Die Wahl der Richter des BVerfG steht wegen ihres Mangels an Transparenz und demokratischer Teilhabe in der Kritik. Nun plant die Regierung eine Reform und will den Bundestag mit abstimmen lassen. Doch die Änderungen sind kosmetischer Natur, meint Fabian Wittreck: Die tragenden Entscheidungen werden weiterhin in einem kleinen Ausschuss fallen – und ganz im Sinne von Union und SPD ausgehen.
Presseberichten zufolge haben sich Union und SPD auf eine Reform der Wahl der Richterinnen und Richter des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) geeinigt. Diese erfolgt zur Hälfte durch den Bundestag, wird dort bislang jedoch von einem eher intimen Ausschuss mit lediglich zwölf Mitgliedern getroffen. In Zukunft soll das gesamte Plenum des Parlaments an diesen eminent wichtigen Personalentscheidungen beteiligt werden – allerdings auf Grundlage einer Kandidatenliste, die der bekannte Ausschuss zuvor aufstellt. Um die allseits befürchtete "Beschädigung" der Kandidatinnen und Kandidaten zu vermeiden, soll die Wahl – analog zu der von Bundespräsident und -kanzler – zudem ohne Aussprache erfolgen.
Eine Bewertung dieses Reformvorstoßes setzt zunächst eine kurze Vergewisserung über den Status quo und dessen – kontroverse – rechtliche Bewertung voraus. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass die Reform in verfassungsrechtlicher wie verfassungspolitischer Perspektive weder Furcht noch Hoffnung auslöst: Man kann das so machen, man könnte es aber genauso gut auch bleiben lassen. Die Probleme der Wahl der Richterinnen und Richter des Bundesverfassungsgerichts liegen – wenn man denn überhaupt welche orten möchte – anderswo.
Union und SPD machen die Wahl untereinander aus
Das Grundgesetz sieht vor, dass die Mitglieder des BVerfG je zur Hälfte vom Bundestag und vom Bundesrat gewählt werden, Art. 94 Abs. 1 S. 2 Grundgesetz (GG). Das Gesetz über das Bundesverfassungsgericht (BVerfGG) buchstabiert dies näher aus: Während die Wahl durch den Bundesrat nach § 7 BVerfGG in dessen Plenum erfolgt und eine Zweidrittelmehrheit erfordert, ordnet § 6 Abs. 1 BVerfGG für den Bundestag eine indirekte Wahl durch einen besonderen Ausschuss an. § 6 Abs. 2 regelt dessen Zusammensetzung, die nach den Maximen der Verhältniswahl diejenige des Plenums möglichst spiegelbildlich reproduzieren soll (derzeit: sechs Mitglieder für die Union, vier für die SPD und je eines für Bündnis 90/Die Grünen und die Linke). Abs. 5 verlangt mit acht von zwölf Mitgliedern auch hier eine Zweidrittelmehrheit.
Interessanter als der Vergleich beider Bestimmungen untereinander dürfte derjenige mit dem tatsächlichen (Aus-)Wahlverfahren sein: Grundlage ist zunächst eine langjährige Abrede von Union und SPD, die beiden zu besetzenden Senate nach einer Art "Halbteilungsgrundsatz" unter sich aufzusplitten und die übrigen Parteien nur zu berücksichtigen, sofern dies nach der jeweils obwaltenden Koalitionsarithmetik opportun ist (derzeit also nicht). Für Bundesrat wie Bundestag (bzw. Bundestagswahlausschuss) werden sodann informelle Findungskommissionen tätig; im Kern lässt sich hier für beide Kammern während einer laufenden Legislaturperiode jeweils ein Ansprechpartner benennen, der das Meinungsbild seiner Partei bündelt und gegenüber dem Partner dieser speziellen großen Koalition (neudeutsch) "kommuniziert". Vor diesem Hintergrund wird man der Regelung des § 6 BVerfGG gerade im Vergleich zu § 7 BVerfGG noch einen gewissen Ehrlichkeitsbonus konzedieren müssen.
Auswahl der eigenen Kontrolleure ureigene Aufgabe des Parlaments?
Gleichwohl zählt § 6 BVerfGG seit Jahren zu den Normen, die innerhalb der Staatsrechtslehre intensiv debattiert werden – unter Verfassungsjuristen rangiert das Problem gleich nach dem Prüfungsrecht des Bundespräsidenten. Namhafte Kritiker der Regelung – allen voran der amtierende Präsident des BVerfG – halten sie für verfassungswidrig, weil sich das Plenum des Parlaments der schlechthin zentralen Aufgabe der Auswahl der eigenen Kontrolleure nicht entledigen bzw. sie an einen Ausschuss delegieren dürfe.
Nicht weniger namhafte Verteidiger halten genau dies sehr wohl für möglich und verweisen auf die bewährte Vertraulichkeit der Verhandlungen im Ausschuss – das BVerfG selbst hat sich 2012 wohlgemerkt der letzten Ansicht angeschlossen (Beschl. v. 19.06.2012, Az. 2 BvC 2/10). "Lösbar" ist der Streit mit dem methodischen Instrumentarium des deutschen Öffentlichen Rechts wohl nicht – beide Seiten können auf valide Argumente verweisen, die sich mehr oder minder die Waage halten.
Reform der Besetzung des BVerfG: . In: Legal Tribune Online, 31.03.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/11498 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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