Auf Klage von amnesty international beanstandete das Bundesverfassungsgericht die Regelungen zur strategischen BND-Überwachung der Kommunikation mit dem Ausland. Die Folge: Das sogenannte G-10-Gesetz muss bis Ende 2026 nachgebessert werden.
Als Edward Snowden vor rund zehn Jahren die Massenüberwachung internationaler Kommunikation durch den US-Geheimdienst NSA aufdeckte, war die Empörung in Deutschland groß. Dabei macht der deutsche Bundesnachrichtendienst (BND) auch nichts anderes: Er überwacht anhand bestimmter Suchbegriffe strategisch die Kommunikation aus Deutschland ins Ausland sowie die Kommunikation zwischen Ausländern im Ausland. Nur die innerdeutsche Kommunikation ist für den BND tabu.
Von strategischer Überwachung spricht man, wenn der BND anlasslos Kommunikationsströme durchkämmt, die Telefonate, SMS und E-Mails enthalten. Der BND greift dabei gewaltige Datenmengen an den internationalen Kabelleitungen und aus dem Satellitenverkehr ab. Mithilfe von Suchbegriffen, sogenannten Selektoren, werden verdächtige Nachrichten automatisch ausgefiltert, um sie näher zu prüfen. Es gibt dabei inhaltliche Suchbegriffe wie zum Beispiel "Panzer" und formale Suchbegriffe wie Telefonnummern oder E-Mail-Adressen.
Gegen Kriegsvorbereitungen und Cyberangriffe
Die Überwachung der Kommunikation zwischen Deutschland und dem Ausland ist schon seit 1968 im sogenannten G-10-Gesetz geregelt. Ursprünglich sollten damit Kriegsvorbereitungen des Ostblocks aufgedeckt werden. Seit 1994 steht aber der Kampf gegen Terrorismus und illegalen Rüstungshandel im Vordergrund. 2015 wurde die strategische Überwachung auch auf Cyberspionage und Cybersabotage erweitert (§ 5 Abs. 1 Satz 3 Nr. 8 G-10-Gesetz).
Am Ende sind meist nur sehr wenige Kommunikationen so relevant, dass sie von menschlichen BND-Mitarbeiter:innen angesehen und geprüft werden. Der aktuellste Bericht (Bundestags-Drucksache 20/9950) bezieht sich auf das Jahr 2021. Damals gab es am Ende 45 Treffer zur Rüstungsproliferation, zehn Treffer im Bereich der Schleuserkriminalität, vier Treffer zum internationalen Terrorismus und null Treffer zu Cyberangriffen, weil man seit 2019 gar nicht mehr danach suchte.
Erneute Prüfung des BVerfG
Das Bundesverfassungsgericht hatte die strategische Überwachung zwischen Inland und Ausland schon 1999 überprüft und gebilligt (Urt. v. 14.07.1999, Az. 1 BvR 2226/94 u. a.). Aufgrund der enorm gestiegenen Bedeutung der digitalen Kommunikation fällte das Gericht nun aber eine neue Grundsatzentscheidung (Beschl. v. 08.10.2024, Az.: 1 BvR 1743/16 u. a.), die an diesem Donnerstag veröffentlicht wurde.
Geklagt hatte die deutsche Sektion von amnesty international (ai) gemeinsam mit fünf Aktivist:innen in Deutschland und im Ausland. Die ai-Verfassungsbeschwerde war von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) unterstützt worden. Was heute eine Selbstverständlichkeit ist, war damals ein Novum: Es handelte sich um die erste Verfassungsklage der GFF. Neben ai hatte der Berliner Anwalt Niko Härting eine zweite Verfassungsbeschwerde eingereicht, die nun mitentschieden wurde.
Weil die Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz nur binnen eines Jahres möglich ist, konnten ai und Härting nur gegen die letzte Erweiterung des § 5 G-10-Gesetz klagen. Es ist im Beschluss also viel von Cybergefahren die Rede. Die Überlegungen lassen sich jedoch auf die anderen Felder der strategischen Überwachung wie Terrorismus und Proliferation übertragen.
Das Gericht nimmt in der aktuellen Entscheidung oft Bezug auf sein eigenes BND-Urteil (Urt. v. 19.05.2020, Az.: 1 BvR 2835/17). Damals hatte das Bundesverfassungsgericht die gesetzlichen Regelungen der strategischen Überwachung der Kommunikation von Ausländern mit Ausländern im Ausland (im BND-Gesetz) geprüft und teilweise beanstandet. Bekannt ist vor allem die dortige Klarstellung, dass die Grundrechte auch Ausländer gegen das Handeln der deutschen Staatsgewalt im Ausland schützen.
