Die Grünen können keine Abstimmung des Bundestags über die Ehe für alle in dieser Legislaturperiode erzwingen. Eine gesellschaftlich und politisch so umstrittene Entscheidung zu treffen sei Sache der Politik, nicht des Rechts, entschied das BVerfG.
Die Grünen sind mit ihrem Versuch, eine Bundestags-Abstimmung über die Homo-Ehe noch in dieser Legislaturperiode zu erzwingen, gescheitert. Ihren Antrag, den Rechtsausschuss per einstweiliger Anordnung zu verpflichten, drei entsprechende Gesetzentwürfe auf die Tagesordnung zu nehmen und über diese zeitnah Beschluss zu fassen, hält der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) einstimmig für offensichtlich unbegründet (Beschl. v. 14. Juni 2017, Az. 2 BvQ 29/17).
Es reicht nicht aus, dass die Ehe für alle mehr als 20 Mal wieder von der Tagesordnung des Rechtsausschusses verschwand und so binnen fast vier Jahren bis zum Ende der Legislaturperiode nicht darüber entschieden wurde, entschieden die Karlsruher Richter. Weder sei die Beschlussfassung willkürlich verschleppt noch das Gesetzesinitiativrecht der Grünen, wie von diesen vorgetragen, entleert worden. Nur unter solchen außergewöhnlichen Umständen aber wären die Grünen in ihrem Gesetzesinitiativrecht aus Art. 76 Grundgesetz (GG) verletzt worden.
Der Zweite Senat trifft nach nur vier Wochen eine Sachentscheidung, ohne sich auf die sonst gern betonten hohen Hürden des Eilverfahrens oder Zulässigkeitsfragen wie diejenige zurückzuziehen, ob der Rechtsausschuss der richtigen Antragsgegner ist. Und sie fällt deutlich aus: Wenn über eine Gesetzesvorlage viel disktutiert, aber nicht entschieden wird, weil sich dafür keine Mehrheit findet, kann die Opposition diese Entscheidung nicht erzwingen. Es gibt keine Pflicht des Bundestags, innerhalb einer Legislaturperiode abschließend über einen Gesetzesvorschlag zu entscheiden. Und das höchste deutsche Gericht will sich nicht einmischen in eine Entscheidung, die keine juristische, sondern eine politische ist.
BVerfG: Abstimmung nicht ohne Grund auf unbestimmte Zeit verweigert
"Wann über ein Gesetzesvorhaben abzustimmen ist, bestimmt sich gerade in politisch und gesellschaftlich umstrittenen Zusammenhängen auch nach Gesichtspunkten, die in stärkerem Maße das Ergebnis einer politischen Mehrheitsbildung als dasjenige einer rechtlich strukturierten und gerichtlich überprüfbaren Entscheidung sind", so das Gericht in einer Mitteilung vom Dienstag.
Offen bleibt damit die bislang ungeklärte Frage, ob ein Antrag gegen den Rechtsausschuss überhaupt zulässig ist. Aus dem Befassungsanspruch des Art. 76 Abs. 2 GG folge das Recht des Gesetzesinitianten, hier der Bundestagsfraktion der Grünen, dass das Gesetzgebungsorgan sich mit seinem Vorschlag beschäftigt, also darüber berät und Beschluss fasst. Verletzt werde dieses Recht erst, wenn das ohne sachlichen Grund gänzlich oder auf unbestimmte Zeit verweigert werde.
Wie lange der Bundestag dafür Zeit hat, legt das BVerfG erneut nicht fest. Die unbestimmte grundgesetzliche Vorgabe "in angemessener Frist" macht es nach Ansicht des Senats möglich, sämtliche Umstände des jeweiligen Einzelfalles zu berücksichtigen, neben dem konkreten Gesetzentwurf also auch weitere Faktoren, welche die Arbeitsabläufe des Parlaments beeinflussen.
Die Prioritäten bei der Bearbeitung seiner Angelegenheiten setzt, das betont das höchste deutsche Gericht besonders, das Parlament selbst. "Insbesondere folgt aus dem Befassungsanspruch des Gesetzesinitianten keine Pflicht des Ausschusses oder des Bundestages, über sämtliche vorliegenden Gesetzesvorhaben innerhalb einer Legislaturperiode abschließend zu entscheiden", so die Karlsruher Richter. Vielmehr sei hinzunehmen, dass vorliegende Gesetzentwürfe mit dem Ende der Legislaturperiode der Diskontinuität anheimfallen können, also formal vom Tisch sind.
Verfassungsrechtler: "Opposition ist Mist"
Aus Sicht des Verfassungsrechtlers Dr. Sebastian Roßner von der Universität Düsseldorf reduziert das BVerfG das Gesetzesinitiativrecht damit faktisch auf eine Pflicht des Bundestages, sich mit der Vorlage in irgendeiner geschäftsordnungsmäßigen Form politisch zu befassen.
Prof. Dr. Joachim Wieland hat mit der Entscheidung gerechnet. Er hält das Gesetzesinitiativrecht der Grünen, deren Antrag sich die Linke nachträglich angeschlossen hatte, ebenfalls für nicht verletzt, auch wenn die Gesetzesvorlagen ohne abschließende Entscheidung des Plenums der Diskontinuität unterfallen.
"Der Bundestag hat sich mehrfach mit der Ehe für alle befasst", argumentiert der Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Finanz- und Steuerrecht an der Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer. "Von einer willkürlichen Verschleppung der Beschlussfassung kann nicht die Rede sein, wenn im politischen Prozess versucht wird, Mehrheiten zu finden und Überzeugungsarbeit zu leisten". Auch das BVerfG sieht einen sachlichen Grund für die zahlreichen Vertagungen der Beschlussvorlage im noch laufenden politischen Prozess, eventuell gar dem Ziel, doch noch eine Mehrheit für die gleichgeschlechtliche Ehe zu schaffen. Die SPD befürwortet die Ehe für alle, die Union lehnt diese mehrheitlich ab.
Dagegen, dass das Initiativrecht leer laufe, wenn nicht der Bundestag noch in dieser Legislaturperiode entscheidet, spreche schon, wie viel die Parteien in den vergangenen Jahren über das Thema debattiert hätten, meinen die Richter. Dabei hätten die Grünen genug Zeit gehabt, ihren Standpunkt darzustellen, die anderen Parteien sich positionieren müssen. Dass man sich nicht einigen könne, bedeute nicht, dass das Initiativrecht leerlaufe, wenn dann über den Gesetzentwurf in einer Legislaturperiode nicht abschließend im Plenum entschieden wird. Diese Auffassung teilt Wieland: "Auch insoweit gilt der Satz von Franz Müntefering, dass Opposition Mist ist. Man kann zwar Debatten anstoßen, aber keine Entscheidungen erzwingen".
Volker Beck, der den Eilantrag der Grünen persönlich in Karlsruhe eingereicht hatte, zeigte sich nach Bekanntwerden über die Begründung des BVerfG gegenüber LTO "erstaunt und enttäuscht", sie sei aber zu akzeptieren. "Die Rechte der Abgeordneten, des Bundesrates und der Opposition werden dadurch geschwächt", sagte der Grünen-Politiker. "Politisch ist und bleibt es ein Missbrauch, wenn Nibelungentreue in einer Koalition dazu führt, dass eine vorhandene Mehrheit im Bundestag einen Gesetzesbeschluss, der eine breite Mehrheit in der Bevölkerung hat, dauerhaft blockiert". Er forderte die SPD auf, im Rechtsausschuss mit der Opposition den Gesetzentwurf zur gleichgeschlechtlichen Ehe beschließen. Die letzte planmäßige Sitzung des Bundestags findet am 30. Juni statt.
Pia Lorenz, BVerfG weist Eilantrag der Grünen wegen Homo-Ehe ab: . In: Legal Tribune Online, 20.06.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23231 (abgerufen am: 07.11.2024 )
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