Brandenburger Feuerwehrleuten steht nach einem Urteil des BVerwG nachträgliche Vergütung für Mehrarbeit zu. Die Entscheidung rückt Fragen nach der Zulässigkeit von Überstunden auch für die Privatwirtschaft erneut ins Blickfeld.
Die Brandenburgische Arbeitszeitverordnung Polizei, Feuerwehr, Justizvollzug ("BbgAZVPFJ") verstößt gegen die EU-Arbeitszeitrichtlinie (RL 2003/88/EG v. 4. November 2003). Das hat am Donnerstag das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) entschieden und einem Feuerwehrbeamten auch in dritter Instanz überwiegend Recht gegeben (Urt. v. 21.07.2017, Az. BVerwG 2 C 31.16 – BVerwG 2 C 44.16).
Zwar hat es die Entscheidungen der Vorinstanzen aufgehoben, die Klagen teilweise - für Zeiträume vor Geltendmachung der Ansprüche - abgewiesen und die Sachen zurückverwiesen. Allerdings hat es einen Haftungsanspruch dem Grunde nach bejaht, weil die sogenannten "Opt-Out-Regelung" in der brandenburgischen Verordnung, nach denen mehr als die eigentlich maximal vorgesehenen 48 Arbeitsstunden pro Woche vereinbart werden können, gegen Unionsrecht verstoße. Den Verstoß hat das BVerwG mit der Nichtbeachtung des Nachteilsverbots begründet. Die Entscheidung der obersten Verwaltungsrichter in Leipzig dürfte aber auch Signalwirkung für die Privatwirtschaft haben, in der regelmäßig eine Reform des als nicht mehr zeitgemäß empfundenen Arbeitszeitrechts gefordert wird.
Der Sachverhalt ist schnell erzählt: Der klagende Feuerwehrmann forderte Geld für geleistete Mehrarbeit. Er argumentierte, eine Überschreitung der durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit von 48 Stunden (vgl. Art. 6 EU-Arbeitszeitrichtlinie) könne nur angeordnet werden, wenn zugleich die Vorgaben aus Brüssel eingehalten würden.
Brandenburger Verordnung berücksichtigte das Nachteilsverbot nicht
Die brandenburgische Regel (vgl. § 21 BbgAZVPFJ a.F.) setze diese aber nicht ausreichend um, weil sie die Voraussetzungen der EU-Arbeitszeitrichtlinie nicht beachte; sie sei daher unionsrechtswidrig. Die zu viel gearbeiteten Stunden seien entsprechend zu bezahlen. Das BVerwG gab ihm im Wesentlichen Recht. Wenn keine Kompensation durch Freizeitausgleich stattfinde, seien diese Stunden zu bezahlen. Das Bundesland Brandenburg hatte die Vorschrift (vgl. § 21 BbgAZVPFJ) schon nach einem gleichlautenden Urteil des VG Cottbus (v. 28.02.2013, Az. VG 5 K 914/11) geändert.
Die EU-Arbeitszeitrichtlinie sieht in Art. 6 eine maximale durchschnittliche Wochenarbeitszeit von 48 Stunden vor (vgl. Art. 6 EU-Arbeitszeitrichtlinie). Von dieser Vorgabe kann im Wege einer Opt-Out-Option nur unter bestimmten Voraussetzungen abgewichen werden. Mehrarbeit über die 48 Stunden hinaus darf nur angeordnet werden, wenn der Sicherheits- und Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer gewährleistet wird, der Arbeitnehmer zustimmt und ihm bei einer Ablehnung keine Nachteile entstehen (vgl. Art. 22 EU-Arbeitszeitrichtlinie). Diese Vorgaben gelten sowohl für den öffentlichen Dienst als auch für die Privatwirtschaft.
Im Bereich des öffentlichen Dienstes bestehen verschiedene Arbeitszeitverordnungen: Im Gegensatz zu den Regelungen in Brandenburg (BbgAZVPFJ a.F.) enthalten die Verordnung über die Arbeitszeit von Beamtinnen und Beamten des Bundes (vgl. § 13 AZV Bund) sowie die bayerische Arbeitszeitverordnung (vgl. § 4 Abs. (2) Satz 1 BayAzV) entsprechende Voraussetzungen und verstoßen damit nicht gegen EU-Recht.
Arbeitszeitgesetz nicht europarechtskonform?
Für die Privatwirtschaft sind die Vorgaben aus Brüssel einheitlich im Arbeitszeitgesetz ("ArbZG") umgesetzt. Dabei steht den Tarifvertrags- bzw. Betriebsparteien offen, von bestimmten Vorgaben abzuweichen (vgl. § 7 ArbZG) – es gilt insoweit eine Angemessenheitsvermutung. Auch für die maximale Wochenarbeitszeit besteht eine Opt-Out-Option: In einem Tarifvertrag oder einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung auf Grundlage eines Tarifvertrags kann die Arbeitszeit pro Werktag auch ohne Ausgleich auf mehr als acht Stunden verlängert werden (vgl. § 7 Abs. (2a) ArbZG).
