Am Mittwoch könnte das BVerfG ein Grundrecht auf Suizid bestätigen. Doch was hilft es, wenn kein Arzt das tödliche Medikament verschreiben darf? Mit dem ersten Urteil zur Sterbehilfe kann Karlsruhe nicht nur den Ärzten Sicherheit zurückgeben.
Am Mittwoch wird das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) sein Urteil zur Verfassungsmäßigkeit des § 217 Strafgesetzbuch (StGB) verkünden (Az. 2 BvR 2347/15; 2 BvR 651/16; 2 BvR 1261/16). Die Norm bestraft die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung.
Neben professionellen Sterbehilfeorganisationen, die ihre Arbeit in Deutschland seit dem Inkrafttreten der Norm im Jahr 2015 eingestellt haben, haben auch Ärzte und schwerstkranke Menschen Verfassungsbeschwerden erhoben. Die Ärzte fürchten, sich nach § 217 StGB strafbar zu machen, wenn sie Patienten beim Freitod helfen.
Die schwer kranken Patienten, von denen nach dem jahrelangen Verfahren in Karlsruhe nur noch zwei am Leben sind, streiten für ihr Recht auf Suizid. Dieses würde vereitelt, wenn § 217 StGB die professionelle Unterstützung beim Freitod weitgehend verbiete und, wer Selbsttötungsgedanken hege, sich nicht mehr an Profis wenden könne, sondern auf nicht-professionelle Hilfe aus dem Familien- oder Bekanntenkreis hoffen müsse. Nur sie, die Freunde und Verwandten, die einmalig aus Mitgefühl beim letzten Gang helfen, nimmt § 217 StGB von der Strafbarkeit aus.
Gerichtspräsident Prof. Dr. Andreas Voßkuhle hat im April vergangenen Jahres zu Beginn der mündlichen Verhandlung erklärt, es gehe nur um die Verfassungsmäßigkeit einer Strafnorm, nicht um die moralische Bewertung des Suizids. Aber es sind gerade die Emotionen, die Ängste und Überzeugungen bei den großen Fragen am Ende des Lebens, die auf ein salomonisches Urteil des BVerfG hoffen lassen. Auf ein Urteil für ein selbstbestimmtes Sterben; und gegen die Einflussnahme kommerzbestimmter Interessen auf Menschen, die gar nicht wirklich gehen wollen.
Kritik: strukturell misslungen
§ 217 StGB bedroht mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe, wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt.
Die Vorschrift wurde 2015 ohne Fraktionszwang und nach heftigen ethischen Diskussionen im Bundestag verabschiedet. Der Gesetzgeber wollte verhindern, dass der assistierte Suizid zu einem "Dienstleistungsangebot" wird, mit dem ein Gewöhnungseffekt, eine gesellschaftliche Normalisierung einher gehen könnte. Es ging auch darum, suizidgeneigte, vor allem alte und kranke Menschen, die anderen nicht zur Last fallen wollten, vor der Einflussnahme Dritter zu schützen, die ein wirtschaftliches Interesse an ihrem Tod haben könnten.
In der strafrechtlichen Wissenschaft und Praxis wurde die Vorschrift von Anfang an stark kritisiert. Die möglichen Tathandlungen seien zu weit gefasst, der objektive Tatbestand kaum einzugrenzen, das Verhältnis zur strafbaren Tötung auf Verlangen nach § 216 unklar. Es sei eine Norm, die eine Unterstützungshandlung zu einer Haupttat, die ihrerseits nicht strafbar ist, zu einer Haupttat erklärt. Der Selbstmord ist in Deutschland nicht strafbar. Wer jemandem mit Wiederholungsabsicht dabei hilft, ihn zu begehen, soll sich jetzt nach § 217 strafbar machen.
"Geschäftsmäßig": Das Risiko tragen die Ärzte
Was akademisch klingt, wird bei der Kritik am Merkmal der Geschäftsmäßigkeit sehr fassbar. Diesen Begriff halten nicht nur Strafrechtler für verfassungsrechtlich bedenklich. "Geschäftsmäßig" in diesem Sinne soll nämlich, so die Gesetzesbegründung ausdrücklich, schon derjenige handeln, der eine Handlung zum ersten Mal ausführt, wenn dies "den Beginn einer auf Fortsetzung angelegten Tätigkeit darstellt" (BT-Drucksache 18/5373, S. 17).
Die Vorschrift erfasst also nicht erst die gewerbsmäßige, also gegen besonderes Entgelt erfolgende Sterbebegleitung durch professionelle Sterbehilfeorganisationen. § 217 verbietet vielmehr schon diejenige Sterbebegleitung, die auf Wiederholung angelegt ist. Deshalb sehen sich auch Ärzte seit 2015 daran gehindert, Patienten beim Freitod zu begleite. Es liegt in der Natur ihres Berufs, dass sie darum mehr als nur einmal gebeten werden können. Wenn sie diese Hilfe beim Sterben als Bestandteil ihrer ärztlichen Tätigkeit begreifen, machen sie sich dann bereits beim ersten Mal nach § 217 StGB strafbar, denn sie handeln in der Absicht, es wieder zu tun.
