Der umstrittene AfD-Politiker Brandner wird vorerst nicht wieder Vorsitzender des Bundestags-Rechtsausschusses. Ein Erfolg der AfD im Hauptsacheverfahren scheint aber möglich.
Viel Hoffnung hatten die klagende AfD-Fraktion und der seinerzeit im Rechtsausschuss als Vorsitzender abgewählte Stephan Brandner ohnehin nicht auf einen positiven Ausgang des Einstweiligen-Rechtsschutzverfahrens in Karlsruhe. Damit lagen sie richtig: Zumindest vorläufig wird es eine Rückkehr von Brandner als Vorsitzender des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz im Bundestag nicht geben. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) lehnte einen entsprechenden Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung der AfD-Bundestagsfraktion am Freitag ab (Beschl. v. 04.05.2020, 2 BvE 1/20). Für das Hauptsacheverfahren um die zugrundeliegende Organklage rechnet die AfD sich aber weiterhin gute Chancen aus.
Nach § 32 Abs. 1 Bundesverfassungsgerichtsgesetz kann das BVerfG im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Allerdings, so stellte das BVerfG auch gleich zu Beginn seiner Entscheidung von Freitag klar, "bedeutet der Erlass einer einstweiligen Anordnung im Organstreitverfahren einen erheblichen Eingriff des Bundesverfassungsgerichts in Autonomie und originäre Zuständigkeit anderer Verfassungsorgane".
Einen solchen erheblichen Eingriff in Rechte des Bundestags wollte das BVerfG nun in Sachen Brandner nicht riskieren. Ausschlaggebend für die ablehnende Entscheidung durch den Zweiten Senat war das Ergebnis einer Folgenabwägung: Auch wenn es nicht ausgeschlossen sei, dass die AfD durch Brandners Abwahl in ihren verfassungsrechtlichen Oppositionsrechten verletzt wurde, sie im Hauptsacheverfahren als Erfolg hätte, so das BVerfG, habe die AfD-Fraktion die Nachteile hinzunehmen, die ihr dadurch entstehen, dass Brandner jedenfalls bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht ins Amt zurückkehren kann, hinzunehmen.
BVerfG: "AfD-Fraktion könnte anderen Kandidaten benennen"
Würde das BVerfG die einstweilige Anordnung dagegen wie von der AfD beantragt erlassen, die Abwahl Brandners sich aber später als verfassungskonform erweisen, würde der Rechtsausschuss bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens von einer Person geleitet, "die das Vertrauen der Ausschussmehrheit offensichtlich nicht besitzt". Dies würde die Arbeitsfähigkeit des Ausschusses gefährden, so der Senat.
Zudem würde ein solcher Eilbeschluss in das von Art. 40 Abs. 1 GG garantierte Selbstbestimmungsrecht des Bundestages eingreifen, wozu das BVerfG nur unter strengen Voraussetzungen im Eilverfahren befugt sei.
Schließlich, so die Karlsruher Richter, hätte die Fraktion durchaus die Möglichkeit, diese Nachteile zu verringern, indem sie einen anderen Kandidaten für den Vorsitz des Rechtsausschusses benennt. Die AfD-Fraktion sei also entgegen ihrer Ansicht keineswegs vollständig an der Erfüllung ihrer Oppositionsaufgaben gehindert. So hätten die Ausschussmitglieder der übrigen Fraktionen zugesagt, eine andere Person aus den Reihen der AfD-Fraktion in dieser Position zu billigen.
BVerfG: Rechtslage nicht eindeutig
Das Ergebnis des Organstreitverfahrens bleibt auch nach dem heutigen Beschluss offen. Ein Sieg der AfD-Fraktion erscheint nach den Ausführungen des Gerichts aber im Rahmen des Möglichen.
Das Gericht erklärt, dass die Rechtslage hinsichtlich des von der AfD-Fraktion als verletzt gerügten Grundsatzes der effektiven Opposition "nicht eindeutig" sei. Aus dem Mehrheitsprinzip nach Art. 42 Abs. 2 Grundgesetz (GG) und den im Grundgesetz vorgesehenen parlamentarischen Minderheitenrechten folge der Respekt vor der Sachentscheidung der parlamentarischen Mehrheit, aber auch die Gewährleistung einer realistischen Chance der parlamentarischen Minderheit, zur Mehrheit zu werden. Ob dazu auch das Recht der AfD-Fraktion gehört, über die Person ihres Ausschuss-Vorsitzenden allein zu bestimmen, beantwortete Karlsruhe – noch - nicht.