Der Eingriff ist im Prinzip gerechtfertigt
Das Gericht stellte fest, dass es sich bei der strategischen Überwachung des Fernmeldeverkehrs um einen "besonders schweren" Eingriff in die Fernmeldefreiheit gemäß Art. 10 Grundgesetz handelt. Denn die anlasslose Überwachung treffe potenziell jeden, der mit dem Ausland kommuniziert. Und in E-Mails und SMS gehe es oft auch um (höchst-)persönliche Inhalte, die man nicht gerne mit einer Sicherheitsbehörde teilt.
Allerdings sei diese Form der Überwachung grundsätzlich gerechtfertigt, so die Richter:innen. Denn die Gefahren durch kriminelle, terroristische oder staatliche Cyberangriffe seien "außerordentlich hoch". Angriffe auf die IT-Infrastruktur bei der Energie-, Wasser oder Gesundheitsversorgung könnten ähnlich schwer wiegen wie ein bewaffneter Angriff.
Gericht beanstandet die Ausgestaltung des Gesetzes
Für verfassungswidrig erklärte das Verfassungsgericht nur die Ausgestaltung der strategischen Überwachung, weil sie an vier Punkten das Prinzip der Verhältnismäßigkeit verletze.
So fehle eine Regelung, die den BND verpflichtet, innerdeutsche Kommunikation – soweit technisch möglich – vorab auszusondern, bevor er die Selektoren anwendet. Nötig ist dies, weil das Internet nicht nach innerdeutschen und grenzüberschreitenden Datenflüssen unterscheidet, im Netz wird vielmehr alles vermischt. Der BND kennt das Problem natürlich auch und hat deshalb Techniken entwickelt, wie er 96 bis 98 Prozent des innerdeutschen Verkehrs vorab aussondern kann. Das Verfassungsgericht stört sich nun nicht daran, dass der BND keine hundertprozentige Trennung erreicht, den Richter:innen fehlt vor allem die gesetzliche Aufforderung, hier das technisch Bestmögliche anzustreben.
Zweitens monierte das Gericht, dass der BND laut Gesetz nur bei Deutschen auf Suchbegriffe aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung verzichten muss. Das Verfassungsgericht fordert nun die Ausweitung des Kernbereichsschutzes auf Ausländer im Ausland. Beispiele für unzulässige Suchbegriffe finden sich in der Entscheidung freilich nicht. Ist etwa der Ausruf "Gott ist groß" eine besonders persönliche Aussage oder doch eher ein Indiz für islamistischen Terror?
Drittens beanstandeten die Richter:innen, dass Protokolle über das Löschen nicht benötigter Daten nur bis zum Ende des folgenden Jahres aufbewahrt werden müssen. Dies sei viel zu kurz, weil eine Benachrichtigung von Betroffenen (wenn überhaupt) oft erst stattfinde, wenn ein Verdacht sicher ausgeschlossen werden kann, manchmal Jahre später.
Die vierte Kritik ist die wohl wichtigste. Danach ist auch die Kontrolle der strategischen Überwachung durch die nebenberufliche G-10-Kommission unzureichend. Der fünfköpfigen Kommission, die vom Bundestag gewählt wird, gehören zum Beispiel Anwält:innen und ehemalige Abgeordnete an. Vorsitzender ist derzeit der ehemalige SPD-MdB Christian Flisek. Das BVerfG hält aber eine hauptberufliche Kontrollinstanz für erforderlich, in der auch richterlicher Sachverstand vertreten ist. Blaupause hierfür dürfte der unabhängige Kontrollrat (UKR) sein, der seit 2022 die strategische Auslands-Auslands-Überwachung des BND kontrolliert und nach einer entsprechenden Aufforderung des BVerfG aus dem BND-Urteil von 2020 installiert wurde. Vorsitzender ist der ehemalige BGH-Richter Josef Hoch. Gut möglich, dass der sechsköpfige UKR bald zusätzliche Arbeit bekommt.
Der Bundestag hat Zeit bis zum 31. Dezember 2026, um die Mängel zu beheben. Bis dahin darf der BND weiter die Inland-Ausland-Kommunikation strategisch überwachen.
Beschluss des Bundesverfassungsgerichts: . In: Legal Tribune Online, 07.11.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55816 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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