Die Gesellschaft für Freiheitsrechte rügt Schlamperei und Unbestimmtheit im Gesetz über das Bundeskriminalamt. Zumindest teilweise dürfte sie damit Erfolg haben, prognostiziert Dr. Christian Rath.
Das Urteil zu diesem Verfahren wird man in der Fachwelt wohl als "BKA-II" titulieren. Denn 2016 hat sich das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) schon einmal mit dem Bundeskriminalamt (BKA) und dem zugehörigen Gesetz (BKAG) befasst. Zumindest das seinerzeitige Urteil gilt als wichtige Entscheidung, weil damals die rechtsstaatlichen Anforderungen an Polizeibefugnisse geradezu lehrbuchartig entwickelt wurden (Urt. v. 20.04.2016, Az. 1 BvR 966/09).
Teilweise knüpft das neue Verfahren (Az. 1 BvR 1160/19) an das damalige Urteil an. Denn die Verfassungsbeschwerde der Strafverteidigerinnen Franziska Nedelmann und Ricarda Lang, zweier Fußballfans sowie des bayerischen Kommunisten Kerem Schamberger richtet sich gegen die BKAG-Novelle von 2017, mit der das Karlsruher Urteil umgesetzt wurde. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), die die Klage koordiniert, zeigte sich mit der Umsetzung zwar weitgehend zufrieden, doch an einer Stelle habe der Gesetzgeber ein "Missgeschick" produziert, wie GFF-Anwalt Bijan Moini formulierte.
Konkret geht es um die Datenspeicherung über Kontaktpersonen gem. § 45 BKAG i.V.m. § 39 BKAG. Gemeint sind Personen, die eine andere Person kennen, die eine Straftat begehen will.
"Missgeschick" durch verfassungskonforme Auslegung zu beheben?
Die Regelung ist unstreitig zu weitgehend formuliert, enthält also zu wenig Einschränkungen. Unklar sind einerseits die Anforderungen an den "Willen", eine Straftat zu begehen, andererseits die an die Verbindung zwischen den beiden Personen, also an das "Kennen". Dieses beschreibt das Gesetz nur negativ als "nicht nur flüchtigen oder zufälligen Kontakt".
Sogar Rechtsprofessor Matthias Rossi, der Vertreter der Bundesregierung, bezeichnete die Formulierung als "nicht glücklich". Er forderte das BVerfG dennoch auf, die Normkette nicht für verfassungswidrig zu erklären. Man könne sie schließlich verfassungskonform auslegen. Außerdem gebe es ja auch einen Richtervorbehalt, der unverhältnismäßige Datenspeicherungen verhindere.
Damit wird die Bundesregierung aber wohl nicht durchkommen. "Bei eingriffsintensiven Maßnahmen, wie der langfristigen Observation, sind die Anforderungen an die Normenklarheit besonders hoch", sagte Verfassungsrichterin Ines Härtel, die das Urteil vorbereiten wird.
Regierungsvertreter Rossi hält die Klagen bereits für unzulässig, weil die Beschwerdeführer:innen nicht selbst, unmittelbar und gegenwärtig betroffen seien. Allerdings ist das BVerfG bei heimlichen Ermittlungsmaßnahmen traditionell großzügig: Da man von der eigenen Betroffenheit nichts erfährt, kann man schon klagen, wenn man betroffen sein könnte.
Die neue Daten-Architektur der Polizei
Der zweite Teil der Verhandlung am Mittwoch hatte deutlich mehr Gewicht. Hier ging es um die geplante neue IT-Infrastruktur der deutschen Polizei. Sie wurde ebenfalls 2017 in der BKAG-Novelle geregelt. Daten sollen künftig nicht mehr in getrennten Dateien gespeichert werden, sondern in einer großen gemeinsamen Datenplattform von Bund und Ländern. Dies werde den Datenaustausch erleichtern, weil es keine Kompatibilitätsprobleme zwischen verschiedenen Datenbanken mehr geben soll. Umso wichtiger ist es dann, differenziert zu regeln, wer zu welchen Zwecken auf die Daten zugreifen darf.
