Der EuGH soll über die deutsche Vorratsdatenspeicherung urteilen, das hat das BVerwG entschieden. Und zweifelt offenbar daran, dass jede anlasslose Überwachung generell unzulässig ist.
Die deutsche Vorratsdatenspeicherung wird ein Fall für den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH), das haben die Richter des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) am Mittwoch in Leipzig entschieden (Az. 6 C 12.18 u.a). Sie wollen klären lassen, ob die deutschen Vorschriften zur Vorratsdatenspeicherung gegen Unionsrecht verstoßen.
Die Vorratsdatenspeicherung erlaubt es Strafverfolgungsbehörden, auf Internet- und Telefondaten zuzugreifen, die private Telekommunikationsanbieter zu diesem Zweck auf Vorrat bereithalten müssen. Geklagt hatten dagegen zwei solche Dienstleister. Sie wenden sich gegen die ihnen durch § 113a Abs. 1 i.V.m. § 113b Telekommunikationsgesetz (TKG) auferlegte Speicherpflicht. Die im Jahr 2015 mit dem Gesetz zu "Mindestspeicherpflicht und Höchstspeicherdauer von Verkehrsdaten" eingeführte Regelung sah eigentlich vor, dass die Vorratsdatenspeicherung ab 1. Juli 2017 beginnen sollte.
Die Speicherpflicht liegt aber derzeit auf Eis, Telekommunikationsunternehmen müssen keine Verkehrsdaten auf Vorrat speichern. Dafür hatte maßgeblich die Rechtsprechung des EuGH 2016 gesorgt. In einer Grundsatzentscheidung hatten die EuGH-Richter geurteilt, dass eine allgemeine und anlasslose Speicherung von Daten unzulässig sei. Ihr stehe die e-Datenschutzrichtlinie in ihrer Interpretation nach der EU-Grundrechtecharta entgegen. Ausnahmen könnten die Mitgliedstaaten vorsehen, der EuGH beschränkte diese Möglichkeit aber auf die Bekämpfung schwerer Straftaten. Schon die Speicherung sei auf das unbedingt Notwendige zu begrenzen, der Zugang der Sicherheitsbehörden in den Ausnahmefällen von einer gerichtlichen Kontrolle abhängig zu machen.
Daraufhin entschied das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster 2017, die deutsche pauschale Speicherpflicht widerspreche den EuGH-Vorgaben zum Datenschutz. Geklagt hatte der Internetprovider SpaceNet AG. Im Anschluss an die Entscheidung setzte die zuständige Bundesnetzagentur die Pflicht zur Vorratsdatenspeicherung für Telekommunikationsanbieter aus. Das Verwaltungsgericht (VG) Köln hat mit einer Entscheidung aus 2018 die Deutsche Telekom von der Speicherpflicht befreit. Die Sprungrevision zum Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) war wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.
Ist die deutsche VDS wie die britische und die schwedische?
Der EuGH hatte 2016 allerdings nicht über die deutsche Variante der Vorratsdatenspeicherung entschieden, sondern über die Modelle aus Großbritannien und Schweden. Das BVerwG, das am Mittwoch mündlich verhandelte, muss vor allem klären, ob die deutschen Regelungen den britischen und schwedischen so ähnlich sind, dass sich die Aussagen des EuGH bruchlos übertragen lassen. Und daran haben die Leipziger Richter offenbar Zweifel. So sei der Kreis der von der Speicherpflicht erfassten Kommunikationsmittel und die Speicherdauer gegenüber den schwedischen und britischen Regelungen in der deutschen Variante reduziert, heißt es in einer Mitteilung des Gerichts. Ferner enthielten die deutschen Regelungen strenge Beschränkungen für den Schutz der gespeicherten Daten.
Außerdem bestehe angesichts des mit den neuen Telekommunikationsmitteln verbundenen spezifischen Gefahrenpotenzials ein Spannungsverhältnis zwischen den in den Art. 7 und 8 Grundrechtecharta verankerten Grundrechten auf Achtung der Privatsphäre sowie auf Schutz personenbezogener Daten einerseits und der aus Art. 6 der Charta folgenden Pflicht der Mitgliedstaaten andererseits, die Sicherheit ihrer Bürger zu gewährleisten.
