374 Euro im Monat für einen Erwachsenen. 7, 16 Euro pro Tag für ein Kind. Das sind die deutschen Hartz-IV-Sätze. Ob das ausreicht für ein menschenwürdiges Leben, ist fraglich. Viele Menschen in Deutschland müssen allerdings mit noch viel weniger auskommen: Asylbewerber. Matthias Lehnert hält das für verfassungswidrig und erwartet, dass das BVerfG ihn darin bestätigen wird.
Das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylblG) gewährt Volljährigen knapp 225 Euro monatlich. Kinder und Jugendliche erhalten je nach Alter zwischen 133 und 200 Euro. Unter das Gesetz fallen nicht nur Asylbewerber, sondern auch Menschen, die nicht abgeschoben werden können, etwa weil sie schwer krank sind oder keinen Pass haben, sowie Kriegsflüchtlinge.
In einigen Bundesländern gewähren die Behörden Sachleistungen, etwa Essenspakete oder Kleidung. Manche Asylbewerber müssen in Gemeinschaftsunterkünften, bisweilen mit mehreren fremden Personen auf einem Zimmer, wohnen.
Hartz IV-Urteil als Maßstab
Nicht zuletzt seit dem Hartz IV-Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vor zwei Jahren kritisieren viele Experten von Nichtregierungsorganisationen wie Pro Asyl die Verfassungsmäßigkeit des AsylblG. Damals stellten die Richter fest, dass die Menschenwürdegarantie ein Existenzminimum fordere. Die Höhe der Sozialleistungen müsse außerdem in einem transparenten und sachgerechten Verfahren berechnet werden.
Als die Abgeordneten des Bundestags 1992 die Höhe der Leistungen des AsylblG ausrechneten, überprüften sie nicht, ob das Geld zum Leben ausreicht. Sie berechneten allein, wie viel sie im Staatshaushalt einsparen konnten. Die Bundesregierung hat die Leistungen seit 1992 auch nie angehoben, obwohl das Gesetz dies ausdrücklich vorsieht.
Allerdings ist nicht nur die Berechnung der Leistungen verfassungswidrig, sondern auch die Ungleichbehandlung der Asylbewerber gegenüber den Empfängern der regulären Sozialleistungen. Denn der Staat muss ein menschenwürdiges Existenzminimum gewährleisten. Das BVerfG hatte dieses Grundrecht im Hartz IV-Urteil auf das Sozialstaatsprinzip aus Art. 20 Grundgesetz (GG) i.V.m. der Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 GG gestützt. Ohne Zweifel gilt dieses Grundrecht gegenüber allen Menschen gleichermaßen. Die Legislative kann und darf keine zwei Standards für die Menschenwürde schaffen.
Kein Grund zur Sonderbehandlung
Die Leistungen können allenfalls dann voneinander abweichen, wenn auch die Bedürfnisse der Menschen unterschiedlich sind. Essen, Kleidung und Hygieneartikel kosten aber für alle Menschen gleich viel. Es ist daher zu bezweifeln, dass ein Asylbewerber weniger Geld braucht als ein Hartz-IV-Empfänger.
Was kulturelle und soziale Aktivitäten sowie den Zugang zu Informationen etwa durch den Kauf von Zeitungen betrifft, hatte der Gesetzgeber 1992 argumentiert, dass sich Asylbewerber ja nur vorübergehend in Deutschland aufhielten. "Soziokulturelle Teilhabe" sei deshalb für sie nicht erforderlich und Geld für Freizeitaktivitäten müsse der Staat nicht zahlen. Tatsächlich leben mehr als 60 Prozent der Betroffenen seit mehr als sechs Jahren in Deutschland.
Aber auch bei einem kürzeren Aufenthalt muss Flüchtlingen ein Sozialleben ermöglicht werden. In vielen Fällen brauchen sie sogar mehr Geld als Sozialhilfeempfänger: für Telefonate zu ihren Angehörigen im Ausland oder für Fahrten in die nächstgelegene Stadt, zum Arzt oder zur Ausländerbehörde, wenn sie in einer der vielen abgelegenen Gemeinschaftsunterkünften leben.
Auch das Argument aus der Gesetzesbegründung, man wolle künftige Einwanderer abschrecken, überzeugt nicht: Denn bekanntlich ist die Menschenwürde unantastbar.
"Ins Auge stechende Differenz"
Es hat lange gedauert, bis das AsylbG vor dem BVerfG gelandet ist. Nun hat es das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen vorgelegt, das die Leistungen für "evident unzureichend" hält.
Dass die Karlsruher Richter dies ähnlich sehen, haben sie in der mündlichen Verhandlung bereits deutlich gemacht. Richter Ferdinand Kirchhof kritisierte die "ins Auge stechende Differenz" gegenüber den Hartz IV-Sätzen.
Aus dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales hieß es, dass man das Gesetz bereits überarbeite. Allerdings hatte die Bundesregierung bereits 2010 eine Überprüfung angekündigt, seitdem ist nichts geschehen. Vielleicht bringt das Urteil des BVerfG, das noch im Sommer zu erwarten ist, etwas Schwung in den Gesetzgebungsprozess.
Matthias Lehnert war bis 2011 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Öffentliches Recht und Politik der Universität Münster sowie ebenfalls in Münster über mehrere Jahre in einer Flüchtlingsberatungsstelle tätig. Er steht kurz vor dem Abschluss seiner Promotion im europäischen Migrationsrecht.
BVerfG verhandelt über Geld für Asylbewerber: . In: Legal Tribune Online, 21.06.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/6443 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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