Das BVerfG hat entschieden: Die NPD verfolgt planvoll und intensiv verfassungswidrige Ziele. Verboten wird sie aber nicht, denn es ist ihr nicht möglich, sie zu erreichen. Wie Karlsruhe das Parteiverbot neu definiert, erklärt Sebastian Roßner.
Der 17. Januar 2017 markiert eine wichtige verfassungsrechtliche Wegmarke. Zum ersten Mal seit dem Verbot der KPD im August 1956 und zum dritten Mal insgesamt hat sich das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) dazu geäußert, unter welchen Umständen eine Partei als verfassungswidrig verboten werden kann (Az. 2 BvB 1/13). Auch zu einer wichtigen prozeduralen Frage haben die Karlsruher Richter Stellung bezogen.
Das Urteil bringt Klarheit über die gerade am Beginn des neuerlichen Verbotsverfahrens wieder stark diskutierte Frage der Überwachung einer Partei durch V-Leute. Diese Augen und Ohren der Verfassungsschutzbehörden müssen, so der Senat, "abgeschaltet" werden, bevor ein Verbotsverfahren eingeleitet wird, sofern sie in den Führungsebenen der Partei sitzen. Ein Verbotsantrag darf sich zudem nicht auf Beweismaterial stützen, das wenigstens teilweise durch V-Leute erzeugt wurde.
Dahinter steht der selbstverständliche Gedanke, dass eine Partei nur dann verboten werden kann, wenn ihr die Ursachen für das Verbot auch zugerechnet werden können. Weil der Maßstab für den Einsatz von V-Leuten präzisiert wurde, wird es in Zukunft wohl nicht mehr zu so einem peinlichen Misserfolg eines Verbotsantrags kommen wie im Jahr 2003, als ein NPD-Verbot daran scheiterte (BVerfG, Beschl. v. 18.0,.2003, Az. 2 BvB 1/01, 2 BvB 2/01 und 2 BvB 3/01).
Parteiverbot bis heute: die NPD wäre verboten worden
Es stellt sich allerdings die Frage, ob so bald mit neuen Verbotsanträgen zu rechnen ist. Das BVerfG hat die Schwelle für ein Parteiverbot deutlich erhöht. Der Senat unter dem Vorsitz von Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle ergänzte nämlich mit der Entscheidung vom Dienstag die anerkannten Kriterien für ein Parteiverbot um ein weiteres, nämlich um das der "Potentialität". Es ist ebendieses Kriterium an dem der Verbotsantrag des Bundesrats gescheitert ist.
Bislang galt Folgendes: Art. 21 Abs. 2 Grundgesetz (GG) schützt vor allem die freiheitliche demokratische Grundordnung Deutschlands, also den Kernbestand der demokratischen Verfahrensprinzipien und deren Voraussetzungen. Erfasst sind die ungehinderte politische Meinungsbildung, die politische Gleichheit der Bürger, die Geltung des Mehrheitsprinzips, die zentralen Verfahren der demokratischen Willensbildung, ein Mehrparteiensystem, die Gewaltenteilung, die Rechtsstaatlichkeit und nicht zuletzt – als Grundlage und Vorbedingung von Demokratie – den Schutz der Menschenwürde und der Menschenrechte.
Um ein Verbot zu rechtfertigen, muss eine Partei "darauf ausgehen", die freiheitlich demokratische Grundordnung zu "beeinträchtigen" oder zu "beseitigen". Während "beseitigen" die Abschaffung dieser Ordnung bedeutet, heißt "beeinträchtigen" eine planvolle, gleichsam scheibchenweise Demontage der Ordnung, die langfristig auf ihre Beseitigung hinausläuft.
Entscheidend ist die Auslegung, die das Gericht dem Merkmal des Darauf-Ausgehens gegeben hat. In den beiden Urteilen aus den fünfziger Jahren hat es darunter eine aktiv-kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der freiheitlichen demokratischen Grundordnung verstanden. Es genügte demnach nicht, sich lediglich zu verbotenen Zielen zu bekennen, sondern die Partei musste irgendwie bereits begonnen haben, dieses böse Vorhaben auch in die Tat umzusetzen.
Nach diesen Maßstäben wäre die NPD zu verbieten gewesen. Das Gericht attestiert der Partei in seiner Entscheidung, ihre Ziele und das Verhalten ihrer Anhänger verstießen gegen die Menschenwürde, den Kern des Demokratieprinzips und wiesen zudem eine inhaltliche Nähe zum Nationalsozialismus auf. Akribisch weist der Senat dann nach, dass die NPD auch planvoll und in ausreichend intensiver Weise darauf hinarbeite, diese gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung verstoßenden Ziele zu erreichen. Und doch kam das Gericht nicht zu einem Verbot.
Sebastian Roßner, Kein Partei-Verbot: . In: Legal Tribune Online, 17.01.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21803 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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