Die gesetzliche Regelung zur Verständigung in Strafverfahren ist gerade noch verfassungsgemäß. Allerdings sieht das BVerfG ein Vollzugsdefizit in der Praxis. Gesetzgeber, Staatsanwaltschaften und Rechtsmittelgerichte müssen nun penibel darauf achten, festgestellte informelle und gesetzwidrige Absprachen soweit wie möglich zu unterbinden. Von Pia Lorenz und Martin W. Huff.
Es ist doch anders gekommen, als viele vermutet haben. Der 2. Senat des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) hat die seit 2009 geltende und von jeher umstrittene Regelung für die Absprachen in Strafverfahren, insbesondere den § 257c Strafprozessordnung (StPO), nicht als verfassungswidrig angesehen. Allerdings hoben die Karlsruher Richter drei Verurteilungen, die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen worden waren (Urt. v. 19.03.2013, Az. 2 BvR 2628/10, 2883/10 und 2155/11) auf und verwiesen die Verfahren zur Verhandlung an die Landgerichte in Bayern und Berlin zurück.
Nun müssen die Gerichte noch einmal prüfen, ob die Absprachen, die in diesen Verfahren getroffen worden waren, den gesetzlichen Anforderungen genügen. Der 2. Senat hat daran deutliche Zweifel. Die Richter stellten am Dienstag klar, dass alle Formen der informellen Absprachen, die sich nicht an die gesetzlichen Vorgaben halten, unzulässig sind und verlangen deutliche Änderungen.
In der mündlichen Verhandlung am 7. November 2012 war deutlich geworden, dass nicht in allen Fällen eindeutig war, ob der Feststellung der Schuld durch das Tatgericht ein in sich stimmiges Geständnis des Angeklagten zugrunde lag. Vor allem ein bloßes Formalgeständnis und eine unzulässige Verständigung über den Schuldspruch kritisierten die Karlsruher Richter.
§ 257c StPO ist nicht verfassungswidrig
In ihrer Begründung legen sie dar, dass es dem Gesetzgeber grundsätzlich erlaubt war, Regelungen für Absprachen in Strafverfahren zu schaffen. In der Regelung des § 257c StPO, die insbesondere den Grundsatz wahre, dass das Gericht von der Schuld des Angeklagten überzeugt sein muss, sieht der Senat die Rechte aller Beteiligten genügend berücksichtigt.
Auch den Grundsatz der Amtsermittlung durch das Gericht beachte die Vorschrift ausreichend, so der 2. Senat. Insgesamt stelle die Regelung, auch mit ihrer Pflicht, Absprachen in der Hauptverhandlung öffentlich zu machen, eine rechtsstaatlich zulässige Vereinfachungsregelung dar, die nicht gegen das Grundgesetz verstoße.
Die Verfassungsrichter sehen zwar, insbesondere nach der empirischen Untersuchung von Professor Dr. Karsten Altenhain (Universität Düsseldorf), dass es ein Vollzugsdefizit in der gerichtlichen Praxis gibt, für das ihrer Ansicht nach alle Beteiligten die Verantwortung tragen.
Aber: Es handelt sich dabei – noch - nicht um ein sogenanntes strukturelles Normdefizit. Ein solches im Gesetz angelegtes Problem des Vollzugs des Gesetzes würde zu seiner Verfassungswidrigkeit führen. Ohne ein solches aber können – auch wenn es sich manche Strafrechtler anders wünschten – die Vorschriften nicht, auch nicht teilweise und für die Zukunft, aufgehoben werden, begründet der Senat seine Entscheidung.
Regeln einhalten oder aufgehoben werden – und das ganz fix
Allerdings gibt der Senat der strafrechtlichen Praxis einige Grundsätze mit auf den Weg, die in der Zukunft strikt zu beachten sind. Ansonsten, so ist zwischen den Zeilen zu lesen, kann es in Zukunft doch noch Probleme mit Karlsruhe geben.
Denn wenn sich zeigt, dass die Praxis sich nicht an eine gesetzliche Regelung hält, kann das dazu führen, dass Urteile vom Verfassungsgericht wegen Verstoßes gegen verfassungsrechtliche Grundnormen, insbesondere gegen das Schuldprinzip aufgehoben werden. Das könnten zukünftig sogar kurz und knapp die Kammern beim 2. Senat erledigen, weil dieser mit seinem Urteil vom Dienstag die Grundsätze festgelegt hat. Die Kammern des Karlsruher Gerichts, die oftmals rasch entscheiden, müssen daher zukünftig nur noch umsetzen.
