Asylanträge von Ausländern, die in einem anderen Land einen Schutzstatus bekommen haben, sind schon unzulässig. Das gilt nach dem BVerwG aber nur dann, wenn die VG keine Zweifel am Ablauf der Verfahren haben, erklärt Marcel Keienborg.
Mit dem Integrationsgesetz hat der Gesetzgeber 2016 nicht nur, wie der Name vermuten lassen könnte, die Integration von Flüchtlingen neu geregelt, sondern auch das Asylverfahren selbst wurde tiefgreifenden Änderungen unterworfen. Insbesondere wurden die §§ 29 und 37 des Asylgesetzes (AsylG) neu gefasst. § 29 AsylG regelte bis dahin "unbeachtliche" Asylanträge. Die Norm betraf die äußerst seltenen Fälle, dass Schutzsuchende schon in einem Land außerhalb der EU "offensichtlich" sicher vor Verfolgung waren und dieses Land auch bereit war, sie aufzunehmen.
Der Gesetzgeber hatte diese Vorschrift so eng ausgestaltet, dass sie praktisch kaum relevant war. So musste das Asylverfahren fortgeführt werden, wenn die Abschiebung in den Drittstaat nicht innerhalb von drei Monaten möglich war; zudem bestimmte § 37 Abs. 1 AsylG in der damals gültigen Fassung, dass das Asylverfahren auch dann fortzuführen war, wenn ein Verwaltungsgericht (VG) vorläufigen Rechtsschutz gewährte.
Kein Asylantrag ist mehr "unbeachtlich"
Seit Inkrafttreten des Integrationsgesetzes kennt das AsylG den Begriff der "unbeachtlichen" Asylanträge nicht mehr. § 29 AsylG regelt nunmehr fünf Fallgruppen, in denen Asylanträge "unzulässig" sind. Das AsylG kannte den Begriff der Unzulässigkeit bis dahin nur im Zusammenhang mit der Dublin-III-Verordnung, also in Fällen, in denen nicht Deutschland, sondern ein anderer (i.d.R. EU-)Staat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig war.
Mit der Neufassung regelt § 29 AsylG auch Fälle, in denen in Deutschland kein Asylverfahren mehr durchzuführen ist, weil die Person bereits in einem anderen Land sicher vor Verfolgung war (§ 29 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 AsylG). Bekam der Ausländer in einem anderen EU-Staat einen Schutzstatus, ist ein Asylantrag nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG bereits unzulässig. Das sollte auch für den Antrag eines Syrers gelten, dessen Fall am Dienstag vom Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) entschiedenen wurde: Er hatte in Griechenland Flüchtlingsschutz bekommen.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) lehnte seinen Asylantrag als unzulässig ab und drohte ihm die Abschiebung nach Griechenland an. Die Klage hatte keine aufschiebende Wirkung, der Kläger stellte daher einen Eilantrag beim Verwaltungsgericht (VG) Gießen, dem stattgegeben wurde.
Redaktionsversehen oder gesetzgeberischer Plan?
An dieser Stelle kommt die Neufassung des § 37 Abs. 1 AsylG ins Spiel. Die Vorschrift bestimmt dem durch das Integrationgesetz neugefassten Wortlaut nach eindeutig, dass jetzt auch in den Fällen des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG die Entscheidung des BAMF über die Unzulässigkeit des Asylantrages und die Abschiebungsandrohung unwirksam werden, wenn ein Verwaltungsgericht vorläufigen Rechtsschutz gewährt. Das BAMF hat das Asylverfahren fortzuführen. Das VG wandte die Vorschrift auf diesen Fall an und stellte in seinem Urteil fest, dass Unzulässigkeitsentscheidung und Ablehnungsandrohung unwirksam geworden waren. Das BAMF hat dieses Urteil nun im Wege einer sogenannten Sprungrevision vor das BVerwG gebracht, welches die Revision zurückwies und damit das Urteil des VG bestätigte (Urt. v. 15.01.2019, Az. 1 C 15.18).