Vielfach wird die Regelung als europarechtswidrig angesehen: Der Staat dürfe die Einhaltung der Vorgaben der EU-Arbeitszeitrichtlinie (insbesondere Sicherheits- und Gesundheitsschutz) nicht an die Tarifvertragsparteien delegieren. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat sich dazu bislang nicht geäußert (vgl. BAG v. 23.06.2010, Az. 10 AZR 543/09). Nach einem Bericht der EU-Kommission stehen aber auch andere EU-Länder im Verdacht, die Vorgaben der EU-Arbeitszeitrichtlinie nicht korrekt umgesetzt zu haben, als sie von der Opt-Out-Option Gebrauch gemacht haben (vgl. Bericht der Kommission über die Durchführung der RL 2003/88/EG in den Mitgliedstaaten, KOM(2010) 802 endgültig, S. 8 f.).
2/2: Opt-Out-Option wird in deutscher Privatwirtschaft selten genutzt
Die Opt-Out-Option wird in Deutschland allerdings selten genutzt. Ein Grund dafür könnte die mögliche Europarechtswidrigkeit der entsprechenden Regelung sein – bei unwirksamer, weil rechtswidriger Anordnung von Mehrarbeit müsste diese ggf. nachträglich vergütet werden. Auch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales stellt diese Zurückhaltung in seinem Weißbuch Arbeiten 4.0 fest und macht dafür die sinkende Tarifbindung sowie die Vielzahl der Arbeitnehmer, die von derartigen Gestaltungsansätzen nicht erfasst sind, verantwortlich.
Das ist problematisch, könnten doch die in der modernen Arbeitswelt bestehenden divergierenden Interessen auf diese Weise gut austariert werden. Hier stehen sich die Gefahren von Entgrenzung der Arbeit und Überforderung der Arbeitnehmer einerseits sowie der Wunsch der Arbeitnehmer nach mehr zeitlicher Flexibilität und Selbstbestimmung andererseits gegenüber.
Vereinbarungen der Sozialpartner sind zwar wünschenswert, weil sie helfen, diesen Konflikt zu befrieden. Dies wäre allerdings nicht mehr als ein Workaround. Besser wäre es, gleich die für alle geltende gesetzliche Basis zu modernisieren. Aktuell ist das ArbZG das Gesetz, gegen das wohl am häufigsten verstoßen wird. Der Grund: Die Regelungen sind gerade vor dem Hintergrund der modernen Arbeitswelt nicht mehr zeitgemäß. Experten fordern deshalb eine Reform: weg von Regelung der Arbeitszeit pro Werktag hin zu einer - auch europarechtlich geltenden - Arbeitszeit pro Woche.
Verstöße gegen ArbZG können strafrechtliche Folgen haben
Leider gehen viele Arbeitgeber davon aus, dass Verstöße ohne Konsequenzen blieben. Das ist ein Trugschluss: Bei einer Überschreitung der werktäglichen Arbeitszeit von acht Stunden (vgl. § 3 ArbZG) drohen Geldbußen von bis zu 15.000 Euro (vgl. § 22 Abs. (2), (1) Nr. 1 ArbZG). Noch gravierender sind die Sanktionen, wenn der Verstoß Gesundheit oder Arbeitskraft von Arbeitnehmern gefährdet. Dann drohen sogar strafrechtliche Konsequenzen: Bei Vorsatz kommt eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe in Betracht (vgl. § 23 Abs. (1) ArbZG), bei Fahrlässigkeit eine Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten und eine Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen (vgl. § 23 Abs. (2) ArbZG) - dies erschiene daher als Vorstrafe im polizeilichen Führungszeugnis. Als "Täter" kommen neben dem Arbeitgeber – Geschäftsführer und Vorstandsmitglieder - auch Prokuristen und verantwortliche Abteilungs- oder Betriebsleiter sowie leitende Angestellte in Betracht, wenn sie von der Geschäftsführung oder dem Vorstand beauftragt wurden.
Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz stellen aber auch eine arbeitsrechtliche Pflichtverletzung dar: Arbeitnehmer haben in einem solchen Fall einen Erfüllungsanspruch und das Recht, die Leistung zu verweigern. Außerdem stehen ihn Schadensersatzansprüche zu. Im Ergebnis lohnt es sich deshalb für alle Arbeitgeber, die Vorgaben des ArbZG einzuhalten und Reformvorhaben zu unterstützen.
Dr. Silvia Lang ist Senior Associate bei Hogan Lovells in München, Dr. Nadine Kramer ist Senior Associate bei Hogan Lovells in Frankfurt. Beide Autorinnen sind Fachanwältinnen für Arbeitsrecht und beraten Mandanten schwerpunktmäßig in allen Fragen des Arbeitsrechts.
Dr. Silvia Lang und Dr. Nadine Kramer, EU-Arbeitszeitrichtlinie: Mehr Geld für Feuerwehrleute! Und auch für andere Arbeitnehmer? . In: Legal Tribune Online, 21.07.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23551/ (abgerufen am: 01.07.2024 )
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