Der Senat macht sehr deutlich, dass die einzelnen Schritte zu einer Absprache, wie sie seit 2009 in der Strafprozessordnung stehen, penibel einzuhalten sind. So darf es keine "Gesamtlösungen" mehr geben, also zum Beispiel die Einbeziehung abgetrennter Verfahren nach § 154 StPO, sondern es darf nur über den Gegenstand der Anklage gesprochen werden. Die Dokumentationspflichten müssen genau eingehalten werden und auch die Überzeugung des Gerichts von der Schuld des Angeklagten muss feststehen. Insbesondere notwendige Beweiserhebungen müsse das Gericht auch in Zukunft durchführen, gerade dann, wenn ein Geständnis Fragen offen lässt.
Staatsanwaltschaften und der BGH in der Pflicht
In der Verantwortung für die Einhaltung dieser Regelungen sieht das Gericht die Staatsanwaltschaften und die Rechtsmittelgerichte, also insbesondere den Bundesgerichtshof (BGH). Jedem Staatsanwalt sei es verboten, an rechtswidrigen Absprachen mitzuwirken. Sobald es leise Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Deals gebe, sehen die Richter die Ankläger in der Pflicht, Rechtsmittel einzulegen, wie es heute schon Nummer 147 der Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren regelt.
Wirkt ein Staatsanwalt etwa an einer Protokollierung mit, deren Inhalt falsch ist, sehen die Richter in Karlsruhe darin eine Falschbeurkundung im Amt. Der mitwirkende Staatsanwalt kann sich also selber strafbar machen – und würde damit wohl in der Regel seinen Job verlieren.
Auch die Richter in der Rechtsmittelinstanz, also meist das Landgericht und sehr häufig der BGH, wenn die Absprache in einem landgerichtlichen Verfahren getroffen wurde, müssen genau prüfen, ob die Vorschriften eingehalten worden sind. So muss das höchste deutsche Strafgericht, was in der Vergangenheit wohl nicht immer geschah, auch prüfen, ob die getroffene Absprache auf Verstößen gegen § 257c StPO "beruht". Bejahen die BGH-Richter das, müssen sie Urteile aufheben und für eine neue mündliche Verhandlung sorgen.
Eventueller Mehrarbeit, die dadurch auf die fünf Strafsenate des BGH zukommen könnte, müssen diese sich aus verfassungsrechtlichen Gründen stellen, befindet das BVerfG.
Ein salomonisches Urteil
Insgesamt ist der 2. Senat einen sehr ausgewogenen Weg gegangen. Er hat davon abgesehen, die Regelungen als verfassungswidrig anzusehen und sie aufzuheben, nur weil es in der Praxis Vollzugsdefizite gibt.
Die Verfassungsrichter haben, wohl auch unter dem Aspekt der erst relativ kurzen Geltungsdauer des Gesetzes (die Verfassungsbeschwerden richten sich gegen Urteile, die maximal zwei Jahre nach seinem Inkrafttreten ergingen), der Versuchung widerstanden, dem Gesetzgeber – auch mit einer Übergangsfrist – vorzuschreiben, wie Neuregelungen aussehen könnten.
Alle am Strafverfahren Beteiligten sind jetzt – trotz aller Versuchungen, ein Verfahren schnell zu beenden – gehalten, genau auf die Vorschriften zu achten. Ansonsten droht die rasche Aufhebung dagegen verstoßender Urteile durch das Bundesverfassungsgericht. Damit aber wäre der Vorteil jeder Absprache zunichte gemacht. Genau lesen sollten die Entscheidung wohl vor allem die Staatsanwaltschaften. Ihre Stellung als ein Garant für ein rechtsstaatliches Verfahren betont das BVerfG besonders. Ein Appell gerade an die Behördenleitungen, sich an manchen Absprachen nicht zu beteiligen, auch wenn Gericht und Angeklagter das Verfahren gerne in bestimmter Weise beenden möchten.
Pia Lorenz ist Rechtsanwältin und Chefredakteurin der LTO, Martin W. Huff ist Rechtsanwalt und Journalist in Leverkusen.
Martin W. Huff und Pia Lorenz, Gesetz zu Deals im Strafprozess noch verfassungsgemäß: . In: Legal Tribune Online, 19.03.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8355 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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