Das BAMF meint, es handele sich um ein Redaktionsversehen des Gesetzgebers, dass die Rechtsfolge des § 37 Abs. 1 AsylG, die früher nur für die äußerst seltenen Fälle einer Unbeachtlichkeit eines Asylantrages betraf, auch auf die sehr viel häufigeren Fälle – auch wegen der erweiterten Fallkonstellationen - des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG erstreckt wurde. Hierfür konnte das BVerwG in den Gesetzesmaterialien jedoch keine Anhaltspunkte erkennen.
Darüber hinaus wollte das BAMF die Vorschrift offenbar auch teleologisch reduzieren, auch dieser Idee folgte das BVerwG nicht. Vielmehr dienten die §§ 35 ff. AsylG "der beschleunigten Aufenthaltsbeendigung bei anderweitiger Verfolgungssicherheit". Gebe ein VG einem Eilantrag wegen ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Entscheidung statt, so müsse das BAMF eben das Asylverfahren fortführen und erneut über den Asylantrag entscheiden. Es müsse sich dabei mit den Zweifeln des Gerichts auseinandersetzen, sei aber nicht an die Bewertung des Gerichts gebunden. Ausdrücklich räumt das BVerwG dem BAMF die Möglichkeit ein, einen Asylantrag erneut als unzulässig abzulehnen.
Das BVerwG sieht freilich die Gefahr, dass dieses Vorgehen in eine Art "Endlosschleife" führen könnten. Das könne indes verhindert werden, gab das BVerwG dem BAMF mit, indem es etwa eine Unzulässigkeitsentscheidung ohne Abschiebungsandrohung erlasse oder den Vollzug der Abschiebungsandrohung nach § 80 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) aussetze.
Eigenwilliger Weg des BAMF beendet
Tatsächlich erscheint die Vorschrift des § 37 Abs. 1 AsylG kurios. Wird doch Jurastudenten in der Vorlesung zum Verwaltungsprozessrecht eingeschärft, dass der vorläufige Rechtsschutz nur in besonderen Ausnahmefällen die Hauptsache vorwegnehmen darf, so macht § 37 Abs. 1 AsylG für die von dieser Vorschrift umfassten Fälle die Ausnahme zur Regel. Man kann sich tatsächlich fragen, ob das in dieser Form die Absicht des Gesetzgebers war.
Das BAMF hat sich für einen etwas eigenwilligen Weg entschieden, dieses Problem zu umgehen: Entgegen dem Wortlaut des § 36 Abs. 1 AsylG, der den weiteren Verfahrensablauf bei Unzulässigkeit oder offensichtlicher Unbegründetheit regelt, setzt das BAMF den Betroffenen in seinen Abschiebungsandrohungen keine Ausreisefrist von einer Woche, sondern von 30 Tagen. Damit liegt nach der Auffassung des BAMF ein Fall des § 38 Abs. 1 AsylG, der die Fristen zur Ausreise regelt, so dass in der Folge eine Klage gemäß § 75 Abs. 1 AsylG kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung haben soll. Damit, so das Kalkül, ist ein Eilantrag aber bereits unzulässig. Ob diese Praxis des BAMF rechtmäßig ist, war in der Rechtsprechung bisher äußerst umstritten.
Das BVerwG erteilt dieser Praxis eine recht deutliche Absage. Sie stehe "objektiv nicht im Einklang mit dem Asylgesetz". Dabei bleibt aber unklar, was das jetzt genau für die Betroffenen bedeutet, denn um in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren die Aufhebung eines Verwaltungsaktes zu erwirken, genügt es ja nicht, dass ein Verwaltungsakt objektiv rechtswidrig ist, sondern er muss ja auch gemäß § 113 Abs. 1 VwGO den Kläger "in seinen Rechten" (subjektiv) verletzen. Hierzu schweigt sich die Pressemitteilung leider aus, insoweit bleibt abzuwarten, ob die schriftlichen Urteilsgründe ergiebiger sein werden.
BVerwG zu unzulässigen Asylanträgen: . In: Legal Tribune Online, 16.01.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/33263 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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