Für zumindest möglich hält das BVerfG zudem, dass die AfD-Fraktion durch die Abwahl Brandners auch in ihrem verfassungsrechtlichen Teilhaberecht nach Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt ist. Bei dem Ausschuss-Vorsitz gehe es letztlich um einen Posten, der der AfD-Fraktion nach der Geschäftsordnung des BT grundsätzlich zustehe, so das Gericht.
AfD-Prozessvertreter zufrieden, Ausschuss-Vorsitz bleibt vakant
Die AfD wird vor allem aus diesen Äußerungen des Gerichts Hoffnung schöpfen. Entsprechend zufrieden reagierte AfD-Prozessvertreter Michael Elicker auf die Entscheidung: "Wir haben bereits wesentlich mehr erreicht, als wir glaubten. Das Bundesverfassungsgericht goutierte durchaus bereits im Eilverfahren die von uns vorgetragenen verfassungsrechtlichen Argumente und bezeichnet den Verfahrensausgang in der Hauptsache als offen", sagte er zu LTO.
Im Bundestag war Stephan Brandner im November 2019 wegen umstrittener Beiträge auf Twitter als Vorsitzender des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz mit den Stimmen aller anderen Fraktionen außer der AfD abgewählt worden. Es war ein einmaliger Vorgang in der Deutschen Parlamentsgeschichte. Der Ausschuss zog damit die Konsequenzen aus mehreren Eklats, die der AfD-Politiker aus Thüringen ausgelöst hat. Zuletzt sorgte er für Wirbel, als er auf Twitter die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an den AfD-kritischen Rocksänger Udo Lindenberg mit der Bemerkung "Judaslohn" kommentierte. Obwohl der AfD-Fraktion die Besetzung des Ausschussvorsitzes unbestritten zusteht, wird dieser seither vom CDU-Politiker und Stellvertreter Brandners, Prof. Dr. Heribert Hirte, geleitet.
Mit der Entscheidung des BVerfG von Freitag steht fest, dass der Ausschussvorsitz im Rechtsausschuss weiterhin vakant bleibt. Die AfD-Fraktion stellte gegenüber LTO klar, dass sie auch bis zum Ausgang des Hauptsacheverfahrens keinen Ersatzkandidaten für Brandner benennen wird. "Das würde einer Anerkennung der verfassungswidrigen Abwahl von Herrn Brandner gleichkommen", sagte der rechtspolitische Sprecher der Fraktion, Roman Reusch.
Nur Gewinner?
Unterdessen reagierten andere Mitglieder des Rechtsausschusses erfreut auf den heutigen Beschluss des BVerfG: Der rechtspolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Dr. Jan-Marco Luczak, sagte: "Das Bundesverfassungsgericht hat heute klargestellt, dass die AfD-Fraktion durch die Abberufung von Brandner nicht vollständig an der effektiven Erfüllung ihrer Oppositionsaufgaben gehindert ist. Vielmehr hat sie selbst es in der Hand, einen anderen, der Würde des Amtes entsprechenden Abgeordneten als Vorsitzenden zu benennen. " Er sei zudem "zuversichtlich, dass Karlsruhe im Hauptsacheverfahren bestätigen wird, dass die Abberufung verfassungsgemäß war."
Die grüne Rechtspolitikerin Manuela Rottmann, MdB, bewertete den Karlsruher Beschluss ebenfalls positiv: "Wir haben erwartet, dass das Bundesverfassungsgericht in dieser schwierigen Rechtsfrage keinen kurzen Prozess macht, sondern mögliche Auswirkungen auf die Rechte der Opposition insgesamt sorgfältig im Hauptsacheverfahren prüfen wird."
Die Mitglieder des Rechtsausschusses, so Rottmann, hätten sich die Entscheidung für eine Abwahl von Stephan Brandner vom Vorsitz nicht leicht gemacht. "Die Entscheidung war ein letztes Mittel nach mehreren gescheiterten Gesprächen mit Stephan Brandner, als seine persönlichen Ausfälle gegen Bürgerinnen und Bürgern und Vertreter von Verbänden das Ansehen des Ausschusses und die Gesprächsbrücken zur Gesellschaft gefährdet haben."
BVerfG zum Vorsitz im Rechtsausschuss des Bundestages: . In: Legal Tribune Online, 29.05.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41760 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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