Es bleibt also an den Ärzten hängen. In ihre Grundrechte, in ihr Berufsrecht aus Art. 12 und ihre Gewissensfreiheit greift § 217 StGB ein. Aber vor allem greift die Norm ein in die Grundrechte von Menschen, die sich das Leben nehmen wollen. Aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG leiten die schwerstkranken Kläger in Karlsruhe ein Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben ab. Wenn es aber keinen Sterbehilfeverein mehr gibt, der den Kontakt zu einem Arzt herstellen kann, und wenn es keinen Arzt mehr gibt, der das tödliche Medikament verschreibt, weil er damit ein Strafverfahren und den Verlust seiner Zulassung riskiert, dann wäre ein Grundrecht auf einen selbstbestimmten Tod nur graue Theorie.
Was das BVerfG prüft
Man darf davon ausgehen, dass auch das BVerfG - wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, das Bundesverwaltungsgericht und die ganz herrschende Meinung in der juristischen Literatur – ein Grundrecht auf Suizid bejahen wird. Dann wäre es "die Aufgabe des Gesetzgebers, einen Rahmen zu schaffen, innerhalb dessen man dieses Grundrecht verwirklichen kann. Für diese Menschen brauchen wir einen Weg", stellte der Senatsvorsitzende Andreas Voßkuhle im vergangenen April klar.
Derzeit könnte dieser Weg durch § 217 StGB verstellt sein. Eine Strafnorm ist die schärfste Waffe des Gesetzgebers. Sie greift massiv in grundrechtlich geschützte Positionen ein. Und sie ist nur verfassungsgemäß, wenn sie einen legitimen Zweck verfolgt, den sie nicht mit anderen, ebenso wirksamen, aber in ihren Auswirkungen milderen Mitteln erreichen kann.
Nun haben die Sterbehilfeorganisationen ihre Tätigkeit in Deutschland mit dem Inkrafttreten von § 217 StGB eingestellt. Das Ziel, die Kommerzialisierung und eine damit einhergehende Normalisierung der Sterbehilfe zu verhindern, hat die Norm also erreicht. Und zumindest bis zum April 2019 gab es in ganz Deutschland nicht ein einziges Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts eines Verstoßes gegen § 217 StGB.
Das könnte zwei Gründe haben: Entweder schränkt die Norm, abgesehen vom Betrieb eben der Vereine, die sie ja gerade verhindern wollte, niemanden in seiner Betätigung ein. So argumentiert die Bundesregierung. Oder aber, so argumentieren die Antragsteller, die Ärzte wagen es jetzt nicht mehr, ihre Patienten bei ihrem letzten Weg zu unterstützen.
Wie das BVerfG entscheiden könnte
Denkbar wäre neben einer Verwerfung der Norm eine verfassungskonforme, also einschränkende Auslegung von § 217 StGB. Allerdings findet die Möglichkeit der verfassungskonformen Auslegung ihre Grenze im Wortlaut einer Norm und dem klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers. Und der hat im Fall von § 217 StGB sehr klar gemacht, dass er eben nicht erst die gewerbsmäßige Sterbehilfe durch Organisationen gegen Geld, sondern schon die Absicht mehrfacher Sterbehilfe unter Strafe stellen will.
Vorstellbar ist eher, auch mit Blick auf ihre sehr detaillierten Fragen in der mündlichen Verhandlung zum Ablauf der begleiteten Sterbeprozesse bis zum Jahr 2015 bei den Sterbehilfeorganisationen, dass die Verfassungsrichter genaue Vorgaben machen werden, wenn sie die Norm verwerfen sollten. Vorgaben, um mit Hilfe eines formalisierten Verfahrens einerseits Schwerstkranken ein autonomes Sterben in Begleitung professioneller Helfer zu ermöglichen, andererseits aber die Ernsthaftigkeit, Freiwilligkeit und Dauerhaftigkeit ihres Sterbeentschlusses abzusichern und die Kommerzialisierung von Sterbehilfe zu verhindern.
Das BVerfG könnte anfangen mit der – rein deklaratorischen, aber angesichts der Angst vieler Ärzte womöglich erforderlichen - Klarstellung, dass auch ohne einen § 217 StGB kein Arzt, der das nicht mit seinem Gewissen oder Berufsverständnis vereinbaren kann, einem Menschen beim Sterben helfen muss. Die Karlsruher Richter könnten festlegen, ob eine unheilbare, zwangsläufig tödlich endende Krankheit vorliegen muss und wie es bei einer psychischen Krankheit aussähe, bei der der Wunsch nach einem Freitod eine Ausprägung der Krankheit sein kann und nicht selbstbestimmter Ausweg aus einem nicht mehr umkehrbaren tödlichen Verlauf. Sie könnten einen Prozess definieren, der eine Beratung beinhaltet durch einen Arzt, danach einen oder mehrere Überprüfungen nach bestimmten Zeitabständen, ob der Sterbewillige weiterhin wirklich, ernsthaft und freiwillig sterben will. Sie könnten festlegen, wer diese Beratungen und Überprüfungen durchführen darf und dass er oder sie personenverschieden sein muss von demjenigen, der dem Suizidenten später das tödliche Medikament beschafft.
Es kann, wenn das BVerfG das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung prüft, nicht nur um die Verfassungsmäßigkeit einer Norm gehen. Die großen Fragen am Ende des Lebens, sie sind mit mindestens so vielen Ängsten und Überzeugungen beladen wie die am Anfang des Lebens. Bis zum heute noch immer geltenden Kompromiss zu den Anforderungen an einen rechtmäßigen Schwangerschaftsabbruch in Deutschland war es ein langer Kampf. Gut möglich, dass das BVerfG ähnlich salomonische Vorgaben auch für den letzten Weg machen wird.
BVerfG entscheidet über § 217 StGB: . In: Legal Tribune Online, 25.02.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/40473 (abgerufen am: 19.11.2024 )
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