwachung: . In: Legal Tribune Online, 13.12.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21444 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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