Ein ausnahmsloses Verbot der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung würde den nationalen Gesetzgebern auf dem Gebiet der Strafverfolgung und der Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit – immerhin Kernkompetenzen der Nationalstaaten – erheblich einschränken, heißt es in der Mitteilung des Gerichts.
BVerwG hält Ausnahmen für möglich
Dieses Argument hatte übrigens auch die britische Regierung für ihre Geheimdienste in einem weiteren Vorratsdatenspeicherungs-Verfahren vor dem EuGH Anfang September 2019 vorgebracht. Auch sie hatte, wie nun offenbar das BVerwG, argumentiert, dass sich auch aus der neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 8 der Menschenrechtskonvention Anhaltspunkte ergeben, die pro Sicherheitskompetenzen der Nationalstaaten streiten. Nicht zuletzt machen die Richter des BVerwG laut ihrer Mitteilung auch deutlich, dass Zweifel daran bestehen könnten, dass die Grundsatzentscheidung des EuGH 2016 als ein generelles Verbot der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung in Europa verstanden werden muss. Möglicherweise komme es für Ausnahmen auch auf die Erheblichkeit der zu bekämpfenden Gefahren an sowie auf eine angemessene "Kompensation" durch restriktiven Zugriff und hohe Sicherheitsanforderungen. Die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung könnte also allein von ihrer Ausgestaltung abhängen.
Sicherheitspolitiker und Polizeibehörden fordern immer wieder die Speicherung von Verbindungsdaten, um etwa Terroranschläge verhindern oder Kinderpornografie bekämpfen zu können. Kritiker halten die massiven Grundrechtseingriffe dagegen und bezweifeln den Nutzen. "Wir sind überzeugt, dass wir damit nicht ein Mehr an Sicherheit erreichen würden", sagt Oliver Süme, Vorstand des Verbandes der deutschen Internetwirtschaft (eco) der Deutschen Presseagentur. Es gebe mildere Mittel – etwa in konkreten Verdachtsfällen die Daten sichern zu lassen.
"Jetzt wird endlich der Europäische Gerichtshof Klarheit schaffen und über die Zulässigkeit der Vorratsdatenspeicherung in Deutschland abschließend entscheiden", sagte der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Stephan Thomae. Schon die bisherige EuGH-Rechtsprechung hätte die Bundesregierung seines Erachtens veranlassen müssen, Alternativen zu suchen. "Denkbar wäre eine anlassbezogene, begrenzte Speicherung von Telekommunikationsdaten zur Aufklärung von Straftaten oder Abwehr konkreter Gefahren, das sogenannte Quick-Freeze-Verfahren."
Die VDS liegt auch in Karlsruhe
Auch beim Bundesverfassungsgericht liegen Beschwerden gegen die Vorratsdatenspeicherung. Die Verfassungsrichter haben die Beschwerdeführer bereits Anfang 2018 darauf hingewiesen, dass es für das juristische Schicksal der Vorratsdatenspeicherung neben dem Grundgesetz als Maßstab insbesondere auf die Vorgaben aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof ankommen dürfte. Im Entscheidungsplan des BVerfG ist die Vorratsdatenspeicherung für dieses Jahr noch angesetzt. Ob die Karlsruher Richter aber noch 2019 oder jedenfalls früh im kommenden Jahr eine Entscheidung in der Sache treffen werden, darf bezweifelt werden.
Derweil suchen ungeachtet des rechtlichen Schicksals der bisherigen Modelle die Justizminister auf europäischer Ebene bereits nach einer neuen tragfähigen Regelung für die Vorratsdatenspeicherung . Sie haben die EU-Kommission in Brüssel beauftragt, eine neue Lösung zu finden.
Dazu soll bis Ende 2019 eine "umfassende Studie" durchgeführt werden. Die Idee: Statt einer pauschalen Speicherpflicht sollen mit breitem Ansatz spezifische Daten aufgelistet werden, deren Speicherung sich Strafverfolger von den Anbietern wünschen. Neben den klassischen Providern könnten dann nach den Plänen auch Social-Media-Anbieter wie z.B. Facebook zur Speicherung auf Vorrat verpflichtet werden.
BVerwG legt Vorratsdatenspeicherung EuGH vor: . In: Legal Tribune Online, 25.09.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/37845 (abgerufen am: 31.10.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag