Wer konvertiert ist, muss im Asylverfahren zeigen, dass er es ernst meint und ihm deshalb Verfolgung im Herkunftsland droht. Das BVerfG hat klargestellt, dass Gerichte nicht den Glauben prüfen dürfen. Aber sehr wohl eine mögliche Verfolgung.
Ein Ausnahmefall ist es nicht: Dass iranische Asylsuchende in Deutschland zum Christentum konvertieren, sich einer Kirchengemeinde anschließen und sich taufen lassen, kommt häufig vor. Nach Angaben des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ist das sogar der Grund, der von Antragstellern aus dem Iran besonders häufig geltend gemacht wird: Als Konvertiten drohe ihnen in ihrem Heimatland Verfolgung.
Insgesamt erhalten rund 20 Prozent der iranischen Asylsuchenden Schutz in der Bundesrepublik. Das BAMF erfasst dabei allerdings nicht, in welchen Fällen es um Konvertiten geht. Laut der Organisation OpenDoors, die sich für verfolgte Christen einsetzt, haben Konvertiten zwar insgesamt bessere Chancen auf Asyl als andere Geflüchtete, insgesamt seien die Schutzquoten aber in den vergangenen Jahren deutlich gesunken. Zudem gebe es deutliche Unterschiede zwischen den Bundesländern und den einzelnen Verwaltungsgerichten.
Doch wann besteht die begründete Befürchtung, dass die Antragsteller wegen der Religion in ihrem Heimatland verfolgt werden würden? Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat nun klargestellt, was die Verwaltungsgerichte bei der Prüfung solcher Fälle beachten müssen– und dabei die bisherige Linie des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) bestätigt. Die Maßstäbe, die das BVerwG für die Prüfung entwickelt hat, ob eine begründete Furcht vor Verfolgung wegen der Religion besteht, seien verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, heißt es in dem am Freitag veröffentlichten Beschluss (v. 03.04.2020, Az. 2 BvR 183/15).
VGH Mannheim: Von der Überzeugung nicht überzeugt
Auch in diesem Fall ging es um einen Mann aus dem Iran. Er hatte 2011 einen Asylantrag gestellt, den er mit Problemen begründete, weil er keinen Wehrdienstleisten wollte. Außerdem habe er nach den Präsidentschaftswahlen 2009 mit seinem Bruder an einer Demonstration teilgenommen. Sein Bruder sei festgenommen worden, er selbst sei bis zu seiner Ausreise im Jahr 2010 untergetaucht.
Das BAMF lehnte den Asylantrag ab. Der Mann klagte dagegen und erklärte vor dem Verwaltungsgericht, dass er sich einer Kirchengemeinde angeschlossen habe, regelmäßig an kirchlichen Veranstaltungen teilnehme und im Mai 2013 getauft worden sei.
Das Verwaltungsgericht Stuttgart gab ihm zunächst recht, der Verwaltungsgerichtshof (VGH) Mannheim sah das jedoch anders. Der VGH war nicht überzeugt, dass seine Konversion auf einer festen Überzeugung und einem ernst gemeinten religiösen Einstellungswandel beruhte. Die Richter erklärten dabei, der Mann sich zwar ein gewisses Grundwissen über das Christentum angeeignet. Es hätten sich aber auch nicht unerhebliche Lücken gezeigt. Angesichts der sozialen Unterstützung durch die Pfarrerin und die iranische Kirchengemeinde dränge sich der Eindruck auf, dass der Mann sich dem Christentum vor allem aus sozialen und integrativen Gründen angeschlossen habe.
Ein Glaubensquiz vor Gericht?
Seine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision lehnte das BVerwG ab. Die Richter in Leipzig betonten dabei, dass die Verwaltungsgerichte bei ihrer Beurteilung nicht an die Taufe gebunden sind, die von der jeweiligen Kirche vorgenommen wird.
Doch genau dieser Punkt war umstritten: Können und dürfen die Verwaltungsgerichte den Glauben eines Asylantragstellers beurteilen? Und wie soll das gehen – mit einer Art Religionsquiz? Das stieß sowohl bei der evangelischen als auch der katholischen Kirche auf Kritik.
Auch der Staats- und Verwaltungsrechtler Prof. Dr. Horst Dreier erklärte in einem Interview der Zeitschrift Publik Forum: "Wer von einer Religionsgemeinschaft aufgenommen ist, gehört zu ihr. Wenn dies passiert, gehöre ich dazu, egal ob ich das Vaterunser aufsagen kann oder nicht. Alles andere ist völlig absurd." Folgt man dem, wäre den Gerichten eine eigenständige Beurteilung untersagt, wenn sich ein kirchlicher Amtsträger zur Taufe entschieden hat.