Das neue gemeinsame "Datenhaus" der Polizei sollte eigentlich schon 2020 fertiggestellt sein, ist aber immer noch nicht in Betrieb. Ministerialdirektor Christian Klos aus dem Innenministerium nannte in Karlsruhe das Jahr 2030 als Zeitziel für die "Endausbaustufe".
In Karlsruhe wurde nun also über Regelungen diskutiert, die in der Praxis noch gar nicht angewendet werden. Rechtsprofessor Rossi machte die niedrigen Zulässigkeitshürden bei heimlichen Ermittlungsmaßnahmen dafür verantwortlich: Weil im Sicherheitsrecht auch ohne konkrete Betroffenheit geklagt werden kann, muss man nun ohne Erfahrungen aus der Praxis und ohne fachgerichtliche Vorbereitung über die Normen streiten.
Regelungen zur Weiterspeicherung von Daten zu unbestimmt?
Konkret ging es um die §§ 16, 18 BKAG, die die Weiterspeicherung der Daten von Verurteilten, Beschuldigten und Verdächtigen regelt. Rechtsprofessor Matthias Bäcker, neben Moini der zweite GFF-Vertreter, hält die Regelungen für "dünn, widersprüchlich und zu unbestimmt".
Der Vorwurf bestätigte sich auch in der mündlichen Verhandlung. So verwies etwa Innenministerin Nancy Faeser (SPD) auf § 12 BKAG, der bei jeder Weiterverwendung von Daten die Beachtung des Grundsatzes der hypothetischen Datenneuerhebung vorschreibe. Dieser vom BVerfG entwickelte Grundsatz besagt, dass Daten nur von einer Behörde abgerufen werden dürfen, die die Daten auch selbst erheben könnte. BKA-Vertreter erklärten später jedoch, dass § 12 BKAG bei der Weiterspeicherung von Daten nicht direkt anwendbar sei, aber "im Hinterkopf mitgedacht" werden müsse.
Damit konnten die Richter:innen naturgemäß wenig anfangen. Am Ende räumte dann Rechtsprofessor Rossi ein, dass § 12 BKAG für die fortdauernde Speicherung von Daten gar nicht gelte, sondern erst beim späteren Neu-Abruf der Daten durch eine andere Behörde.
Nicht nur an diesem Punkt hatten die Richter:innen zahlreiche Fragen und zeigten, dass auch sie die gesetzliche Regelung wohl für unverständlich und zu unbestimmt halten.
Faeser will international wettbewerbsfähige Sicherheitsbehörden
Wie vage die Erläuterungen der Regierungsseite blieben, zeigen zwei weitere Beispiele aus der Verhandlung. "Es gibt keine Vorratsdatenspeicherung, sondern eine vorsorgliche Speicherung, damit die Daten bei Bedarf später genutzt werden können", so Rechtsprofessor Rossi. "Die Daten können nicht unbegrenzt gespeichert werden, sondern nur, solange die Speicherung erforderlich ist. Das können sehr lange Zeiten sein, es können aber auch sehr kurze Zeiten sein."
Innenministern Faeser ahnte wohl schon, dass die Verteidigung der Regelungen schwer sein wird. Sie warnte daher das Gericht in ihrem Eingangs-Statement vor einem weiteren Urteil, das schärfere Anforderungen an das BKA stellt. Schon heute bekomme man die meisten Terrorhinweise aus dem Ausland, weil die Sicherheitsbehörden dort nicht so streng reguliert seien. "Wir hätten ein großes globales Sicherheitsproblem, wenn unsere Regeln weltweit gelten würden", warnte die Ministerin, "wir brauchen ein Regelwerk, das auch andere Staaten übernehmen könnten."
Das Urteil wird in einigen Monaten verkündet.
Verhandlung am Bundesverfassungsgericht: . In: Legal Tribune Online, 20.12.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53470 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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