Nein, aber eine umfassende Prüfung, sagt Karlsruhe
Die Karlsruher Richter sahen das jedoch anders. Die Taufe und die daran geknüpfte Mitgliedschaft in der Kirche dürften die Verwaltungsgerichte zwar nicht in Frage stellen. Sie sei "als Rechtstatsache" zu beachten. Das gelte auch dann, wenn es Anhaltspunkte für Oberflächlichkeit, Missbräuchlichkeit oder einen taktischen Übertritt zum Christentum gebe. Die Verfassungsrichter betonen, die Verwaltungsgerichte hätten nach den Maßstäben des BVerwG eben keine inhaltliche "Glaubensprüfung" vorzunehmen, insbesondere dürften sie keine eigenen Standpunkte in Glaubenssachen formulieren und bestimmte Glaubenssätze bewerten.
Es sei jedoch eine andere Frage, wie prägend die Überzeugung und die Ausübung des Glaubens für den Einzelnen sei und ob sich daraus eine begründete Furcht vor Verfolgung ergebe. So müssten und dürften die Verwaltungsgerichte sehr wohl "der Stellung des Schutzsuchenden zu seinem Glauben nachgehen, nämlich der Intensität und Bedeutung der von ihm selbst empfundenen Verbindlichkeit von Glaubensgeboten für die eigene religiöse Identität", so das Verfassungsgericht.
Im Rahmen der Beweiswürdigung könne es dabei um verschiedene Gesichtspunkte gehen: Etwa die religiöse Vorprägung des Betroffenen und seiner Familie, eine Glaubensbetätigung bereits im Herkunftsland oder die inneren Beweggründe für die Abwendung vom bisherigen Glauben. Aber auch die Vorbereitung auf die Konversion, die Information und Reaktion des familiären und sozialen Umfeldes, das Wissen über die neue Religion, die Auswirkungen des neuen Glaubens auf das eigene Leben sowie die Teilnahme an Gottesdiensten, an Gebeten und am kirchlichen Leben können nach dem BVerfG eine Rolle bei der Beurteilung spielen.
Gerichte beurteilen nicht den Glauben, aber eine mögliche Verfolgung deshalb
Bei alledem hätten die Gerichte aber zu berücksichtigen, dass es sich nur um Indizien handele und "dass sie sich im Rahmen der tatrichterlichen Würdigung jeglicher inhaltlicher Bewertung des Glaubens des Einzelnen und der Kirchen zu enthalten haben."
Das heißt: Es bleibt Sache der Kirchen, wen sie in ihre Mitte aufnehmen. Es bleibt aber Sache der Gerichte, zu beurteilen, wie sich die Konversion auf eine etwaige Verfolgung im Herkunftsland auswirkt.
Damit dürften grundsätzlich auch die Kirchen leben können. Der Göttinger Staats- und Kirchenrechtler Prof. Dr. Hans Michael Heinig, der zur Konversion im Asylverfahren ein Gutachten für den Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland erstellt hat hält die Entscheidung des BVerfG für richtig. Das Problem sieht er eher in der Praxis: "Einige wenige Entscheider beim BAMF und einzelne Richter haben sich einfach als religiös-kulturell ungebildet erwiesen und operieren mit abenteuerlichen Vorstellungen von einem Konversionsgeschehen“, so Heinig gegenüber LTO. Die Herausforderung sei, solche Fälle wirklich kompetent zu entscheiden – das aber sei eine Frage der Selbstorganisation des BAMF und der Weiterbildung an den Verwaltungsgerichten.
Der Frankfurter Rechtsanwalt Dr. Reinhard Marx sieht das Problem vor allem darin, dass sich die freie Beweiswürdigung durch den Richter eben kaum überprüfen lässt: "Bei manchen Richtern weiß ich vorher, dass man dort nicht durchdringt – die haben eine Null-Prozent-Anerkennungsquote."
Dass die Karlsruher Richter den Beschluss ausführlich begründet haben, kann man aber durchaus auch als Fingerzeig verstehen, wie sorgfältig die Verwaltungsgerichte ihre Entscheidungen künftig begründen müssen.
BVerfG zu konvertierten Asylsuchenden: . In: Legal Tribune Online, 22.05.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41701 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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